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Buchcover Die Tochter

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Queere Liebe im Spätkapitalismus

In Südkorea wird Kim Hye-Jin schon seit Längerem für ihre Romane gefeiert. Nun ist mit „Die Tochter“ ihr erstes Buch in deutscher Fassung erschienen. Darin widmet sich die Autorin der Geschichte einer Mutter, die zwischen dem queeren Lebensentwurf ihrer Tochter und den eigenen Wertvorstellungen ins Wanken kommt.

Von Melissa Erhardt

Green ist Mitte 30 und Lehrbeauftragte an der Universität. Ihre Mutter ist Mitte 60 und als Altenpflegerin bei einer Leiharbeitsfirma beschäftigt. Die beiden arbeiten hart – und kommen gerade so über die Runden. Als sich Green ihre eigene Miete irgendwann nicht mehr leisten kann, zieht sie bei ihrer Mutter ein. Doch am Umzugstag steht nicht nur Greens Gepäck vor der Wohnungstür ihrer Mutter: Vor der Tür wartet auch ihre Partnerin Rain - die Frau, mit der Green seit sieben Jahren ihr Leben teilt. Für die Mutter wird dadurch etwas Realität, das sie bisher zu verdrängen versucht hatte:

"Die Tochter" Buchcover

Hanser Verlag

„Die Tochter“ von Kim Hye-Jin ist im Hanser Verlag erschienen, in einer Übersetzung von Ki-Hyang Lee.

„Warum liebt meine Tochter Frauen? Warum quält sie mich damit und konfrontiert mich mit einem Problem, über das andere Eltern sich nicht einen Tag im Leben den Kopf zu zerbrechen brauchen? (…) Warum schäme ich mich bis ins Mark für dieses Kind, das ich selbst ausgetragen habe? Ich hasse mich für meine Scham, ihre Mutter zu sein. Warum bringt sie mich dazu, dass ich ihr Wesen verleugne und damit mich selbst und mein gesamtes Dasein?“

Such dir einen Mann und heirate!

Was auf den nächsten 170 Seiten folgt ist der innere Kampf einer Mutter, die in ein Dilemma kommt: Auf der einen Seite steht ihre geliebte Tochter, der Mensch, den sie über alles auf der Welt liebt und den sie auf keinen Fall verlieren möchte. Auf der anderen Seite ist da aber ihre konservative Einstellung gegenüber Lebensformen, die nicht dem gesellschaftlichen Ideal entsprechen:

„Die neugierigen Nachbarn werden herüberkommen und sie ansprechen, während die beiden Mädchen herumalbernd ihr Gepäck entladen. Das Ehepaar wird die Neuigkeiten mit ziemlicher Sicherheit im ganzen Viertel verbreiten. Auch ihren erwachsenen Kindern werden sie es brühwarm erzählen, wenn diese mit ihren Familien am nächsten Feiertag zu Besuch kommen. Natürlich sind sie selbst die Vorzeigefamilie schlechthin.“

Die Mutter hadert, ist hin- und hergerissen. Sie zwingt sich selbst, wegzuschauen, will nicht wahrhaben, was sich vor ihren Augen, in ihrer eigenen Familie, abspielt. Immer wieder versucht sie ihre Tochter zur Besinnung zu bringen, sie doch noch auf den „richtigen“ Weg umzuleiten:

„Es ist noch nicht zu spät. Such dir einen anständigen Mann und heirate. Hab Kinder. Jeder macht Fehler, wenn er jung ist.“

Ihre Reaktion spiegelt wohl den gesellschaftlichen Status-Quo im Land wieder: In Südkorea ist Homosexualität seit 2003 zwar nicht mehr strafbar, die Akzeptanz in der Gesellschaft ist aber weiterhin gering. Schutz vor Diskriminierung gibt es nicht; weder im Arbeits- noch im Wohnbereich. Immer wieder kommt es bei queeren Veranstaltungen zu gewaltvollen Gegendemonstrationen – meistens organisiert von religiös-rechten Gruppierungen. Auch im Buch spielt Kim Hye-Jin auf so eine Demo an der Universität an:

„Leute sind gestürzt und andere dann blind über sie hinweggetrampelt. Es wurden Gegenstände geworfen. Und die Polizei hat nur zugesehen. So viele haben einfach nur zugesehen. (…) Diese Menschen. Da war keine Menschlichkeit.“

Der Struggle des Spätkapitalismus

„Die Tochter“ ist aber nicht nur ein queerer Roman: Kim Hye-Jin liefert darin viel mehr ein Abbild eines modernen, aber zutiefst ungleichen Südkoreas. Ein einfacher Job reicht hier oft nicht mehr aus, um über die Runden zu kommen, Menschenwürde wird oft hinter den Profit gestellt – etwa in der Altenpflege, wo Windeln in Streifen geschnitten werden, damit eine gleich für mehrere Wechsel reicht. Das Altwerden in einer von Leistung und Produktivität getrieben Gesellschaft nimmt im Roman sowieso viel Platz ein. Besonders deutlich macht Kim Hye-Jin das in der Mutterfigur, die von Tag zu Tag stärker mit ihrer eigenen Vergänglichkeit kämpft – und dabei ihren Selbstwert schrumpfen sieht:

„Überall sind nur junge Leute. Dazwischen ich, mit meinen Falten und Altersflecken. Dünne Haare und ein krummer Rücken vervollständigen mein desolates Erscheinungsbild. Ich passe nicht hierher.“

Manchmal klingen diese inneren Monologe der Mutter zwar fast ein bisschen pathetisch – das liegt aber wahrscheinlich daran, wie zerbrechlich die Mutterfigur gezeigt wird, wie ungeschönt wir Einblick in ihre tiefsten Ängste und Sorgen bekommen. Es schmerzt, was wir lesen: Die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, der Generationenkonflikt, der eine Barriere zwischen sie und ihre eigene Tochter treibt, die Geldnöte, die jegliche Freude am Leben überschatten, das Hören von Dingen, die man eigentlich lieber ignorieren würde. Genau dieses absichtliche Nicht-Verschonen der Leser*innen, diese melancholische Grundstimmung des Buches ist es aber auch, was „Die Tochter“ so lesenswert macht.

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