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Hannah Ross zeigt in „Revolutions“ außergewöhnliche Frauen auf dem Fahrrad

Das Fahrrad war ein Gamechanger für die Gesellschaft. Welche Bedeutung das Fahrrad für Frauen und den Feminismus hatte, erklärt Hannah Ross in „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“. Dabei erinnert sie an außergewöhnliche Frauen, die gegen heftige Widerstände anfuhren.

Von Zita Bereuter

FM4 Auf Laut 5.4.2022: Radfahren im Alltagsverkehr

Die Stadt Wien hat eine „Mega-Radwegoffensive“ angekündigt, auch in Graz soll ein neues Verkehrskonzept auf die Bedürfnisse von Radfahrer:innen und Fußgänger:innen ausgerichtet werden. Der Trend ist klar: Für die Mobilitätswende und ein gesundes Klima ist das Fahrrad das Transportmittel der Wahl im Nahverkehr. Doch welche Verbesserungen bringen die Ankündigungen wirklich? Wie ist es bei dir? Für welche Wege nutzt du den Drahtesel? Welche Änderungen im Radverkehr hast du beobachtet? Was braucht es noch?

All das bespricht Eva Deutsch in FM4 Auf Laut mit Radfahrer:innen und Verkehrsexpert:innen.

„Kannst du eigentlich auch besser Radfahren als wir?“ fragt Dirk Stermann keine geringere als Anna Kiesenhofer in der Sendung „Willkommen Österreich“. Die Frau, die 2021 die Goldmedaille im Rad Straßenrennen bei den Olympischen Spielen in Tokyo gewonnen hat, lacht leicht verlegen. Die Frage ist gewissermaßen die Entwicklung des Frauenradsports in a Nutshell.

Klar, Satire darf alles, nur ist völlige Überschätzung der sportlichen Leistungen von Männern bei gleichzeitiger Unterschätzung der Leistungen von Frauen in der Gesellschaft verankert. Ohne Witz. „In einer aufschlussreichen YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2019 gaben ein Achtel aller Männer an, sie glaubten, sie könnten der damals besten Tennisspielerin der Welt, Serena Williams, einen Punkt abnehmen,“ bemerkt Hannah Ross in einer Fußnote eines Kapitels, in dem sie über die Erfolge von Frauen bei den härteren Radrennen schreibt, den Ultra-Ausdauerwettbewerben. Frauen sind da übrigens immer häufiger schneller als Männer.

Über Hannah Ross

Hannah Ross arbeitet für einen unabhängigen Verlag in London. In ihrer Familie wird seit Generationen geradelt. Der Großvater fuhr Radrennen, sie selbst fährt lieber (langsam) den Berg hoch. Sie ist Mitglied des örtlichen Fahrradclubs und hilft geflüchteten Frauen ehrenamtlich dabei, Rad fahren zu lernen.

Wie alles begann

Aber der Reihe nach. Hannah Ross erzählt die Geschichte von der Entwicklung des Laufrades zum Hochrad bis zum Rover Saftey, dem Fahrrad, dessen Design eine Art Blaupause für die gegenwärtigen Räder bildet. Das war 1885. Fahrräder wurden erschwinglicher, der Fahrradboom begann und die Gesellschaft änderte sich völlig. Der eigene Radius wurde größer – man erweiterte seinen Horizont und lernte neue Menschen kennen.

Soziologen in Großbritannien schreiben dem Fahrrad einen Rückgang genetischer Defekte im Zusammenhang mit Inzucht zu.

„Und auch das US Census Bureau bezeichnete die Erfindung im Jahr 1900 als game-changer: ‚Wenige Dinge, die jemals von Menschen benutzt wurden, haben eine so große Revolution in den sozialen Verhältnissen bewirkt wie das Fahrrad.‘“

1896 fahren im Hyde Park Frauen wie Männer

Mit dem Fahrrad konnte man sich bewegen, frei und unabhängig sein. Männer wie Frauen. Und genau darin sahen Männer bald ein Problem. Schließlich sollten Frauen als schwaches und zartes Geschlecht doch nur im eigenen Haushalt sein – oder gegebenenfalls in einer Fabrik schuften. (Diese Rollenvorstellungen wurden je nach Gebrauch anders interpretiert.) Keinesfalls aber sollten sie studieren, wählen oder Fahrrad fahren. Naheliegend, dass das Fahrrad auch im Kampf um Frauenrechte eine wichtige Rolle spielte. „Revolutions“ ist folgerichtig der Titel des Buches, in dem die Britin Hannah Ross aufzeigt „Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“.

Während Männer nie groß darüber nachdenken mussten, ob sie sich auf den Sattel schwingen und in die Pedale treten sollten, war das Radfahren für Frauen immer eine politische Angelegenheit, denn die Gesellschaft schrieb ihnen vor, was sie tun durften und was nicht.

