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Eine Bürosituation, im Hintergrund ein Mann vor einem Computer.

flickr.com, User "vasilisvg" (CC BY 2.0)

Warum ist das Arbeitsleid in der Games-Industrie oft so hoch?

Ausufernde Mehrstunden, hoher Leistungsdruck, angespannte Arbeitsatmosphäre, toxische Vorgesetzte und prekäre Finanzierungen. Eine Stelle in der Gamesindustrie wird nicht selten vom erhofften Traumjob zu einer psychischen und später auch physischen Dauerbelastung.

Von Robert Glashüttner

Mit den Besten der Besten zusammenarbeiten, Teil eines attraktiven Games-Projektes werden, dezentral und online mit Menschen aus aller Welt zusammenarbeiten und immer direktes, ehrliches Feedback erhalten. Was auf den ersten Blick wie ein moderner, transparenter, international gepräger Job wirkt, ist im Fall der Firma Moon Studios („Ori“-Serie) offenbar für einige ehemalige Mitarbeiter zum Gegenteil verkommen: Zu einem Arbeitsplatz, wo nur Überstunden und Leistung zählen, wo Schmähungen vom Chef zum Alltag gehören und man sich aus Angst vor Kündigung und sozialer Herabstufung kaum Freizeit gönnt und mitunter auch im Krankenstand weiterarbeitet.

Vor kurzem hat der Games-Journalist Dean Takahashi auf VentureBeat.com eine ausführlich recherchierte Aufdeckergeschichte publiziert, die Moon Studios und seine zwei CEOs - darunter der Österreicher Thomas Mahler - in einem düsteren Licht zeichnet. Damit ordnet sich eine weitere Games-Firma in eine traurige Reihe an aufgedeckten Fällen ein, wo Mitarbeiter*innen innerhalb der Computerspielbranche Opfer von starkem Arbeitsleid, toxischer Atmosphäre, Mobbing, Psychospielchen von Vorgesetzten sowie auch Sexismus oder Rassismus werden.

Die investigative Recherche-Plattform People Make Games hat kürzlich drei weitere Fälle von Arbeitsleid und emotionalem Missbrauch in der Computerspieleindustrie aufgedeckt - interessanterweise aus dem Indie-Bereich.

Warum gerade in der Games-Industrie?

Zu viel Arbeit, zu wenig Ruhe- und Freizeiten, überforderte und/oder manipulative Chefinnen und Chefs sowie hoher sozialer Druck unter Kolleg*innen: Das gibt es leider in anderen Branchen, etwa in weiteren Creative-Industries-Bereichen wie Design und Werbung, ebenso.

Was den Bereich Games davon unterscheidet, ist einerseits der hohe Komplexitätsgrad beim Entwickeln eines aufwändigeren Computerspiels sowie der große Idealismus und die Leidenschaft, die hier oft im Spiel sind. Die Selbstverwirklichung, das höchste aller Ziele in der Karriere jeder Person, wirkt hier zum Greifen nahe: Viele sind erst mal begeistert von der Idee, an einem Computerspiel zu arbeiten. Noch toller ist es, das eigene, selbst konzipierte und designte Game zu entwickeln und auf den Markt bringen zu können. Doch die große Euphorie kommt oft vor dem tiefen Fall, und der bedeutet: ausgepowerte Mitarbeiter*innen wegen schlechter Projektplanung, prekäre Arbeitsverhältnisse aufgrund fragiler und unsicherer Finanzierungsmodelle und ein toxisches Arbeitsklima aufgrund überforderter und deshalb oft erratisch, aggressiv, irrational und unreflektiv agierender Vorgesetzter.

In der Games-Industrie gibt es längst ein Wort für diesen Missstand: Crunch. Crunch bedeutete ursprünglich eine stark erhöhte Arbeitsdynamik Monate und Wochen vor der Projektfertigstellung. Doch durch die Aufdeckungen der letzten Jahre wurde klar, dass Crunch mehr als das ist und sich oft durch weite Teile eines meist äußerst umfangreichen Spieleentwicklungsprozesses zieht.

"Über 50 Prozent (der Befragten in einer Studie über Mental Health in der Games-Industrie aus 2019) sagen, sie haben das Gefühl, Crunch wird erwartet. Das heißt, Crunch wird von Vorgesetzten entweder einfach stillschweigend vorausgesetzt oder auch sogar offiziell angeordnet. Wir haben das ja auch bei großen Veröffentlichungen immer wieder gesehen, etwa „Red Dead Redemption 2“ oder „Cyberpunk 2077“, wo dann von bis 80- oder 100-Stunden-Wochen die Rede ist.

Promobild zum Computerspiel "Cyberpunk 2077"

CD Projekt Red

Auch wegen Aufdeckungen zu Crunch-Arbeitsverhältnissen beim zuständigen Entwicklerstudio CD Projekt ambivalent wahrgenommen: das jahrelang medial hochgejazzte Open-World-Game „Cyberpunk 2077“.

