FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

"The Innocents" Kinder Bilder aus dem Film

Polyfilm

FILM

„The Innocents“: The kids are not alright

Ein zurückhaltend inszenierter Horrorthriller, der aber tief unter die Haut geht: Der skandinavische Regisseur Eskil Vogt zeigt Kinder, die zum Fürchten sind.

Von Christian Fuchs

Am Anfang ruht die Kamera lang auf dem friedlichen Gesicht eines kleinen Mädchens. Wir werden die blonde Ida noch öfter in einem Close Up sehen in diesem Film, ihr vermeintlich unschuldiger Blick jagt uns aber bald Angst ein. Denn der Filmtitel dieses norwegischen Horrorthrillers täuscht natürlich. Wirklich unschuldig sind die kindlichen Charaktere in „The Innocents“ nicht.

Ida zwickt und quält gerne ihre autistische Schwester Anna, wenn die überforderten Eltern gerade nicht hinschauen. Auch zu Tieren hat sie nicht gerade ein empathisches Verhältnis. Seit die Familie in einen anonymen Wohnblock eingezogen ist, fühlt sich das Mädchen noch entfremdeter, verbirgt ihre Gefühle aber vor Mama und Papa.

"The Innocents" Kinder Bilder aus dem Film

Polyfilm

Als Ida einen nachdenklich wirkenden Jungen aus der Hochhaussiedlung kennenlernt, ist sie ganz angetan. Denn der verschrobene Ben hat scheinbar besondere Fähigkeiten. Wenn er sich angestrengt konzentriert, kann er mit seinen Gedanken Gegenstände bewegen. Seiner alleinerziehenden Mutter erzählt der Bub mit migrantischem Background aber davon nichts.

Das hört sich bis zu diesem Punkt beinahe nach einer Vorlage von Stephen King an, dem Spezialisten für minderjährige Außenseiter*innen mit very special skills. Der skandinavische Regisseur und Autor Eskil Vogt inszeniert diese paranormalen Momente allerdings mit minimalen Spezialeffekten, überhaupt verzichtet er in „The Innocents“ auf reißerische Schocks. Trotzdem oder gerade deswegen ist ihm einer der gruseligsten Filme der letzten Jahre gelungen.

Die monströsen Abgründe des Heranwachsens

Es liegt eine zutiefst beklemmende Atmosphäre in der Luft in „The Innocents“. Obwohl der Film fast zur Gänze bei Tageslicht spielt, von Sonnenstrahlen durchflutet, lassen einen die zunehmend grausamen Taten der Kids frösteln. Während Ida emotional zerrissen scheint, gibt sich Ben ganz seiner morbiden Neugierde hin. Eine Katze verschwindet in der Nachbarschaft, mysteriöse Unfälle häufen sich.

"The Innocents" Kinder Bilder aus dem Film

Polyfilm

Furchterregende Kinder haben eine lange Tradition im Gänsehaut-Kino, von satanischen Sprößlingen wie in „The Exorcist“ und „The Omen“ bis hin zu außerirdischen „Children Of The Damned“ und grinsenden Sadistinnen wie in „The Bad Seed“. Das österreichische Psychodrama „Ich seh, ich seh“ gehört ebenso wie der US-Arthouse-Schocker „We Need To Talk About Kevin“ zu den eindringlichsten Beispiele aus jüngerer Zeit.

Womit all diese und andere Filme kokettieren, ist unser Wissen um die durchaus monströsen Abgründe des Heranwachsens. Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich etwa an traumatische Augenblicke, wenn es im Kindergarten um das Ausloten und Erforschen von Grenzen ging.

Zerstörte Sandhaufen, ausgerissene Haare und Spuckeflecken auf der Kleidung waren eine Sache, zertretene Regenwürmer und zerstörte Ameisenhaufen eine andere. Auch in „The Innocents“ sind zuerst Tiere die Opfer, fast möchte man eine Triggerwarnung für Zuseher*innen aussprechen, die dazugehörige Gewaltszenen, klarerweise fiktiver Natur, nicht ertragen.

"The Innocents" Kinder Bilder aus dem Film

Polyfilm

Michael Haneke meets Stephen King

Eskil Vogt, der wir neben dem Skript zum Psychothriller „Thelma“ auch die Drehbücher für alle anderen Filme des fantastischen Joachim Trier verdanken, weicht bis zur letzten halben Stunde seiner neuen Regiearbeit naheliegenden Genreklischees aus. Dann spitzt sich „The Innocents“ zwar erwartungsgemäß dramaturgisch zu, eine banale Erklärung für die bizarre Phänomene in dem Wohnblock bleibt uns der Norweger aber glücklicherweise schuldig.

Vogt beobachtet Ida, Ben & Co. fast mit der klinischen Kühle eines Michael Haneke. Assoziationen an „Bennys Video“ oder „Das weiße Band“ werden wach. Gleichzeitig nähert sich Vogt seinen infantilen Protagonist*innen auf Augenhöhe und lässt Erwachsene nur als Nebenfiguren auftauchen. Dank atemberaubend natürlicher Kinderakteure wie Rakel Lenora Fløttum oder Sam Ashraf kann er sich diese Perspektive auch erlauben.

"The Innocents" Kinder Bilder aus dem Film

Polyfilm

Der strenge formale Zugang funktioniert erschreckend gut, der Realismus macht sich bezahlt. Es tummeln sich keine diabolischen Horrorkinder in „The Innocents“, die man locker ins Reich der Fiktion abschieben kann. Die lieben gemeinen Kleinen könnten aus der persönlichen Umgebung stammen.

mehr Film:

Aktuell: