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trans* Day of Visibility

Tobi Lakmaker erzählt „Die Geschichte meiner Sexualität“

Als Tobi Lakmaker „Die Geschichte meiner Sexualität“ veröffentlicht, steht in seinem Ausweis noch ein anderer Name. Diesen teilt er sich mit der Protagonistin seines Romans, in dem er über das Aufwachsen als Frau schreibt. „Die Geschichte meiner Sexualität“ stellt Fragen, die einen Prozess ins Rollen bringen.

Von Alica Ouschan

Eigentlich steht es im 1x1 für einen sensiblen, diskriminierungsfreien Umgang mit trans* Personen, dass deadnaming, also den früheren, abgelegten Namen der Person zu verwenden, ein absolutes No-Go ist. Für seinen Debutroman macht der niederländische Autor Tobi Lakmaker eine Ausnahme. In seiner autobiografischen Romanerzählung gibt er nämlich ganz bewusst Einblicke in sein Innenleben in der Zeit, als er noch Sofie genannt wurde.

Buchcover

Piper Verlag

Die Geschichte meiner Sexualität hat 216 Seiten, ist im Piper Verlag erschienen und wurde von Christina Brunnenkamp vom Niederländischen ins Deutsche übersetzt.

Am 31. März, dem internationalen trans* day of visibility nehmen wir verschiedene Aktivist*innen und Kunstschaffende in den Blick, die ihre trans* Identität zum Thema machen. Tobi Lakmaker ist in den Niederlanden mit „Die Geschichte meiner Sexualität“ bereits durchgestartet, jetzt ist der Roman in der deutschen Übersetzung erschienen.

Was passiert eigentlich vor dem Coming-Out?

„Die Geschichte meiner Sexualität“ erzählt nicht von geschlechtsangleichenden Maßnahmen oder davon, wie trans* Personen Sex haben, sondern stellt vielmehr Fragen nach Zugehörigkeit und beschreibt die Anfänge eines Prozesses, dessen Ziel bis zuletzt unklar bleibt. Wir begleiten Sofie auf einer achtjährigen Identitätssuche in einer Welt, in der es vorgefertigte Maßstäbe für Weiblichkeit und das Frausein gibt.

Obwohl sie es eine Zeit lang versucht, mit Männern schläft und Beziehungen eingeht, sich die Haare lang wachsen lässt und sich größte Mühe gibt, dem Rollenbild, das für sie vorgesehen scheint, zu entsprechen, fühlt sie sich nicht wohl damit. Als Sofie schließlich merkt, dass sie auf Frauen steht, sind zwar auch diese Beziehungen nicht unbedingt erfolgreich, aber ein wichtiger erster Schritt in Richtung des wahren Selbst. Denn Tobi Lakmakers Werdegang spiegelt den von vielen trans* Personen wieder, die über mehrere Jahre hinweg gleich mehrere Coming-Outs durchmachen, geprägt und begleitet von unlösbar scheinenden inneren Konflikten und äußeren Faktoren.

„Eigentlich lag ich immer daneben. Neben den Jungs und neben den Mädchen, neben der richtigen Antwort und noch wichtiger: neben der richtigen Frage.“

Dabei schreibt er nicht nur über Sexualität und Identität, sondern spricht auch andere schmerzhafte Themen an, die damit einhergehen oder das innere Geschehen beeinflussen, wie Angststörungen und familiäre Verluste. Subtil, mit viel Selbstironie, Situationskomik und Augenzwinkern an den richtigen Stellen fragt Tobi Lakmaker, was einen Mann zum Mann und eine Frau zur Frau macht.

Wann ist ein Mann ein Mann?

„Die Geschichte meiner Sexualität“ liest sich wie eine Art Tagebuch und spricht die Leser*innen immer wieder sehr direkt an. Dadurch stellt sich eine gewisse Verbundenheit zur Protagonistin ein, was wiederum für ein ungewöhnlich intimes Leseerlebnis sorgt. Beim Lesen fühlt man sich durchgehend unterhalten und teilweise im eigenen Wertebild auch ganz schön herausgefordert.

Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen werden die eigenen stereotypen Verhaltensmuster ebenso wie klassische Rollenbilder analysiert und auseinandergenommen, sodass man sich nicht nur einmal ganz schön ertappt fühlt. Die philosophische und gleichzeitig unmittelbare Sprache ruft die ganze Palette an Emotionen hervor - von schallendem Lachen bis hin zu Verzweiflungstränen.

„So drücke ich das am liebsten aus, versteht ihr? Mehr Junge. Jungs selbst sind echt Dullis. Einfach nur - ein kleines bisschen mehr.“

Tobi Lakmaker schafft es in seiner Erzählung unaussprechbar scheinende Gefühlszustände zu benennen. „Die Geschichte meiner Sexualität“ gibt nicht nur wertvolle Einblicke in das Innenleben einer Person, die mit der eigenen Geschlechtsidentität kämpft, sondern bietet ebenfalls viel Identifikationspotential für jene, die sich innerhalb dieser Gedanken wiederfinden und verstanden fühlen. Mit seinem Debut ist Tobi Lakmaker schon jetzt eine unentbehrliche, brennende neue Stimme der aktuellen queeren Gegenwartsliteratur.

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