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Johannes Grenzfurthner / monochrom

Film

„Masking Threshold“ - Der Wahnsinn unter dem Mikroskop

Johannes Grenzfurthners neuer Horrorfilm „Masking Threshold” ist ein klaustrophobischer Einblick in die Psyche eines Nerds. Wir haben den Regisseur zum FM4-Interview gebeten.

Von Xaver Stockinger

„Masking Threshold“ von Johannes Grenzfurthner wird ab dem 12. April drei Wochen lang im Schikaneder Wien gezeigt.

Horrorfilm, Video-Tagebuch, Psychogramm des Wahnsinns – Johannes Grenzfurthners neuer Film ist vieles, aber sicher nichts für Zartbesaitete. Im Zentrum steht ein IT-Nerd, der an einem Tinnitus leidet und sich im selbstgebauten Labor davon heilen will. Ein krudes Experiment jagt das nächste - was folgt, sind der komplette moralische Verfall und eine geballte Ladung Wahnsinn: Der Nerd wird zum Mörder.

Johannes Grenzfurthner, selbst bekennender Nerd und Begründer des Kunst-/Theorie-Kollektivs „monochrom“ beleuchtet in „Masking Threshold“ die dunklen, wahnhaften Ecken des Nerdtums. Auf internationalen Genre-Festivals wurde der Film bereits gefeiert, auf der Diagonale hatte er seine Österreich-Premiere.

Xaver Stockinger/FM4: Was war der Ausgangspunkt zu deinem Film vom „nerd gone mad“?

Johannes Grenzfurthner

CC BY-SA 4.0 / Johannes Grenzfurthner

CC BY-SA 4.0

Johannes Grenzfurthner: Die Grundidee war, dass ich eine Geschichte erzählen wollte über einen Typen, der tatsächlich wahnsinnig wird. Für die meisten Leute ist innerhalb der ersten Minuten klar, dass das nicht gut ausgehen kann. Der Typ ist nicht besonders freundlich, er ist ein relativ negativer Mansplainer. Aber trotzdem wollte ich eine Figur bauen, mit der man zumindest eine Zeit lang mitgehen kann, bei der man sich denkt: „Der Typ ist zwar nicht der sympathischste aller Menschen, aber irgendwie versteh ich, dass es ihm schlecht geht.“ Er hat einen Tinnitus, man erfährt immer mehr und von seiner traumatisierten Vergangenheit, den eigenartigen, auch gewalttätigen Familienverhältnissen, in denen er aufgewachsen ist, wodurch man bis zu einem gewissen Grad auch verstehen kann, warum er einen Knacks hat. Aber irgendwann ist der Punkt für alle Leute im Kino hoffentlich erreicht, an dem man sagt: „Irgendwie finden wir das alle nicht gut, was da gerade abgeht.“

Ich frage gerne Leute nach dem Film: Was war für euch der Punkt, ab dem es nicht mehr ging? Bis zu welchem Punkt könnt ihr den Charakter noch verstehen und ab wann sagt ihr: „Nein, der Typ ist einfach nur ein Arschloch, ich will mit ihm nichts zu tun haben.“ Und da gibt es total unterschiedliche Antworten. Manche Leute meinen, schon von Anfang an geht es gar nicht und andere sagen, erst wenn er die erste Person umbringt, geht’s nicht mehr. Aber bis er die erste Person umbringt, geht eigentlich schon relativ viel ab. (lacht)

„Eigentlich ist der Charakter im Film eine tausendmal schlimmere Version von mir selbst“

Wieviel von Johannes Grenzfurthner steckt in deinem nerdig-obsessiven Protagonisten?

Ich bin selbst auch ein sehr nerdiger Charakter. Ich verstehe es auch, in Obsessionen reinzukippen und sich in Sachen reinzutigern. Für mich ging es auch ein Stück weit um persönlichen Exorzismus. Wie wäre ich denn in so einer Situation? Eigentlich ist der Charakter im Film eine tausendmal schlimmere Version von mir selbst. Die ganzen Gedankengänge, die im Film vorkommen, dieses ganze prinzipielle Herangehen an die Welt ist mir nicht fremd. Einen Großteil der Dinge, die der Typ in dem Film sagt, würde ich wahrscheinlich beim Heurigen irgendwelchen Freunden genauso sagen. Der Punkt im Film ist aber, zu fragen: Was ist das Resultat daraus? Was macht der Typ aus seiner Ideologie und seiner Weltsicht und aus seinem Nerdtum? In welche Extreme geht er, um seine Ansichten bis zum Ende durchzudenken und auch durchzuhandeln?

