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Laurie Penny

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„The reason for writing books like these is to give people a sense that they’re not alone in the world!“

Konsens statt Gewalt lautet Laurie Pennys wichtigstes Plädoyer. Im Buch „Sexuelle Revolution“ beleuchtet die britische Feminist*in die Auswüchse des Patriarchats und stellt die wichtige Frage, was passieren muss, bis endlich alle Menschen in ihrer Sexualität frei sein können. Im Interview spricht Laurie Penny über Transphobie und J.K. Rowling, über Konsens und über die Macht der Sprache.

von Michaela Pichler

Knapp 500 Menschen sind Sonntag Nachmittag in das Wiener Gartenbaukino geströmt. Grund dafür war kein Film-Star, sondern ein britischer Literatur-Star. Die Kinoreihen haben sich schnell gefüllt, als „An Afternoon With Laurie Penny“ beginnt. Die nichtbinäre Autor*in und Journalist*in hat ein neues Buch geschrieben: „Sexuelle Revolution: Rechter Backlash und feministische Zukunft“ lautet der Titel, im englischen Original beschreibt auch schon das Cover perfekt, um was es in dem neuen Werk geht. „This is a story about how modern masculinity is killing the world, and how feminism can save it“ - das prangt in großen Lettern auf dem Buchcover, und diese Worte schmecken nicht allen. Auf die Interviewfrage, was bisher die überraschendste Reaktion aufs neue Buch gewesen sei, antwortet Laurie Penny:

Laurie Penny im Gartenbaukino Wien

FM4 / Michaela Pichler

Laurie Penny im Interview, kurz vor dem „Afternoon with Laurie Penny“ im Gartenbaukino Wien.

"The most surprising reaction was the backlash from transphobes who believed that feminism should be mostly concerned with attacking trans women essentially and saying that trans people shouldn’t be allowed to socially transition, that they’re a threat to „normal" people. And apparently because I came out as non-binary a few years ago, there has been a huge backlash. Because actually the book is not substantially about trans issues, but because the book proposes a kind of feminism which has different priorities that was seen as a betrayal of women, which I think is complete nonsense, but there have been some very surprising attacks on it within the UK.

Apropos UK: In den Reihen dieser zahlreichen rechten Trolle verbergen sich auch Leute wie J.K. Rowling, die Laurie Penny auf Twitter immer wieder anfeindet. Pennys Augen werden groß, als die Autor*in von den ersten Tagen des Buch-Releases erzählt.

„If you would have told eleven year old me that one day you’ll write a book, J.K. Rowling will yell at you about it and everybody will agree with you because she’s being very obviously mean. I would have been: what world will we going to grow up into? Bloody hell.“

Die sexuelle Revolution als Momentum

Trotz dem rechten und transphoben Gegenwind, den Laurie Penny vor allem in Social Media Kanälen zu spüren bekommt, stehen für die Autor*in die Zeichen auf Veränderung.

„Es ist etwas zerbrochen. Es bricht noch immer. Nicht wie Glas oder wie ein Herz, sondern wie eine Eierschale: unaufhaltsam und von innen. Etwas Feuchtes und Wütendes bahnt sich seinen Weg aus der Dunkelheit, und es hat Krallen.“ (aus „Sexuelle Revolution“)

Diese Wut, die Laurie Penny hier beschreibt, hat sich im Herbst 2017 nicht mehr aufhalten lassen. Als mutige Frauen in Hollywood ihr Schweigen gebrochen haben und die Taten von mächtigen Männern wie Harvey Weinstein aufgedeckt haben. Damit und mit einem Hashtag war die MeToo-Bewegung auf der ganzen Welt nicht mehr aufzuhalten.

„Sex ist nicht das Problem. Das Problem ist Sexismus.“

Wo startet eine sexuelle Revolution? Bei Laurie Penny steht und fällt das große Vorhaben mit dem Ende der allgegenwärtigen Gewalt gegenüber Frauen und queeren Personen. Als Gesellschaft müssen wir uns erst von diesem Sexismus befreien, damit auch unsere Sexualität frei sein kann – so Laurie Penny.

„Wenn eine Frau ihren Täter beim Namen nennt, ist das ein Akt der Rebellion. Wenn viele es tun, ist es eine Widerstandsbewegung.“

Schon in der Einleitung beschreibt Laurie Penny die MeToo-Debatte als Zeitenwende. Doch während sich Menschen überall solidarisieren und laut werden, herrscht für die betroffenen Überlebenden immer noch ein raues Klima. In einer Welt, in der Männer wie Donald Trump zu höchsten Machtpositionen gelangen, stehen Täter-Opfer-Umkehr und Gaslighting an der Tagesordnung. Die Revolution, von der Penny träumt, wird erst möglich sein, wenn Opfern geglaubt wird und Täter nicht mehr geschützt werden.

