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Ukrainische Studierende in Wien

Alina Schaller / Radio FM4

reportage

Ukrainische Geflüchtete: Nach der Ankunft ist vor der Ankunft

Putins brutaler Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine der schlimmsten Flüchtlingskrisen Europas ausgelöst. Seit Kriegsausbruch mussten über 10 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen. Laut Prognosen werden sich etwa 200.000 Menschen aus der Ukraine längerfristig in Österreich niederlassen. Der Deutschkurs ist für viele der erste Schritt, um in Österreich Fuß zu fassen.

Von Alina Schaller

Ich bin am Weg in die Uni Wien. Es sind wieder viele Studierende unterwegs. Unter ihnen findet man auch einige neue Studierende aus der Ukraine. In den Arkadenhöfen der Universität Wien treffe ich die 18-jährige, ukrainische Studentin Yevheniia aus Kyiv. Yevheniia, die kurz Zhenia genannt wird, hat gerade ihr Wirtschaftsstudium in Kyiv begonnen, als Putin mit seinen Panzern und Soldaten einmarschierte und die ersten Bomben fielen. Sie und ihre Eltern versteckten sich erst in leeren U-Bahnstationen, dann in einer Kirche, bis Zhenia und ihre Mutter schließlich aus der Ukraine flüchteten. Ihr Vater, der in der IT-Branche arbeitet, musste zurückbleiben. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht mehr verlassen: Entweder sie treten dem Militär bei oder arbeiten weiter, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Zhenias Worte sind pragmatisch, ihre Augen werden glasig, sie schluckt die aufkommenden Emotionen gleich wieder runter. Ein Lächeln huscht ihr nur selten über die Lippen.

Ukrainische Studierende in Wien

Alina Schaller / Radio FM4

In Wien hat Zhenias Bruder vor vier Jahren seinen Master an der TU begonnen. Nun leben sie zu dritt in seiner 30m2 Wohnung. „I’m so grateful… Some people have to sleep in big halls together with hundreds of other people and without showers.“

Trotzdem suchen sie und ihre Mutter eine neue Unterkunft. Ihr Bruder arbeitet mittlerweile, wie der Vater, in der IT-Branche und Zhenia will untertags, wenn er zuhause arbeitet, nicht störend sein. „Accomodations“, das sei das, was Geflüchtete gerade dringend brauchen. Zhenia tauscht sich über Telegramgruppen wie „Ukrainians in Vienna“ mit Ukrainer:innen, die ähnliche Erfahrungen durchleben mussten, täglich aus.

„It helps very much to know that you’re not alone.”

Ukrainer:innen an Österreichs Schulen und Unis

Die Suche nach Ausbildungsplätzen für jüngere Geflüchtete von Volksschulen bis zu Hochschulen hat begonnen: In den österreichischen Schulklassen sitzen zurzeit über 2.300 ukrainische Schüler:innen. Bereits vor Ausbruch des Krieges studierten rund 2.700 Ukrainer:innen in Österreich. Doch ukrainische Studierende müssen erstmal gewisse Sprachkenntnisse in Deutschkursen erlernen, um sich für ein Studium zu qualifizieren.

In Wien will die 18-Jährige nun Biologie studieren. Ohne zu zögern zählt sie mir eine ganze Liste an Gründen dafür auf. Das ist das erste Mal, dass ihre Augen während unseres Gesprächs leuchten. Bevor sie jedoch ihr Studium in Wien beginnen kann, muss sie, wie auch alle anderen Studierenden, ein gewisses Level an Deutschkenntnissen nachweisen. Für ein Studium an der Boku in Wien braucht man beispielsweise Kenntnisse der Stufe B2, an der Universität Wien ist die Stufe C1 verpflichtend, bevor man sich in den Hörsaal setzen darf. Die Stufe C2 entspricht einer nahezu muttersprachlichen Sprachbeherrschung. Das führt sie, wie alle anderen Studierenden aus der Ukraine, zuerst einmal in den Deutschkurs.