Hannah Ross spannt den Bogen von den Suffragetten über radelnde Frauen im Widerstand gegen die Nazis, von der Fahrradbegeisterten Philosophin Simone De Beauvoir zu der britischen Amateur-Fahrerin Yewande Adesida, die meist die einzige Person of Color bei ihren Rennen ist.

Katherine "Kittie" Knox mit Fahrrad

Gemeinfrei

Sie portraitiert Frauen wie Katherine „Kittie“ Knox, die 1895 selbstbewusst als einzige Frau afro-amerikanischer Herkunft beim Treffen der League of American Wheelmen (LAW) teilnahm.

Hannah Ross widmet sich auch den kreativen Kleidungsideen der radfahrenden Frauen. Schließlich wollten die die nicht mehr länger mit den mehreren Kilo schweren bodenlangen Röcken fahren. Eine der praktischsten Lösungen fanden sie in den Bloomers, eine Art Pumphosen. Dabei waren Hosen für Frauen Tabu, selbst in Paris durfte 1892 eine Frau Hosen nur tragen, wenn sie „einen Fahrradlenker oder die Zügel eines Pferdes in der Hand hielt“. (Das Äußere ist auch gegenwärtig wichtig: Hannah Ross weist auf Umfragen, in denen viele Frauen aufgrund ihres Äußeren nicht Fahrrad fahren wollen.)

Gruppenporträt von sieben Frauen mit Fahrrädern, aufgenommen im Atelier. Die Frauen dürften Mitglieder eines Fahrradvereins/Bicycle Clubs gewesen sein

CC0

Gruppenporträt von sieben Frauen mit Fahrrädern, aufgenommen im Atelier von Rosa Jenik (Jenik-Dörfler) (1853-1913). Die Frauen dürften Mitglieder eines Fahrradvereins/Bicycle Clubs gewesen sein (1894 wurde in Wien der Erste Wiener Damen Bicycle Club gegründet, weitere Vereinigungen folgten); sie alle tragen Abzeichen auf der linken Brust.

Mit der Entwicklung des Fahrrads entstanden auch Fahrradclubs. Die meisten waren ausschließlich Männern zugänglich. Also gründeten Frauen ihre eigenen und gruppierten sich für Ausfahrten oder brachten sich gegenseitig die wichtigsten Handgriffe für die Reparatur eines Rades bei.

Women Repairing Bicycle, c. 1895, https://arc.lib.montana.edu/msu-photos/item/135, MSU Historical Photos Collection, Montana State University (MSU) Library, Bozeman, MT

Gemeinfrei via Montana State University (MSU) Library,

„Women Repairing Bicycle, c. 1895“

Hannah Ross berichtet von den ersten Frauenclubs ebenso wie von Projekten, wie PedalPower, in denen geflüchtete erwachsenen Frauen Radfahren lernen – von Frauen, von den Black Girls Do Bike (BGDB) oder den Radfahrenden Frauen in Bamyian Afghanistan.

Mitglieder der Radsport-Nationalmannschaft Afghanistans beim Training 2014

CC BY-SA 4.0 von Mountain2Mountain via Wikimedia

CC BY-SA 4.0 Einige Frauen der Afghanischen Radsport-Nationalmannschaft beim Training 2014.

Sie stellt Frauen vor, die erste große Touren mit dem Rad unternahmen - bis hin zu Weltumrundungen. Und wilde Frauen, die Tempo machten. Ob in Hallen oder bei Straßenrennen. Denn zur Zeit des Fahrradbooms im späten 19. Jahrhundert waren Radrennen für Frauen nicht nur in Europa äußerst beliebt.

Tour de Farce statt Tour de France

Hatten Radrennfahrerinnen erst für viel Publikum gesorgt, durften sie später bei Rennen so gut wie nie mitfahren, auch wenn sie es nicht nur mit Männern aufnehmen, sondern diese auch leicht schlagen konnten. Stattdessen wurden die Sportlerinnen als radelnde Hausfrauen belächelt. Über Eileen Sheridan etwa, die „1955 alle 21 bestehenden Rekorde der Woman’s Road Records Association gebrochen hatte", sagt der Kommentator eines Werbefilms, sie sei bei Rennen deswegen so schnell, „sie muss ja auch umgehend wieder zu Hause sein, um mit der Hausarbeit hinterher zu kommen.“

Besonders schön die Anekdote der Britin Beryl Burton, über 30 Jahre eine der wichtigsten Radrennfahrerinnen Großbritanniens, die von der Presse „die Hausfrau aus Yorkshire“ genannt wurde. In einem Zwölf-Stunden-Zeitfahren starteten die Frauen auf der gleichen Strecke wie die Männer – allerdings erst einige Zeit nach ihnen. Beryl Burton überholte ziemlich schnell alle Frauen und schloss zu den Männern auf. Einen nach dem anderen überholte sie, bis sie nach über elf Stunden bei Kilometer 400 auf den führenden Mann, Mike McNamara, traf.

