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Koffee

Nwaka Okparaeke

Koffee und ihr Debüt „Gifted“

Die Grammy-Gewinnerin verbindet auf ihrem Debütalbum den guten alten Roots-Reggae mit aktuellen Sounds der afrokaribischen Diaspora. Ein kurzes, aber spannendes Album.

Von Melissa Erhardt

Dass auch der Reggae noch einiges aufzuholen hat, wenn es um das Thema Geschlechtergerechtigkeit geht, wurde bei den letzten Grammy-Verleihungen vor der Pandemie, im Jänner 2020, in einem ganz neuen Licht deutlich: Damals gewann die jamaikanische Musikerin Koffee mit ihrer Debüt-EP „Rapture“ den Grammy für das beste Reggae-Album des Jahres. Damit schrieb sie Geschichte: Sie war mit ihren 19 Jahren nämlich nicht nur die jüngste Person, die diese Kategorie für sich entscheiden konnte – sie war auch die erste Frau in der Geschichte der Grammy-Verleihungen, die den Reggae-Award mit nach Hause nehmen durfte. Ein bedeutender Tag für das Genre also – und kein schlechter Karrierestart für die heute 22-jährige, die zwei Jahre zuvor ihren ersten Song auf YouTube hochgeladen hatte. Der Song, eine Art Tribut an den jamaikanischen Sprinter Usain Bolt, wurde zu einem kleinen viralen Erfolg, als ihn Bolt persönlich auf seinem Instagram-Account teilte.

Dieser unvorhersehbare Erfolg brachte bestimmt aber auch einiges an Druck mit sich, oder? „I don’t know. I don’t feel any more pressure, but I wouldn’t say that it has made my journey any easier either way”, erzählt Koffee wenige Monate nach der Grammy-Verleihung in einem Interview. “I think there still is need for hard work. I need to stay focused, because that’s the only way the message gets across. If I relax, then it won’t”.

Für ihr tatsächliches Debütalbum hat sich Mikayla Simpson, wie Koffee im bürgerlichen Namen heißt, daher erstmal Zeit gelassen. Die Pandemie kam da gerade rechtzeitig, verschaffte ihr viel Zeit, um Dinge zu reflektieren und zu ihr zu finden, erzählt sie in mehreren Interviews. Und so merkt man es „Gifted“ gar nicht so an, dass es unter den Erwartungen, die auf einer Grammy-Gewinnerin lasten, geschrieben wurde. Im guten Sinne.

Roots trifft Moderne

Ganz entspannt und in der Tradition der großen Reggae-Meister stehend eröffnet Koffee ihr Debüt mit einem der wohl bekanntesten Gitarrenriffs in der Geschichte des Genres: Bob Marleys „Redemption Song“. Das Sample bleibt in „X10“ aber nur wenige Sekunden stehen, bevor sie mit ihrem eigenen, unverkennbaren Flow loslegt. „Me ah take it to the top / Stacking up my racks / Hotting up the block” singt sie da im jamaikanischen Patois völlig unbeirrt über akustische Percussions, bevor sie sich in der Hook von ihrer humblen, ihrer bescheidenen Seite zeigt: “I’m glad I woke up today / Just as I woke up, I said / Couple prayers fi mi family, my friends / Thank you, Father, for blessing me times ten”.

Was in der nächsten halben Stunde folgt, können wir ganz gut beschreiben als Roots Reggae mit einem zeitgenössischen Anstrich. Und der speist sich aus den Sounds und Inhalten der afro-karibischen Diaspora: Sei es Afrobeat, Trap oder Hip-Hop.