Deinem Protagonisten einen Tinnitus zu geben, war wohlüberlegt.

Den Tinnitus habe ich deswegen gewählt, weil es so ein eigenartiger Grenzbereich ist. Ich habe viele Interviews mit Leuten geführt, die Tinnitus haben und mir aus ihrer Welt, aus ihrer Gehörwelt erzählen lassen. Es gibt immer wieder den Punkt, an dem die meisten Leute zum*zur Therapeut*in geschickt werden, weil es einfach ein Ende der wissenschaftlichen Behandelbarkeit gibt. Ich wollte etwas, das Leute in den Wahnsinn treiben kann, aber gleichzeitig auch etwas, das wissenschaftlich nachweisbar ist und eben auch nicht. Oft wird Leuten, die einen Tinnitus haben gesagt: „Hier hast du die Schmerztabletten, hier hast du eine Beruhigungstablette und hier ist die Telefonnummer vom Therapeuten.“ Mein namenloser Protagonist will sich damit nicht zufrieden geben. Er ist ein sehr wissenschaftsgläubiger, skeptischer Mensch und sagt: „Da gibt es einen positivistischen wissenschaftlichen Kern zu meinem Problem und ich will es lösen.“ Und diese ideologische Frage habe ich dann zum Extrem durchgespielt.

"Masking Treshold" Filmstills

Johannes Grenzfurthner / monochrom

Bis sich sein Wissenschaftsglaube in etwas Okkultes steigert.

Seine Weltsicht dreht sich um. Am Anfang schimpft er noch über Alchemisten, was das alles für Haderlumpen waren und wie unwissenschaftlich die nicht seien. Und im Endeffekt ist er am Schluss zum klassischen Alchemisten geworden, der irgendwie Vögel durch Kaffeefilter filtert und weiß Gott was. Im Laufe des Films wird er vom atheistischen Ungläubigen zu einem eigenartigen gottglaubenden Charakter. Also eigentlich dreht sich sein Weltbild vollkommen um, von Wissenschaftlichkeit auf Hyper-Glauben, in dessen Namen und Rahmen er alles tut.

Gedreht habt ihr den kompletten Film in deiner Wohnung in Österreich, der Film spielt allerdings in Florida/USA. Warum war es euch wichtig, die Geschichte in den Vereinigten Staaten zu verorten?

Für mich ist das Horror-Genre sehr mit Amerika verbunden. Vor allem Florida halte ich für einen Hort des positiven und auch negativen Wahnsinns in Amerika. Das Ganze spielt ja auch eine halbe Stunde von Disney World entfernt, in Central Florida. Ich kenne diese Gegend recht gut und konnte relativ viel von meiner Erfahrung in den Film hineinbringen. Aus den Vereinigten Staaten habe ich zwei Koffer voll mit amerikanischem Alltagsgut nach Österreich geschleppt, um den Labor-Bunker in meiner Wohnung realistisch einzurichten. Scheren, Essig, Kaugummis, alles was in diesem Film vorkommt, stammt aus den USA.

Aber die wichtigste Antwort, warum ich es in Amerika spielen lassen wollte, ist: Weil man im amerikanischen Gesundheitssystem oft sehr allein gelassen wird. Ich glaube, wenn man die Geschichte in Österreich spielen lässt, würde das so nicht so funktionieren. Man müsste nicht sein gesamtes Privatvermögen hergeben, um eine Tinnitus-Behandlung zu kriegen, wenn sie sich über ein paar Jahre hinweg zieht. Die amerikanische Gesundheits-Situation und die Gesundheitsvorsorge sind natürlich auch Teil dessen, weshalb das Ganze im Film so eskaliert und in den Wahnsinn abdriftet. Auch, dass die Hauptfigur schwul ist und in den amerikanischen Südstaaten wahrscheinlich lange Zeit Probleme damit hatte. All diese Elemente ergaben für mich ein stimmiges Bild, das notwendig war, um jemanden „over the edge“ zu pushen.

"Masking Treshold" Filmstills

Johannes Grenzfurthner / monochrom

Das Gesicht des Protagonisten, den du auch selbst spielt, sieht man im Laufe des Films kein einziges Mal. Was war der Gedanke dahinter, das Gesicht nicht zu zeigen?

