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Andras Jakwerth

HVOB zwischen Unsicherheiten und Explosionen im Kopf

Sehr sanft und geschmeidig, dann wieder extrem hart und treibend. Auf ihrem neuen Album „Too“ lotet das österreichische Elektronik-Duo HVOB seine gegensätzlichen Pole weiter aus und hat damit ein Werk kreiert, das den Zeitgeist und die Stimmung der jetzigen Generation einfängt.

von Andreas Gstettner-Brugger

Es gibt wohl nicht viele Elektronik-Duos, die ein Live-Album veröffentlichen können, das eine unglaublich energiegeladene Atmosphäre hat, einen das Live-Feeling spüren lässt und dabei bis zum letzten Beat spannend bleibt. Anna Müller und Paul Wallner alias HVOB haben es nach dem ersten Schock der Pandemie mit ihrem Live in London-Album geschafft, das ausgelassene Party- und Clubfeeling im eigenen Wohnzimmer entstehen zu lassen und somit auch Hoffnung für eine Zeit nach den Einschränkungen zu liefern.

Gleichzeitig war es den beiden ein tiefstes Bedürfnis, die Erfahrungen, Gefühle und Sorgen der letzten beiden Jahre in neue Tracks zu verpacken. So ist das Werk „Too“ entstanden, das wohl als Soundtrack einer Zeit gehört werden kann, die von Unsicherheit, Zerrissenheit und Ratlosigkeit geprägt ist.

Schon der Eröffnungsstück „Bruise“ bereitet uns darauf vor, was in geballter, komprimierter Form knapp fünfzig Minuten lang auf uns zukommen wird.

Vom Puschen und Verteilen der Rollen

„Bruise“ ist eine starke Tanzboden-Nummer, die zwischendurch immer wieder die stampfende Rhythmik aussetzen lässt, um uns ein bisschen Verschnaufpause zu gönnen. Bei knapp 3 Minuten darf das Lied sogar fast ganz in sich zusammenfallen, um sich dann erneut zu einem Groove- und Tanzmonster zu erheben.

Wir kennen diese oft heikle Balance zwischen weichen, sanften Tönen und den harschen, technoiden Beats von HVOB schon von ihren früheren Produktionen wie dem grandiosen Vorläufer „Rocco“. Man könnte meinen, die beiden musikalischen Seiten würden bestätigt, wenn man mit den beiden Musiker*innen spricht. Anna ist die Nachdenkliche, Sanfte, die für die melancholischen, traurigen Harmonien zuständig ist; Paul, der getriebene Perfektionist, zuständig für trancige Beats. Doch diese Rollenzuschreibung entspricht nicht der Arbeitsrealität von HVOB.

Albumcover HVOB "Too"

HVOB

Das neue Album „Too“ von HVOB erscheint am Freitag 08.04. auf Play It Again Sam Records.

Paul: „Diese Rollen gibt es so bei uns nicht. Im Gegenteil. Wir pushen uns eher gegenseitig. Manchmal meint Anna, dieser Part muss noch härter sein. Den müssen wir wilder machen. Und ich sage ihr, dass dieser traurige Akkord noch ein bisschen trauriger sein könnte.“

Anna: „Was mir hilft und worüber ich sehr froh bin, ist, dass Paul eine extreme Geduld hat. Für alles. Paul kann Stunden oder sogar Tage an einem Bass-Drum- oder Snare-Sound sitzen, wo ich mir schon denk: Oh Gott, ich mag nicht mehr. Paul hat ein unglaubliches Durchhaltevermögen, das ich nicht habe. Ich will eher ständig etwas Neues machen.“

Paul: „Bei mir ist das keine Anstrengung. Ich höre es ja in meinem Kopf, wie es klingen sollte. Und ich muss halt so lange daran arbeiten, bis es so klingt, wie ich es mir vorstelle. Vielleicht kann ich es einfach zu wenig und brauche deshalb so lange.“

Allgemeines Gelächter.

Anna: „So habe ich das noch nie gesehen. Du willst das quasi überdecken, dass du nicht gut produzieren kannst.“

Diese so enthüllte, vermeintlich neue Wahrheit hält dem Realitätscheck natürlich nicht stand. Gleich der zweite Track „Capture Casa“ macht die kunstvolle Balance zwischen atmosphärischem Elektro-Pop, deepem Clubfeeling, glitzernden Soundflächen, düsteren Beats, melancholischer Zurückgelehntheit und hypnotischer Dance-Extase hörbar, die perfekt ausproduziert ist. Dazu geben die berührenden Mantra-artigen Lyrics das Grundthema des Albums vor.

am i too cold
am i too old
am i not good for you
am i too quiet
am i too tired
am i too much for you
i may cry and i may fall tonight
but don‘t forget to breathe
we are not ready to die

Das neue HVOB-Album „Too“ klingt wie der Soundtrack für die heutige Generation, auch wenn Anna nie so weit gehen würde, diesen Anspruch zu erheben.