Ein Paradebeispiel für diesen New Wave Reggae ist etwa „Shine“, einer der Signature-Tracks des Albums. Darauf lässt Koffee die entspannten Offbeat-Rhythmen des Genres mit knatternden Trap-Hi-Hats und tiefen Bässen verschmelzen, während sie einmal mehr beweist, wie versiert sie im Spitten von Texten ist. „I tend to mix a lot. I tend to mix my roots which are Reggae and Dancehall with whatever else I’m listening to. So no matter if that is Hip Hop, R’n’B or Afrobeats which I’ve been tapping into a lot lately”, erzählt die Musikerin aus Spanish Town im Interview.

Auf „Gifted“ finden wir daher gute, von der eigenen Band eingespielte, Roots-Reggae-Tracks wie „Lonely“ (die Basslinie!) ebenso wie ansteckende Afrobeats-Bops wie „West Indies“ oder „Pull Up“. Letzteren hat sie übrigens mit JAE5 produziert, einem der britischen Go-To-Producer wenn es um Afrobeat geht.

Flex & Bless

Aber nicht nur soundtechnisch, auch inhaltlich bewegt sich die Künstlerin, die von ihrer alleinerziehenden Mutter, einer Siebenten-Tags-Adventistin, sehr bescheiden erzogen wurde, zwischen den Genres:

Da ist einerseits die für den Reggea so typische Gelassenheit und Dankbarkeit, aber auch die politische Note, die Koffee von Anfang an in ihre Musik einbaut. Auf „Defend“, einer kurzen, aber smoothen Interlude, fasst sie in nur 57 Sekunden zusammen, was auf dieser Welt alles schief läuft - ob Inflation, Polizeigewalt oder Kriminalität. Trotz allem hält sie daran fest, den Glauben nicht zu verlieren: „All dem policе here want do ah chuck off yuh face / Run the race, hold the pace / Big bro’ hold the faith“. Dieses Weitermachen, auch wenn es brenzlig wird, das Leben feiern, auch wenn nicht gerade die besten Grundvoraussetzungen dafür gegeben sind – das ist es, das Koffees Musik gerade in der jetzigen Zeit zu einem wahren Geschenk für uns macht. „Gratitude is a Must“, kann man hier nur von ihrem Stand-Out-Track „Toast“ zitieren.

Andererseits hat Koffee auf „Gifted“ aber auch Gefallen am Materiellen gefunden: Typisch Trap-mäßig driftet sie im Musikvideo zu „Pull Up“ mit teuren Sportautos durch die Gegend und wechselt da auch schon mal in eine sehr prahlerische Haltung: Egal ob mit Designerbrands á la Balenciaga und Prada oder Wochenendtrips mit dem Privatjet nach Paris. Überraschend ist das nur deshalb, weil Koffee auf „Blazin“, einem Track ihrer „Rapture“-EP noch gesungen hat: „When your lifestlyle’s like the matrix / And you always dress up in the latest / Travel, go everywhere in a spaceship / How will the ghetto youth relate to you?”

Manchmal muss man aber auch einfach zeigen, wie weit man es geschafft hat – und wie wird das schneller sichtbar als durch die universelle Sprache des Geldes? Außerdem behält Koffee auch im „Flex-Modus“ ihre Bescheidenheit, wenn auch etwas anders: „Yeah, we ball but we coming from the ghetto / And me cya go (can’t go) forget where me came from“, heißt es da auf „Where I’m From“, oder eben auch: „Buy a Benz, and one for my neighbor“.

Keine Eile

Mit knappen 30 Minuten fällt Koffees Debüt im Endeffekt enttäuschend kurz aus – vor allem, wenn man bedenkt, dass drei Singles daraus schon in den letzten beiden Jahren vorab veröffentlicht wurden. Spannend ist auch, dass das Debüt ganz ohne Feature auskommt: Koffee hatte sich in den letzten Jahren zu einem ziemlich gefragten Featuregast entwickelt– ob für Daniel Caesar, Gunna, J Hus oder John Legend. Dass sie davon selbst auf ihrem Album Gebrauch machen würde, hätte man sich erwarten können. Aber Koffee hat eben keinen Druck.

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