Prinzipiell ist der Film ja zu 60-70 % mit Vergrößerungs-Optiken, mit Makro-Linsen gefilmt. Es geht eigentlich auch darum, dass eine Person, nämlich dieser Nerd in seinem Schreibtisch versinkt. Er ist eben kein Nerd mehr, der nach außen hin Interesse und Offenheit zeigt, was im positiven Sinne ein Nerd-Charakteristikum ist. Er setzt die Scheuklappen auf und fällt in seinen Schreibtisch. Er schaut sich alles in der Detail-Vergrößerung an, wodurch alles größer und auch furchtbarer wird. Er flieht sich gewissermaßen in diese makroskopische Welt der Vergrößerung. Und in diesem Zusammenhang brauche ich als Regisseur die ganze Person nicht mehr, ich brauche nur mehr Teile von ihr.

Der Schrecken in „Masking Threshold“ besteht zu einem großen Teil auch aus Ekel, etwa bei Großaufnahmen von wuchernden Zehennägeln, Nacktschnecken, Ohrenschmalz…

… selbst bei Pizza! Pizza schaut einfach nicht lässig aus in so einer extremen Vergrößerung. Dieser geschmolzene, fettige Käse, uääää. Ich glaube, alles schaut furchtbar aus in extremer Vergrößerung, weil man es einfach nicht gewohnt ist, es so zu sehen. Die ganzen Sachen, die im Film vorkommen, sind auch Sachen, vor denen ich mich persönlich auch bis zu einem gewissen Grad ekle. Nacktschnecken zum Beispiel. Aber ich habe meine Phobie vor Nacktschnecken durch diesen Film-Dreh geheilt. Mittlerweile kann ich Nacktschnecken auf meiner Hand herumklettern lassen und es macht mir überhaupt nichts mehr aus. Das passiert eben, wenn man zwei Monate lang Nacktschnecken im Terrarium hat und auf die aufpasst. Nach drei Tagen hatten sie alle Namen und ich habe sie mit den besten Erdbeeren gefüttert. Man baut halt eine Beziehung auf. Wir Primaten sind eigenartige Lebewesen. Wir bauen zu allem relativ schnell eine Beziehung auf.

Bei all dem Ekel und Schrecken in „Masking Threshold“ gibt es auch immer wieder Stellen des Humors.

Ich würde sagen, ein Großteil der künstlerischen Werke und filmischen Werke, die ich bis jetzt gemacht habe, sind eigentlich sehr humorvoll und versuchen auf unterhaltsame Art und Weise etwas Philosophisches oder Politisches näher zu bringen. Ich bin ein sehr humorvoller Charakter, ich kann das auch gar nicht abschalten. Aber bei diesem Film war klar, dass ich das sehr reduzieren muss und der Film eigentlich ein straight-up-Drama sein soll. Es konnte keine Comedy werden, das hätte nicht funktioniert. Aber es war schon klar, dass auch der Protagonist eine Art von Humor hat, einen schwarzen Humor oder irgendeine Form von Augenzwinkerei.

Der Film wirkt ja auch wie ein sehr eigenartiges YouTube-Video. Man weiß ja nie genau, ob man diesem Typen dabei zuhört, wie er mit sich selbst spricht oder ob man ihm zuhört, wie er mit der YouTube-Öffentlichkeit spricht. Das heißt, er performt ja auch bis zu einem gewissen Grad. Aber es ist nicht klar, wie viel er wirklich performt und wie viel nicht. Und ich finde, dass unser Sprecher Ethan Haslam das mit seiner Stimme super rüberbringt.

Du planst schon wieder weitere Filmprojekten, kannst du schon irgendetwas verraten?

Ich arbeite wieder an einem sehr nerdigen Thema. Eine Dokumentation über Do-It-Yourself Kultur und Hacker-Spaces aber auch über COVID und die Navajo, ein Tribe der Native Americans in den Vereinigten Staaten. Was das miteinander zu tun hat, möchte ich noch gar nicht verraten. Außerdem arbeite ich an einem sehr bizarren Horrorfilm, der anders als „Masking Threshold“ kein Crowd-Pisser, sondern ein Crowd-Pleaser sein wird. Heißen wird er „Razzennest“.

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