Und doch: Die nagenden Selbstzweifel angesichts der vermehrten Unsicherheit ziehen sich durch die Tracks. Bin ich zu brav? Bin ich zu angepasst? Bin ich zu egoistisch? Denke ich zu viel an mich? Mache ich zu viel nur für andere Menschen und verliere mich?

Man spürt die Zerrissenheit zwischen euphorischer Selbstermächtigung und verzweifelter Suche nach dem eigenen Platz in dieser sich zu schnell wandelnden Welt. Dass diese Atmosphäre des globalen Kontrollverlustes und der transparent gewordenen Unvorhersehbarkeit sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt, machen Songs wie „The Lack Of You“ deutlich. Die Entfremdung, die Abwesenheit des Anderen, die dazu führt, dass man sich allein auf den Weg macht.

Musikalisch sticht dieser Song etwas heraus aus dem tanzbaren Gesamtfeeling. Hier herrscht ein 90er HipHop- und Trip-Hop-Vibe vor.

Anna: „Für mich hat dieser Song etwas ganz Neues für HVOB. Hier darf es ein bisschen wackeln und scheppern. Ich liebe diesen Sound der Beats und ich bin sehr glücklich mit dem Lied. Denn auf der einen Seite hat er etwas sehr Trauriges, Melancholisches und auf der anderen Seite durch die Musik etwas sehr tröstendes. Ich liebe Musik, zu der man gleichzeitig weinen und lachen kann.“

Eines der ruhigsten Stück ist „A Piece Of Me“, in dem es um die Abhängigkeit von einem Menschen geht. Das Gefühl, dass das Gegenüber sich immer wieder ein Stück von einem selbst nimmt, ohne etwas zurückzugeben. Es ist ein Abgesang auf den Egoismus, die Sucht nach Aufmerksamkeit und zugleich ein trauriger Blick auf so handelnde Personen, die sich im Innersten Liebe wünschen und durch ihr Handeln keine finden werden. Diese Tragik wird gegen Ende durch die schweren, schleppenden Beats und die sich steigernde musikalische Dunkelheit noch verstärkt.

Explosionen im Kopf

Das gleich darauf folgende „Kid Anthem“ überrollt einen mit prügelnden Beats, nervösen Arpeggio-Akkorden und Sirenen-Synthesizern, die einen zwischen Gefühlen der Tanzwut und Alarmbereitschaft hin und her wechseln lassen. Überhaupt ist das neue HVOB-Album „Too“ ein sehr clubbiges Werk geworden. Entstanden in einer Zeit der Stille und des Rückzugs. Vielleicht war es ein unbewusster Gegenentwurf zur äußeren Veränderung - oder einfach ein auf dem eigenen Weg bleiben.

HVOB auf Tour:

  • 30.04. Linz, Posthof
  • 21.05. Graz, Orpheum
  • 18.06. Wien, Open Air Arena, Checkfest

Gewinne hier Tickets für die Tour.

Anna: „Vielleicht transportiert dieses Album unsere Sehnsucht, wieder rausgehen, im Club sein und feiern gehen zu können. Es ist uns irgendwie so passiert.“

Paul: „Nach einem Jahr nicht in Clubs gehen können haben wir uns dieses Feeling dann halt zuhause selbst gemacht. Denn beim Musikmachen findet tatsächlich eine Party im Kopf statt. Man sitzt zwar regungslos vor dem Computer und macht nur Mausklicks, aber im Kopf sind es Explosionen. Da geht’s bei mir richtig ab. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist mir das Club-Ding vielleicht gar nicht so abgegangen, da ich es ohnehin die ganze Zeit in meinem Kopf hatte.“

Bei der anstehenden Tour von HVOB wird es dann wieder für alle Explosionen im Kopf geben. Neben ihrer druckvollen Live-Performance sind HVOB bekannt für ihre ausgeklügelte und eindrucksvolle Lichtshow, an der sie schon seit einiger Zeit eifrig feilen. Das alles wird zu einem sensationellen Moment gipfeln, wenn wir wieder mit lebendigen, offenen Augen und Ohren den schönen Tracks von HVOB folgen und unserer Tanzlust endlich wieder Ausdruck verleihen können.

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