„Wie wäre es, in einer Welt zu leben und zu arbeiten, in der es schlimmere Folgen hat, eine Frau zu verletzen, als eine zu sein?“

Die MeToo-Bewegung ist nur eines der großen Kernthemen im Buch „Sexuelle Revolution“. Unbequeme Wahrheiten tun sich auf den knapp 400 Seiten auf, wenn Laurie Penny über Schönheitsideale, misogynen Hass im Netz, Pick-Up-Artists, die Neue Rechte, Abtreibungsgegner oder Vergewaltigung schreibt. Und das untermauert Penny nicht nur mit Studien, Zahlen und juristischen Präzedenzfällen – Penny schreibt auch über ihre eigenen Gewalterfahrungen im Patriarchat. Das Private ist eben politisch. Zwischen den Sitzen im Gartenbaukino kommen wir im Interview auch irgendwann auf Österreichs Gewalt zu sprechen. Auf das Land, das zu den Spitzenreitern in der EU gehört, wenn es um jährliche Femizide geht. Wo müsse ein Land wie Österreich ansetzen, um diesen gewaltvollen Teufelskreis endlich zu unterbrechen?

Laurie Penny "Sexuelle Revolution"

Edition Nautilus

„Sexuelle Revolution: Rechter Backlash und feministische Zukunft“ ist Laurie Pennys achtes Werk und in der Edition Nautilus erschienen.

How do you stop domestic violence anywhere? The violence within relationships and within families should not be the norm. It shouldn’t be accepted as normal, whether it’s physical violence or emotional domestic abuse of women, of children, of anybody within the family unit. And the idea that violence is always a potential within those relationships and that it is inherent to patriarchy and to the structure of male supremacy is a poisonous idea. It is. It’s central to the structure of patriarchal power. And that’s why you see so many far right leaders and dictators over the last few years have explicitly made domestic violence legal on the statute. In Hungary, there was a huge legal backlash against the basic rights of women and girls and queer people. And it is incredibly important to, like, advocate strongly for a society where domestic violence is not tolerated. At the moment, domestic violence is tolerated. A certain amount of femicide is tolerated within law. Rape is tolerated functionally. And until we acknowledge that and until we can look at that clearly, we cannot envision a world of actual sexual or social freedom for anyone.

Kopfschütteln, Konsens und die Macht der Sprache

Laurie Pennys „Sexuelle Revolution“ ist ein Buch zum Kopfschütteln. Nicht, weil die Gedankengänge nicht nachvollziehbar wären. Sondern weil die darin beschriebenen Lebensrealitäten von Frauen, People of Color und trans Personen immer noch von Gewalt und Missbrauch bestimmt werden. Für die sexuelle Revolution braucht es einen Gegenentwurf: Konsens statt Gewalt lautet Laurie Pennys wichtigstes Plädoyer. Die Consent Culture, die Penny sich für unsere Zukunft wünscht, sollte aber nicht beim Thema Sexualität aufhören.

Einvernehmlichkeit zu Hause, in der Arbeit, in der Politik und sowieso in jeglichem Zwischenmenschlichen. Laut Penny ist es dafür noch nicht zu spät. Doch es gibt immer noch Menschen, die Konsens nicht verstehen - bzw. nicht verstehen wollen.

"I think people have problems understanding consent, because consent is an idea that is unnecessarily surrounded by all kinds of myths. And I think there was a kind of weaponized ignorance at play there. And they always say, like, „What do women really want? It’s a mystery! We don’t know." Well, why don’t you just ask them? Why don’t you ask them and listen to what they have to say? Women will tell you if it’s safe to do so.

Diese Sicherheit, die Laurie Penny sich so sehr wünscht, schließt in „Sexuelle Revolution“ vor allem Frauen, genderqueere Personen, indigene Menschen, People of Color und Kinder ein. In jedem Kapitel macht die Autor*in deutlich, dass das System Patriarchat nur aus der Verschränkung von Kapitalismus, Sexismus, Rassismus und weiße Vorherrschaft funktioniert. Zahnräder im System, die so gut ineinandergreifen und damit die schmerzhafte Ungleichheit am Leben erhalten. Die letzte Frage, bevor Laurie Penny sich für die Lesung und die danach anschließende Diskussion vor dem vollen Gartenbaukinosaal ready macht: Was ist unser wichtigstes Werkzeug gegen dieses missbräuchliche System?

Information, connection and language. It’s very interesting how a lot of the coordinated backlashes against the sexual revolution come in the form of language policing, in lots of different languages, actually, because we can only imagine worlds, we have words to describe. Of course, I would think language is the most important tool. I’m a writer, so I would say that. But that’s another way of saying connection and community is our most important tool because nobody can do this. Nobody can fight this alone. And the reason for writing books like this is to give people a sense that they’re not alone in the world. I’m not alone in the world. And people need to feel seen – and this book is an attempt to help people to feel seen.

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