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Daddy Yankee

Daddy Yankee

Was ist eigentlich Reggaeton?

Was Dua Lipa, Rosalía, Ed Sheeran und Doja Cat gemeinsam haben? Sie alle haben in letzter Zeit Gefallen an einem ganz bestimmten Genre gefunden: Dem Reggaeton. Wenn es um Pop-Musik geht, ist das lateinamerikanische Genre mit dem eingängigen Dembow-Beat heute kaum noch wegzudenken. Aber woher kommt das Genre eigentlich und was hat es damit auf sich? Ein Überblick.

Von Melissa Erhardt

FM4 Homebase Spezial am Montag, dem 04.04.2022

„In den Vierteln, wo wir aufgewachsen sind, wollten die meisten von uns früher Narcotraficantes werden, Drogenhändler. Wenn ich heute in die Viertel zurückgehe, wollen dort alle Musiker sein. Das ist mir sehr viel wert“. Vor zwei Wochen hat Daddy Yankee mit diesen (und weiteren) Worten seinen Rückzug aus der Musik bekannt gegeben. Ganze 32 Jahre lang war der heute 45-jährige Puerto-Ricaner aktiv – und mitverantwortlich dafür, dass eine Musikrichtung, die in kleinen Underground-Clubs in San Juan ihren Anfang nahm, heute den internationalen Pop dominieren würde: der Reggaeton.

Jetzt, wo Daddy Yankee also sein letztes Album „Legendaddy“ (sic!) herausgebracht hat, Ed Sheeran sich an eine kleine Reggaeton-Kollabo-EP mit J Balvin herangewagt hat und Rosalía mit ihrem Reggaeton-Flamenco-Futuresound an der Spitze der globalen Streaming-Charts gelandet ist, bietet es sich also gut an, ein bisschen genauer auf die Geschichte des lateinamerikanischen Genres zu blicken. In seinem Ursprung war Reggaeton nämlich eine diasporische Verschmelzung aus Reggae, Dancehall und Hip-Hop.

Von den Westindischen Inseln…

Um zu verstehen, wie Reggaeton entstanden ist, müssen wir zurück ins Panama der 80er Jahre. Dort hatte die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Bau des Panama-Kanals begonnen, nachdem Frankreich bereits daran gescheitert war. Der Kanal ist heute einer der wichtigsten weltweit – erspart die Wasserstraße durch Panama Schiffen doch den umständlichen Weg rund um Südamerika. Für den Bau des Kanals war eine Vielzahl an Arbeiter*innen notwendig. Ein Großteil davon kam von den westindischen Inseln - angelockt von der (nicht erfüllten) Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen und fairere Löhne.

Ähnlich wie in der Geschichte der sogenannten „Gastarbeiter*innen“ in Österreich gingen die Kanalarbeiter*innen aber nicht nach Jamaika, Barbados, Trinidad etc. zurück, als der Kanal fertig gebaut war: Sie blieben - und mit ihnen die Kultur. Die Kinder und Enkelkinder der Kanalarbeiter*innen wuchsen mit Reggae und Dancehall auf. Sie begannen, Parties zu veranstalten, übersetzten die englischen Lyrics der Reggae-Tracks ins Spanische und sangen diese über die B-Seiten der Platten, den Seiten also, auf denen sich die Instrumentals der Tracks befanden.

Der Spanischsprachige Reggae war geboren - mit afro-panamaischen Künstlern wie El General oder Nando Boom an der Spitze. Sie gelten heute als „Urgroßväter“ des Reggaetons. Beide coverten einen Track, der bald das Grundgerüst für den Reggaeton werden sollte: Den „Dem Bow“ vom jamaikanischen Musiker Shabba Ranks – ein zutiefst antiimperialistischer Song, der seine ganze Wokeness mit seinen inhärent homophoben Lyrics aber leider wieder verspielt: „Beleidigst du deinen Schwarzen Bruder, heißt das, dass du dich bückst / Hasst du deine Schwarze Tochter, heißt das, dass du dich bückst.“

Homophobie und Antiimperialismus beiseite: Es ist genau dieser Song, von dem das Genre heute seinen allseits bekannten, geliebten oder gehassten Boom-ch-boom-chick-Rhythmus hat. Nicht umsonst wird der „Reggaeton-Beat“ bis heute als Dembow bezeichnet.

