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Julian Hessenthaler im Gerichtssaal

FOTO: APA/FLORIAN WIESER

Interview

Im Zweifel gegen den Angeklagten: Thomas Lohninger zum Fall Julian H.

Julian Hessenthaler, der Whistleblower hinter dem Ibiza-Video, wurde gestern zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Urkundenfälschung und Drogenhandel verurteilt. Ein politisch motiviertes Urteil, sagen Amnesty International und die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works. Wir haben mit deren Leiter Thomas Lohninger über ihre Recherchen zu dem Fall gesprochen.

Interview: Joanna Bostock

Thomas Lohninger, epicenter.works:
Wir begannen mit der Arbeit an diesem Fall, nachdem Julian Hessenthaler von Deutschland nach Österreich ausgeliefert worden war. Wir erhielten von der Verteidigung die gesamte Akte, Tausende von Seiten aus der Ermittlung gegen ihn, wir sahen den schieren Umfang all dieser Akten. Es war für uns erschütternd, wie tief sie in sein Leben, seine Familie und seinen Bekanntenkreis eingedrungen sind und wie groß der Umfang der Überwachung war, die in diesem Fall angewandt wurde. Wir sprechen hier von Hunderten von Fluggastdatensätzen von mehreren Flügen über Jahre hinweg in ganz Europa. Wir sprechen von Telefonüberwachung, von IMSI-Catchern, von Durchsuchungen von Bankkonten und Häusern und so weiter. Es gab also eine Menge intensiver Ermittlungen, die wirklich fragwürdig waren, wenn man die potenziellen Straftaten kennt, die eigentlich der Grund für all diese Ermittlungen waren. Uns war also klar, dass die Tatsache, dass Herr Hessenthaler für das Ibiza-Video verantwortlich war, das die österreichische Regierung 2019 zu Fall brachte, eine Rolle bei der Entscheidung spielte, ihn mit dieser schieren Kraft des Gesetzes zu verfolgen.

Thomas Lohninger von epicenter works

Cajetan Perwein

Thomas Lohninger ist Geschäftsführer von epicenter.works, einer Bürgerrechtsorganisation, die gegen überbordende Überwachung und für das Grundrecht auf Privatsphäre eintritt. Foto: Cajetan Perwein, CC-by 4.0

Joanna Bostock:
Man könnte argumentieren, dass eine gründliche Untersuchung eben Aufgabe der Behörden ist. Meinen Sie, dass sie unverhältnismäßig war?

Thomas Lohninger:
Es ist unverhältnismäßig insofern, als Gerichte in Deutschland und Österreich bereits entschieden haben, dass das Ibiza-Video an sich legal ist, dass es kein Verbrechen ist, was in der Finca auf Ibiza passiert ist. Und dass auch die Veröffentlichung des Videos angesichts des großen öffentlichen Interesses an dem, was in Spanien passiert ist, auch etwas ist, das keine solche Untersuchung verdient. Der ursprüngliche Grund, der zuerst behauptet wurde, um die SOKO Tape im Innenministerium zu starten - die Spezialeinheit, die die ganze Sache untersucht hat - waren Vorwürfe der Erpressung gegen Heinz-Christian Strache. Aber diese wurden später fallen gelassen und sind nicht das, was im Gerichtssaal entschieden wurde. Im Mittelpunkt des gestern zu Ende gegangenen Prozesses standen Vorwürfe im Zusammenhang mit Drogen und Urkundenfälschung, die auch Herr Hessenthaler mehr oder weniger zugab. Er hatte einen gefälschten Führerschein, während er sich in Deutschland versteckt hielt.

Trotzdem, wenn jemand angeklagt und für schuldig befunden wird, ein Verbrechen begangen zu haben - und in diesem Fall geht es um Drogendelikte und Urkundenfälschung - dann gilt das für alle gleich. Wie ziehen Sie also die Grenze zwischen dem, was bei diesem Prozess passiert ist, und der politischen Dimension?

Ich denke, was viele Leute, die den Prozess beobachtet haben, verblüfft, ist die Tatsache, dass der Richter die widersprüchlichen Beweise und die Widersprüche zwischen den Zeugen der Anklage als Beweis dafür verwendet hat, dass sie nicht zusammengearbeitet haben. Dass er deren Aussagen mehr Gewicht gibt, eben weil sie sich nicht einig sind über die Zeit, den Ort, die Menge der angeblichen Drogenlieferungen - nicht einmal über die Bezahlung oder die Verpackung. Die beiden Hauptzeugen der Anklage bezeichnen sich gegenseitig als Lügner. Es gibt also keine wirklichen Beweise, es wurde nie eine Substanz gefunden, keine Fingerabdrücke, keinen DNA-Beweis. Obwohl die Verteidigung gefordert hat, dass z.B. eine Drogenpresse, die angeblich von Herrn Hessenthaler benutzt wurde, auf Fingerabdrücke und DNA-Beweise untersucht werden soll, wurde das bis heute nicht getan. Es gibt also viele, viele Zweifel und sehr wenig handfeste Beweise gegen Herrn Hessenthaler. Und der Hauptgrund für die Unzufriedenheit mit diesem Urteil ist, dass es den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ gibt. Und wenn der hier befolgt worden wäre, dann glauben wir, dass ein solches Urteil nicht möglich gewesen wäre.

