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Aldous Harding und ihr Album "Warm Chris"

Emma Wallbanks

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Aldous Harding und „Warm Chris“

Die neuseeländische Singer-Songwriterin Aldous Harding hat ein neues Album veröffentlicht. Es trägt den Titel „Warm Chris“. Früher hätte man ihre Musik als „schräg“ bezeichnet. Von einer, die nicht anders kann.

Von Christian Lehner

“Nichts, was ich mache, ist absichtsvoll.“ Das sagte Aldous Harding im FM4-Interview zu ihrem letzten Album „Designer“ über ihr Songwriting. „Ich setze mich hin und schreibe - manchmal mit einer Feder, manchmal mit einem Instrument. Vielleicht geht es darum, eine Balance zu finden, doch der Sinn bleibt mir verborgen, bis ich den Song höre.“ Harding beendete diesen Satz mit einem großen Seufzer.

Wie so vielen Künstler:innen fällt es auch Aldous Harding schwer, über ihre Kunst zu sprechen - so schwer, dass sie für das neue Album „Warm Chris“ ihre Promo-Tätigkeiten auf ein Minimum beschränkte. Deutschsprachige Medien kamen dieses Mal gar nicht zum Zug. Immerhin haben wir noch das Archiv. Dem entstammt folgender Satz, er ist die Antwort auf meine Frage, warum ihre Songs immer etwas verschroben klingen: „Wenn mir ein Vogel ein Baby bringen würde, dieses wunderbarste Geschöpf, würde ich trotzdem lieber mit dem Vogel abhängen - was aber wird aus dem Baby?“
Alles klar?

Surrealer Folk-Pop

Die als Hannah Sian Topp in Neuseeland als Tochter einer Folksängerin geborene Singer-Songschreiberin ist eine Künstler-Künstlerin. Wenn man Aldous Harding gegenüber sitzt, merkt man schnell, dass sie gar nicht anders kann. Und man freut sich, dass sie auch nichts anderes macht. Unser damaliges Interview betrachtete sie als eine Art Experiment. „Was that good?“, fragte Harding anschließend mit ungekünsteltem Interesse. Sie war neugierig, was da passieren würde. Für sie war es so unangenehm „wie Kaffee trinken“. „Kaffee fühlt sich dirty an für mich“, versuchte Harding zu erklären. „Ich kann mit der Energie nicht umgehen. Mir ist dann immer, als hätte ich einen Raketenrucksack umgehängt, mein Körper ist aber am Boden festgetackert.“

Aldous Harding und ihr Album "Warm Chris"

Christian Lehner

Aldous Harding, Berlin 2019

Küchenpsychologisch betrachtet ist der musikalische Weg von Aldous einer zu sich selbst. In einem seltenen Interview zum neuen Album „Warm Chris“ erklärte sie, dass sie ihre künstlerische Entwicklung darin begründet sehe, sich selbst nicht im Weg zu stehen. Was hat Aldous Harding also weggeräumt?

„The Barrel“ aus dem Album „Designer“ (2019)

Nicht die Form. Das wäre zu gewöhnlich. „Warm Chris“ ist keine musikalische Urschreitherapie und kein Improv-Monster. Die Songs bestehen aus adretten Strophen, Refrains und Arrangements. Sie hören sich dennoch ungewöhnlich an; früher hätte man „schräg“ dazu gesagt.

Meisterin der kleinen Akzente

Harding war schon immer eine Meisterin der kleine Akzente. Sie verschiebt Wörter, Noten und Gesten scheinbar mühelos aus der Konvention. Das klingt dann eben nicht gekünstelt oder anstrengend. Mit ihren leicht maschinell wirkenden Tanzbewegungen und der immer wiederkehrenden Fixierung der Kamera mit ihrem starren Blick hat sie für ihre Musikvideos eine eigene Ästhetik geschaffen.

Waren die ersten beiden Alben noch Ableitungen des Goth-Folk, näherte sich Aldous Harding mit dem clever betitelten Album „Designer“ (2019) einem surrealen Pop-Folk an, der ihr auch auf diesem Sender hier reichlich Airplay verschaffte.

Auf „Warm Chris“, das abermals von John Parish (PJ Harvey, Eels, Dry Cleaning) produziert wurde, setzt Aldous Harding den Weg in die sanfte Exzentrik fort. Sie wechselt mehrmals den Akzent und die Art zu singen, als wolle sie den Nonsens ihrer Lyrics unterstreichen. In „She‘ll Be Coming Round The Mountain“ springt sie ohne Not zwischen Dur und Moll hin und her wie ein Kind bei einem Hüpfspiel.

Aldous Harding und ihr Album "Warm Chris"

Emma Wallbanks

Auf „Warm Chris“ wird besonders viel geklimpert. Aldous Harding erlernte das Klavierspiel während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Mit 10 Songs ist das Album knapp bemessen und kurzweilig. Man kann es als easy Folk-Platte hören oder tief in die spinnerte Welt von Aldous Harding eintauchen. Aus den Texten wird man – wie immer – kaum schlau und doch hallen Proklamationen wie das wunderbar auf 1960s-Pop frisierte „Fever“ lange nach. Da ist so viel Groove drin, alles pulsiert und ist in Bewegung – auch das ist eine Trademark der Aldous Harding.

In „Leathery Whip“, dem letzten Stück des Albums, packt die Neuseeländerin die Peitsche aus und schwingt sie im Duett mit Jason Williamson von den Sleaford Mods, der hier den Kater Karlo in Leder gibt. Was für ein wunderbar weirdes Paar.

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