Als sie neben Mike herfuhr, der auf dem besten Weg war, einen neuen Männerrekord aufzustellen, aber keine Ahnung hatte, dass er dabei noch von Beryl überholt werden würde, bot sie ihm ein Lakritz-Bonbon an. Er nahm es und bedankte sich bei ihr. Dann fuhr sie an ihm vorbei und stellte einen neuen Rekord auf – für Frauen und für Männer.

Beryl Burton am Rennrad

Brian Townsley, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

CC BY 2.0 „Sometime around 1966 - Beryl Burton has dropped the field for a solo race to the line.“

Dennoch wurden und werden Frauen von den großen Rennen ausgeschlossen. Die „Tour de France“ etwa ist ein reines Männerrennen. Frauen durften lange nur den Etappensiegern mit Küsschen und Blumen anlächeln. Immerhin soll es nach 2009 heuer wieder die „Tour de France Femmes“ geben, die am Tag des Männerfinales startet.

Beim Giro d’Italia gibt es auch wieder eine Frauenversion, den „Giro Rosa“: Das längste Straßenrennen für Frauen mit 12 Etappen. Bemerkenswert dort die Preisgelder: „2018 erhielt die Gesamtsiegerin Annemiek van Vleuten 1.130 Euro, die sie auch noch mit ihren Teamkolleginnen teilen musste, während der Sieger des Männerrennens 115.668 Euro bekam.“

Und was die Budgets von Teams angeht, liest man bei Hannah Ross:

Ein durchschnittliches UCI-Männerteam verfüge über ein Budget von rund 17 Millionen Euro, ein durchschnittliches Frauenteam dagegen nur über rund 175.000 Euro.

Diese ungerechte Verteilung wandelt sich langsam - nicht zuletzt durch die Frauen, die Hannah Ross in ihrem Buch portraitiert.

Umso erstaunlicher und bewundernswerter sind die vielen begeisterten und leidenschaftlichen Radfahrerinnen. Hannah Ross erinnert an etliche in ihrem beeindruckenden Werk und erklärt die Welt des Fahrrads.

Hanna Hoss' Buch "Revolutions" liegt auf rosa Untergrund

Gestaltung: Marion Blomeyer / Foto: Carolin Rauen

„Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“ von Hannah Ross ist in der Übersetzung von Daniel Beskos 2022 im Mairisch Verlag erschienen.

Ausblick

Neben den bekannten Vorteilen für die körperliche und geistige Gesundheit und der Freude am Fahren, sind noch andere Gründe für die wachsende Bedeutung des Fahrradfahrens dazu gekommen. Hannah Ross hat ihr Sachbuch 2021 geschrieben und erwähnt bereits die Corona-Pandemie, die mehr Menschen aus Angst vor Ansteckungen in Öffis aufs Rad umsteigen hat lassen.
Andere fahren aus ökologischen Gründen - etwa die Senkung des CO2-Ausstoßes.
Neuerdings dürften auch die hohen Treibstoffpreise für viele das Fahrrad zur ideale Alternative machen.

Aus welchen Gründen auch immer - Radfahren kann zur Leidenschaft werden. Wie beeindruckend und vielfältig die sei kann, zeigt Hannah Ross.
Nachdem man das Buch gelesen hat, möchte man vor allem eines: Radfahren!
Am besten mit einem Lakritzbonbon. Man weiß ja nie, für wen man es braucht.

FM4 Auf Laut 5.4.2022: Radfahren im Alltagsverkehr

Die Stadt Wien hat eine „Mega-Radwegoffensive“ angekündigt und will ihr Radwegnetz um 17 Kilometer ausbauen. Auch in Graz soll ein neues Verkehrskonzept auf die Bedürfnisse von Radfahrer:innen und Fußgänger:innen ausgerichtet werden. Der Trend ist klar: Für die Mobilitätswende und ein gesundes Klima ist das Fahrrad das Transportmittel der Wahl im Nahverkehr. Doch welche Verbesserungen bringen die Ankündigungen wirklich? Andere europäische Städte wie Kopenhagen, Paris oder Barcelona investieren wesentlich mehr in radfreundliche Infrastruktur. Denn nur wer sich sicher fühlt, steigt auch aufs Rad.

Wie ist es bei dir? Für welche Wege nutzt du den Drahtesel? Welche Änderungen im Radverkehr hast du beobachtet? Was braucht es noch? All das bespricht Eva Deutsch in FM4 Auf Laut mit Radfahrer:innen und Verkehrsexpert:innen. All Transportmittel welcome!

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