Wenn Sie und Amnesty also sagen, dass dieser Schuldspruch für Julian Hessenthaler ein Angriff auf die Meinungsfreiheit in Österreich ist, wie begründen Sie das?

Der Grund, warum wir denken, dass dieser Fall wichtiger ist als jeder andere Drogenfall in Österreich, ist die Tatsache, dass Herr Hessenthaler eine rechte Regierung in Österreich zu Fall gebracht hat. Und dass er wegen allem, was seitdem passiert ist, im Mittelpunkt vieler öffentlicher Debatten gestanden ist: die Schredder-Affäre, die Tatsache, dass Sebastian Kurz nicht mehr Bundeskanzler ist und die vielen Korruptionsermittlungen gegen sehr hochrangige Politiker. All das hätte man in Österreich ohne das Ibiza-Video nicht für möglich gehalten. Und wir denken auch, dass es ein Interesse bestimmter politischer Gruppen in diesem Land gibt, ein Exempel an jemandem zu statuieren, der so viel Wahrheit an die Öffentlichkeit gebracht hat - und sie wollen keine Wiederholung von Ibiza. Und deshalb hat Herr Hessenthaler meiner Meinung nach auch ein Urteil von dreieinhalb Jahren bekommen und nicht von drei Jahren - denn das wäre auch möglich gewesen und hätte bedeutet, dass er eine Fußfessel bekommt und gleich nach Hause hätte gehen können. Jetzt muss er zurück ins Gefängnis und kann frühestens in 2 Monaten um eine Fußfessel ansuchen.

Soweit also Ihre Belege für die Vermutung, dass politische Beweggründe hinter dieser Sache stehen. Wie kommt man aber an solche Belege?

Was wir in Österreich jetzt brauchen, wäre eine zeitnahe und umfassende Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie, für die Minister Kocher zuständig ist. Und wir brauchen eine Aktualisierung der Antikorruptionsgesetze in Österreich, die längst überfällig ist. Außerdem müssen wir genau hinschauen, was im Gerichtssaal in St. Pölten passiert ist, und warum es in einem Fall, wo so viele Zweifel bestehen, trotzdem möglich war, jemanden schuldig zu sprechen. Das muss natürlich das nächste Gericht entscheiden, das sich mit diesem Fall befassen wird. Aber wir müssen in der Lage sein, diese öffentliche Diskussion zu führen, und wir müssen sicherstellen, dass Whistleblower und mutige Menschen, die Informationen veröffentlichen, die für das öffentliche Interesse relevant sind, geschützt werden. Denn gerade in einem Land wie Österreich, das sehr niedrige Standards für die Informationsfreiheit hat, ist es wichtig, dass wir mutige Menschen haben, die etwas riskieren, um die Wahrheit zu sagen. Und das ist der Grund, warum dieser ganze Fall eine menschenrechtliche Dimension hat, die weit über die Person Julian Hessenthaler hinausgeht. Es ist, ehrlich gesagt, auch nicht die Frage, ob wir ihn mögen oder nicht mögen, oder, wie manche Leute, ihn als Helden sehen, der einen Orden verdient hätte. All das ist nicht relevant für das Gerichtsverfahren und die Art und Weise, wie der österreichische Staat ihn verfolgt hat und wie diese Ermittlungen abgelaufen sind.

Sie sprachen von einem Gesetz zum Schutz von Whistleblowern, das in Österreich schon lange diskutiert wird. Wenn es ein solches Gesetz gegeben hätte, hätte das denn verhindert, dass er wegen Drogen- und Fälschungsdelikten vor Gericht gestellt worden wäre?

Nein. Ich meine damit die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblower). Das ist ein Gesetz, das vor einigen Jahren beschlossen wurde und das jeder EU-Mitgliedsstaat umsetzen muss. Und Österreich hätte das bis Dezember letzten Jahres tun müssen, hat es aber nicht getan. Minister Kocher ist dafür zuständig, und bisher hat er noch nicht wirklich etwas auf den Tisch gelegt. Die Richtlinie hätte Herrn Hessenthaler in diesem Einzelfall höchstwahrscheinlich nicht geschützt, weil er nicht in einer Einrichtung gearbeitet hat, in der er schwerwiegende Rechtsverstöße gesehen hat. Hätte eine Person, z.B. in einem Ministerium oder einem Unternehmen, etwas dieser Art entdeckt und dann das Richtige getan, wäre sie vor zivil- oder strafrechtlichen Klagen geschützt gewesen. Es geht also nicht um diesen Einzelfall, sondern um den Schutz von Whistleblowern und anderen Quellen im Allgemeinen. Da ist es wichtig, dass Österreich seine Anstrengungen verstärkt. Wir sehen aber im Gegenteil derzeit immer mehr Fälle, in denen Journalisten und journalistische Quellen durch Klagen bedroht werden. Herr Andreas Holzer, der ehemalige Chef der SOKO Tape, der jetzt Chef des Bundeskriminalamtes ist, ist auch dafür bekannt, dass er Journalisten und sogar Komiker verklagt. Und ich denke, dass hinter dem Einzelfall Hessenthaler ein größeres Problem steckt, nämlich dass die Meinungs- und Medienfreiheit in Österreich bedroht ist.

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