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Screenshot aus dem Spiel Norco

Raw Fury

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Südstaatenflair trifft Petroleum-Blues in „NORCO“

Verdorbene Sümpfe im Norden, der wilde Mississippi im Süden. Dazwischen: Der von Umweltverschmutzungen und Überschwemmungen geprägte Vorort Norco. Auf der Suche nach dem verschwundenen Bruder taucht ihr in die verfaulenden Schauplätze eurer Jugend ab. Und lüftet ein generationen-übergreifendes Geheimnis.

Von René Froschmayer

Bayou, so nennen Bewohner*innen der Südstaaten stehende oder nur langsam fließende Gewässer. Das sumpfige Areal, von hohen, gespenstigen Zypressen geprägt, bietet optimale Lebensräume für Alligatoren, Adler und Co. An diesen Schauplatz verschlägt es euch im Point-and-Click-Abenteuer „NORCO“. In der gleichnamigen Stadt wachen wir schlaftrunken in der Haut der Mittzwanzigerin Kay auf. Das langsame und grausame Ableben der krebskranken Mutter spaltete die Familie. Der Erinnerungen an den Vater sind getrübt, der jüngere Bruder wie vom Erdboden verschluckt. Den Ort, der einst das zu Hause der kleinen Familie war, ist leer. Als Krönung der Situation hat die Protagonistin mit Erinnerungslücken in ihrer Jugend und Kindheit zu kämpfen.

Wer suchet, der findet

Im Garten des leicht verfallenen Hauses wartet schon ein Jugendfreund auf euch. Wenig menschlich, dafür mit viel Grips hinter dem Prozessor - ein ausrangierter und von der Mutter adoptierter Security-Roboter. Er stammt aus der stark bewachten und das Stadtbild prägenden Shield-Raffinerie (angelehnt an ein bekanntes Mineralöl- und Erdgasunternehmen), die seit geraumer Zeit auf die Entwicklung von Robotern setzt. Zusammen begebt ihr euch auf die Suche nach dem verschwundenen Bruder.

Dabei begegnet ihr in dem Pixel-Gothic-Look gehaltenen Game jeder Menge krummer Gestalten. Wie einer künstlichen Intelligenz, die scheinbar ganz Norco infiltriert. Einer Influencer-App-Sekte, die entfernt an Q-Anon und dessen Anhänger erinnert. Oder Mississippi-Piraten, die sich die Sabotage der Raffinerie als Ziel gesetzt haben. Schnell wird klar: in der dystopischen Stadt Norco kann es nicht mit rechten Dingen zugehen. Scheinbar war auch eure verstorbene Mutter Teil des generationen-übergreifenden Geheimnisses, das die Stadt in den Abgrund zieht.

Screenshot aus dem Spiel Norco

Raw Fury

Gesellschaftskritik zum Durchklicken

Die Schauplätze des detailverliebten Point-and-Click Abenteuers „NORCO“ vegetieren triste vor sich hin. Der Einfluss des Klimawandels ist unübersehbar. Überflutungen setzen dem Stadtbild zu, die Raffinerie verpestet die Bayous und ihr Umland. In der Bevölkerung herrscht ein ambivalentes Verhältnis zum Industrie-Moloch. Einerseits halten die Arbeitsplätze die Region am Leben, andererseits wird die Umwelt nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Und außerdem setzt der Konzern verstärkt auf Robo-Arbeiter*innen. Trotz einer gehörigen Portion an Gesellschaftskritik, spart „NORCO“ nicht bei der Erschaffung einer eindrucksvollen Atmosphäre, die die Spieler*innen in einen düsteren Südstaatenflair hineinzieht.

In wechselnden Spielperspektiven klickt ihr euch durch das Norco der Gegenwart und Vergangenheit. Dabei schlüpft ihr in die Rolle der verstorbenen Mutter und durchlebt ihre letzten Tage vor dem tragischen Ableben. Mit fortschreitender Handlung fügen sich die Erzählstränge zu einem Ganzen zusammen – das volle Ausmaß der geheimnisvollen Machenschaften im Vorort wird offenbart. Ein unerwarteter Twist folgt dabei dem Nächsten. Der Kern des Spiels ist jedoch nicht die Spielhandlung – sondern das Design und die damit einhergehende Atmosphäre.

Screenshot aus dem Spiel Norco

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Der preisgekrönte Petroleum-Blues

Noch vor der Veröffentlichung, konnte das Entwickler*innen-Kollektiv „Geography of Robots“ bereits Früchte ihres Erfolgs ernten. Als erstes Game überhaupt gewann NORCO beim Tribeca Film Festival 2021 den neu-eingeführten Preis für das beste Game Design. Klick nach Klick vermittelt „NORCO“ präzise die düstere, teilweise depressive und vor allem straight-in-your-face Atmosphäre der US-amerikanischen Südstaaten.

Petroleum-Blues, so beschreiben die Köpfe hinter „NORCO“ die allgegenwärtige Stimmung im Game. Dem Zufall hat es das Entwickler*innenteam dabei nicht überlassen. Immerhin stammt ein Teil des Teams aus Norco, denn die fiktive Stadt bedient sich an einem realen Vorbild, auch geographisch. Sümpfe, Mississippi und Raffinerie inklusive.

Atmosphäre ist nicht alles

„NORCO“ legt einen starken Fokus auf die Erschaffung der eindrucksvollen Atmosphäre. Darunter leiden jedoch andere, nicht weniger wichtige Aspekte des Point-and-Click-Abenteuers.

„NORCO“, entwickelt von Geography of Robots und vertrieben von Raw Fury, ist für Windows, Mac und Xbox erschienen.

Der erste Akt kann kostenlos auf Steam gespielt werden.

Animationen finden in „NORCO“ nur dezente Anwendung und begleiten die Handlung in Folge minimal. Die Charakterentwicklung der Protagonist*innen lässt zu wünschen übrig. Emotionen der verzweifelnden Kay, sucht man etwa vergeblich. Die Spielmechanik wirkt teilweise wenig überdacht – vor allem Kämpfe verlaufen eintönig. Obwohl mehrere Antwortmöglichkeiten in Dialogen geboten werden, beeinflussen diese den Spielverlauf so gut wie nicht.

„NORCO“ ist ein Spiel für das Auge. Der Spielplot bietet leider mehr Potential, als ausgeschöpft wurde. Fans von geballter Atmosphäre in Games wird dieses Spiel nichtsdestotrotz viel Freude bereiten.

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