… über Puerto Rico …

In Puerto Rico, genauer gesagt in Underground-Clubs der Hauptstadt San Juan wie dem „The Noise“, trafen Mitte der 90er schließlich zwei musikalische Strömungen zusammen: Der spanisch-sprachige Reggae aus Panama und der Hip-Hop aus New York. In den Clubs begann eine gerade heranwachsende Generation an puertoricanischen Rappern – darunter auch der anfangs erwähnte Daddy Yankee – über Dancehall und Hip-Hop-Beats zu freestylen: Der Reggaeton war geboren (nur hieß er damals noch „Underground“). Bald entstanden aus dieser ursprünglich nur live existierenden Musik die ersten Mixtapes von DJ Playero - und verbreiteten sich so im ganzen Land. Auf diesen Mixtapes befinden sich neben den ersten aufgezeichneten Songs von Daddy Yankee und Co. Perlen wie dieser Song hier:

… in den Mainstream

Mit Künstlern wie Daddy Yankee, Tego Calderón, Don Omar, Wisin y Yandel und einer der wenigen Frauen im Game, der großartigen Ivy Queen, begann der Reggaeton seinen ersten Siegeszug: Zunächst in Puerto Rico, dann in anderen lateinamerikanischen Ländern. Vor allem in Kolumbien fand das Genre großen Anklang. Mit „Gasolina“ gelang Daddy Yankee im Jahr 2004 der erste internationale Erfolg.

Aber der Sound erschöpfte sich bald: Zu problematisch seien die Lyrics, sexuell zu explizit, zu „Straße“. Gerade in dieser Phase, wo das Genre zu zerbrechen drohte, kam Kolumbien ins Spiel. Dort begannen junge Musiker damit, den Stil der „Boricuas“ nachzuahmen. Zwar waren ihre Produktionen lange nicht so ausgefeilt wie die der Puerto-Ricaner, aber sie erkannten eine wichtige Sache: Um das Genre am Leben zu erhalten, musste es familienfreundlicher werden. Frauen sollen sich beim Hören wohlfühlen, nicht davon abgestoßen werden. Musiker wie J Balvin und Maluma übernahmen das Ruder.

Und heute?

Heute überlebt der Reggaeton durch seine konstante Symbiose mit anderen Genres: Ob mit lateinamerikanischen Genres wie Bachata, Salsa, Rumba oder Bolero – oder Hip-Hop & Urban, EDM oder R’n’B. Es ist deswegen auch schwierig geworden, die großen „Reggaeton-Artists“ eindeutig zuzuordnen: Während große Namen wie J Balvin und Karol G eher auf eine poppige Reggaeton-Rezeptur setzen (eingängige Melodien, einfache Strukturen und catchy Lyrics zum Mitsingen), befinden sich Künstler wie Bad Bunny und Rauw Alejandro eher auf der Latin-Urban-Schiene.

Bad Bunny etwa ist mit spanischsprachigem Trap bekannt geworden, den er erst nach und nach mit Oldschool-Dembow-Beats gemixt hat. Rauw Alejandro, der gerade zu einem der erfolgreichsten Acts des Genres zählt, kommt eigentlich auch aus dem Trap – speist seinen Sound mittlerweile aber vor allem aus elektronischen Elementen: UK-Rave und Drum’n’Bass-Breakbeats finden wir bei ihm ebenso wie Synthie-geladenen Disco-Pop, etwa auf dem Track „Todo de ti“.

Als puren Reggaeton können wir das natürlich nicht bezeichnen. Aber genau das ist der Grund, warum das relativ einfach gestrickte Genre, das bereits tausende Male für tot erklärt wurde, bis heute funktioniert: Der Dembow-Beat geht eben immer wieder neue musikalische Symbiosen ein, die Spaß machen - und den Pop ein bisschen vielfältiger machen.

Homebase Spezialstunde

Am Montag, 4. April, geht es in der FM4 Homebase eine Stunde lang um Reggaeton. Wir sprechen nicht nur über die Wurzeln des Genres, sondern schauen uns auch an, wer gerade die größten Namen im Genre sind. Musik-Mix inklusive!

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