Das sagt der studierte Psychologe Benjamin Strobel, Mitbetreiber der Plattform Behind the Screens: Psychologie und Games, im Gespräch mit FM4, der sich in seiner Forschung auf den Bereich Computerspiele spezialisiert hat. Er bestätigt auch die oben genannte „Falle“ der Selbstverwirklichung und nennt die Selbstausbeutung von Firmengründer*innen als eine der Ursachen für die Probleme in vielen Arbeitsstätten der Branche.

Idealismus und fehlende Erfahrung

Der selbstständige österreichische Games-Programmierer Dietmar Hauser kann diese Einschätzung aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Er hat in den letzten 20 Jahren in Kleinstteams gearbeitet, aber auch in Firmen mit mehreren 100 Mitarbeiter*innen. Er war Vorgesetzten unterstellt, hat aber auch selbst Teams mit bis zu 40 Personen geleitet. Aktuell arbeitet er für Epic Games, wo über 1.000 Menschen tätig sind.

„Wenn es dann mal wirklich zu tighten Momenten kommt, also wenn der Stresslevel im gesamten Team höher wird, erst dann kristallisiert sich heraus, wie das jeweilige Arbeitsumfeld wirklich ist. Ein großes Problem, das wir in der Spieleindustrie haben, ist, dass oft die Fähigsten in ihrem Fachgebiet dann aufsteigen und leitende Rollen übernehmen, obwohl sie dafür oft nicht geeignet sind.“

Dieses Problem betrifft vor allem kleinere Firmen, in denen die Mitarbeiter*innen gezwungermaßen „mehrere Hüte“ tragen müssen, wie es Hauser formuliert. Außerdem fehlen in diesen Firmenstrukturen oft arbeitsrechtliche Strukturen und entsprechende Rahmenbedingungen: Gewerkschaften, Arbeitsschutzgesetze, Maßnahmen für die psychische Gesundheit, Schulungen, Erholungszeiten. Je kleiner die Firma, desto schwieriger wird es für Mitarbeiter*innen, diese Strukturen einzufordern. So entsteht stattdessen in einigen Fällen eine düstere Dynamik, wo die Belegschaft in immer mehr Arbeits- und Leistungsdruck versinkt. Verstärkt wird das oft durch prekäre Finanzierungsverhältnisse, wie Benjamin Strobel berichtet.

„Das kann den psychischen Stress deutlich erhöhen, weil ich zum Beispiel nicht weiß - insbesondere als Indie-Entwickler*in -, ob ich mir nächsten Monat noch die Miete oder etwas zu Essen leisten kann. Betroffene Leute sagen: Wir haben unsere Folgefinanzierung nicht, jeder Tag zählt, und wir wissen nicht, ob wir nächsten Monat Geld haben. Und es gibt immer wieder Berichte, wo es heißt: Ja, wir haben dann mal ein paar Monate ohne Gehalt oder Finanzierung gearbeitet.“

Eine Bürosituation, rechts eine Frau vor einem Computer.

flickr.com, User "vasilisvg" (CC BY 2.0)

Wie kommt man aus der Abwärtsspirale wieder raus?

Wie in vielen anderen Fällen auch, wo sozialer Druck und hierarchische Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, ist das Ausbrechen aus selbigen Strukturen für die Betroffenen oft schwierig. Wichtig sei, so Dietmar Hauser, dass man sich nicht isoliert, sondern sich - freilich immer mit einem verbundenen Risiko - Verbündete in der Firma sucht, manchmal vielleicht sogar versucht, die Verursacher*innen (zumeist die Vorgesetzten) direkt zu konfrontieren. Als letzter Ausweg bleibt natürlicher immer die Kündigung und mitunter der Gang an die Öffentlichkeit. Immerhin können Aufdeckergeschichten nur geschrieben werden, wenn sich Betroffene - anonym oder nicht - mit ihren Erfahrungsberichten an die Presse wenden.

Die Recherche zu diesem Bericht wurde in Zusammenarbeit mit dem Games Standard durchgeführt. Hier geht es zur Reportage von Alexander Amon.

Ob alleine die medialen Aufdeckungen in Sachen Crunch, Missbrauch und Arbeitsleid in der Games-Branche nachhaltig etwas ändern werden können, ist aber fraglich. Vieles wird nach einiger Zeit in der Öffentlichkeit wieder vergessen, oder die Täter behaupten felsenfest, alle Vorwürfe würden längst der Vergangenheit angehören und die Missstände gäbe es gar nicht mehr. Stichhaltiger, wie immer im Kapitalismus, ist da schon der Hinweis auf die Tatsache, dass Crunch und Co. nicht nur psychisches Leid verursachen, sondern auch wirtschaftlich kontraproduktiv sind, wie Benjamin Strobel weiß.

„Diese Praktiken sind überhaupt nicht erfolgreich, sondern sie schädigen Produktivität und Gesundheit. Häufig kommen unter diesen Bedingungen auch schlechtere Produkte heraus. Ein wichtiger Schritt ist, das Engagement für eine eigene Vision bzw. ein Spiel zu trennen von der eigenen Ausbeutung und der Ausbeutung anderer.“

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