„Sprache ist ein Brückenbauer!“

Im Sprachzentrum der Universität Wien surrt ein Beamer leise vor sich hin. Als ich mich zu den anderen Teilnehmenden setze, hat der Deutschkurs bereits begonnen. Nächste Woche schreibt die Gruppe ihre erste schriftliche Prüfung. Aufgeregtheit liegt in der Luft. Die Gruppe ist bunt gemischt: Der Älteste ist 44 Jahre alt, der Jüngste ist der ukrainische Schüler Artur, der erst 15 Jahre alt ist. Die Leute kommen aus Kasachstan, Indien, Mexiko, Türkei, Russland oder eben der Ukraine. Entweder arbeitet man oder man studiert, von Theologie bis Biologie ist alles dabei.

Der aktive Austausch zwischen den Studierenden scheint im Deutschkurs ein großes Thema zu sein, wir machen eine Partnerarbeit nach der anderen und die Studierenden sind fokussiert bei der Sache. In der Pause sitzen wir beisammen und unterhalten uns, ich werde von ihnen immer wieder ermahnt, Deutsch mit ihnen zu sprechen. Sie wollen schnell lernen und sind hochmotiviert. Mit viel Leichtigkeit und Witz gehen sie an die Sprache heran. Alle unterstützen sich gegenseitig.

Ukrainische Studierende in Wien

Alina Schaller / Radio FM4

An der Tafel steht Dr. Frank Schnell. Er unterrichtet seit über 23 Jahren Deutsch als Fremdsprache. Von Anfang an merkt man, dass Dr. Frank Schnell ein sehr passionierter Lehrer ist. Er erzählt, dass er oft versucht, die Muttersprache der Teilnehmenden zu lernen, so spricht er mittlerweile sieben Fremdsprachen. Zurzeit lernt er Rumänisch. Ihm ist eine Kommunikation auf Augenhöhe wichtig und vor allem Vertrauen. Er möchte seinen Studierenden das Gefühl geben, dass sie hier willkommen sind, denn auch diese Seite gehöre zur Integration. Und er möchte sie mit den besten sprachlichen Werkzeugen ausstatten, damit sie sich in ihrem neuen Umfeld zurechtzufinden können. Deutsch zu können sei die Basis, um die Kultur, Menschen und andere Teile des Lebens in Österreich kennenzulernen. „Es ist immer spannend zu sehen, wo Kursteilnehmende landen. James Cottriall (Sänger, Anm.) hat seinen ersten Deutschkurs zum Beispiel bei mir besucht und jetzt schauen Sie sich an, was da alles möglich ist.“

Kurz bevor ich gehe, ruft mir Dr. Frank Schnell noch nach: „Falls Sie Bekannte im Freundeskreis haben, die Deutsch nicht als Erstsprache haben, schicken Sie sie auf eine Schnupperstunde vorbei.“ So viel geballtes Engagement, auf Lehrenden- und Lernendenseite, habe ich selten erlebt.

Engagement für ein temporäres Leben

Zhenia hat zum Glück ein überdurchschnittlich gutes Sprachentalent. Sie spricht Ukrainisch und Russisch, so gut wie fließend Englisch und ihr Deutsch klingt nach vier Wochen in Österreich auch schon recht gut. Zurzeit besucht sie sogar zwei Deutschkurse gleichzeitig.

„I don’t want to sit around and wait until the ending of war.”

Das Ziel, das sie vor Augen hat ist, dem Schicksal, das ihr auferlegt wurde, zu trotzen. Sie spricht offen über den Krieg und ihre Erfahrungen, sie will ausgefragt werden bis ins kleinste Detail. Sie möchte zeigen, welche Ungerechtigkeit ihr Heimatland und die Opfer dieses Krieges zurzeit erleben. Wenn der Krieg vorbei ist, will die 18-Jährige wieder nachhause, aber niemand wisse, wann das sein würde. Bis dahin möchte sie sich in Wien ein temporäres Leben aufbauen.

FM4 Auf Laut: Wie geht es mit den Ukrainer:innen in Österreich weiter?

Heute (29.3.) ab 21 Uhr beschäftigen wir uns in FM4 Auf Laut damit, wie es mit ukrainischen Geflüchteten nach der Ankunft eigentlich weitergeht? Wie schaffen wir es am besten Ukrainer:innen in der Mitte unserer Gesellschaft zu begrüßen und wie geht es ihnen selbst? All das bespricht Claus Pirschner heute Abend mit Vertriebenen und Helfenden Auf Laut. Ruf direkt im FM4-Studio an und diskutier mit unter: 0800 226 996.

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