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Florian Scheuba schaut ernst vor dunklem Hintergrund

Peter Rigaud

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Von vollen Hosen und anderen Stinkbomben

In seiner Polit-Skandal – Besprechungszusammenschau „Wenn das in die Hose geht, sind wir hin“ leistet Florian Scheuba elementare (Kurzzeit-)Gedächtnis- und Besorgnisarbeit.

Von Albert Farkas

Vielleicht war „So sind wir nicht!“ (das Rufzeichen rhetorischem Interpretationsspielraum entsprungen) von vornherein die falsche Art der Beteuerung, das einleitende Adverb ein klassisch-diffuser Türöffner für die willkürliche Vorstellung aller möglichen mutmaßlich impliziten Verhaltensformen, und das Personalpronomen unmöglich pauschal. Knappe drei Jahre später könnte sich Bundespräsident van der Bellen schon mal die Frage stellen, ob seine Stellungnahme zur journalistischen Auswertung des Ibiza-Videos am 18.5.2019 wirklich der angemessene Anlass war, so etwas wie einen imaginierten Bevölkerungscharakter zu beschwören.

Eine Korruptionskavalkade

Seit diesem Tag sind die Inseratenaffäre, Glücksspielgesetz-Affäre, Schredder-Affäre, Wirecard-Affäre, Ideenschmiedeaffäre, Krankenhaus Nord – Energiering – Affäre und etliche mehr ins Land gezogen und ans Licht gekommen. Am pointiertesten dokumentiert und analysiert hat sie möglicherweise der Humorist Florian Scheuba, seit mehr als drei Jahrzehnten fixer Bestandteil der intelligenten Comedy-Szene (Die Hektiker, Die 4 da, Die Staatskünstler), der sich im Zuge seiner Tätigkeit als Kolumnist für Medien wie zum Beispiel Der Standard mehr und mehr die Berufsbeschreibung des investigativen Kabarettisten zugeeignet hat. Jetzt hat Scheuba die durchdringendsten seiner Kommentare der letzten drei Jahre zusammengeführt, aus gegenwärtiger Sicht in Kontext gesetzt, und in dem Kompendium „Wenn das in die Hose geht, sind wir hin“ veröffentlicht.

Florian Scheuba: "Wenn das in die Hose geht, sind wir hin"

Zsolnay

Florian Scheuba: „Wenn das in die Hose geht, sind wir hin“, erschienen bei Zsolnay

Der Titel des Buches entspringt dem Wortlaut einer SMS-Nachricht von Thomas Schmid, dem Katalysator des Zusammenbruchs der Liste Kurz. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Skandal-Vollständigkeit bezüglich der bekannten Affären (dazu hätte Scheuba, wie er richtig anmerkt, fairerweise bis zu den frühen 1980ern ausholen müssen, als Österreich angesichts der Vergehen der damaligen SPÖ-geführten Regierungen zum ersten Mal den Ruf als Skandalrepublik erlangt hat), noch selbstverständlich der noch unbekannten.

Denn von diesen Letzteren dringen Dank Ermittlungen, Untersuchungsausschüssen, Reportagen und journalistischen Recherchen ja nach wie vor fast jeden Tag neue an die Öffentlichkeit, und Scheuba wollte beim Jahreswechsel von 2021 auf 2022 den vorläufigen Schlussstrich ziehen, „weil gerade in den letzten Jahren und Monaten so wahnsinnig viel gleichzeitig passiert ist, dass viele Menschen möglicherweise anfangen, Dinge schon wieder zu vergessen, die erst vor vergleichsweise kurzer Zeit geschehen sind.“

Katalog der Unverfrorenheiten

Scheuba war persönlich bei zahlreichen Untersuchungsausschüssen anwesend. Er hat mehrere Ermittlungsakten ausführlich studiert und unterhält ein eigenes Privatarchiv an innenpolitischen Ungeheuerlichkeiten und damit verbundenen grotesken Äußerungen. Größtenteils bezieht er den Humor an den diversen Mauscheleien daraus, dass er die Protagonist*Innen einfach beim Wort nimmt.

Und wenn diese regelmäßig verbale Ungelenkheiten wie „Im Krisenfall eines Strafverfahrens bemühen sich alle um Korrektheit“ (Ex-FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer über die vermeintliche Überflüssigkeit von Hausdurchsuchungen), „Ich kann mir das schon deshalb nicht erklären, weil diese abstoßenden Worte im völligen Widerspruch zu meiner Persönlichkeit (...) stehen“ (der suspendierte Generalsekretär im Justizministerium Christian Pilnacek über von ihm verschickte SMS hinsichtlich der Ermittlungstätigkeiten der WKStA) und „Ich habe nie nach Spenden gefragt, sondern mich dafür bedankt“ (Bundeskanzler a.D. Sebastian Kurz) zur Verschleierung oder Verzerrung ihres Wirkens und ihrer Ansichten von sich geben, ist der diesbezüglich Tisch reich gedeckt.

Scheuba quittiert diese reihenweise Freud’schen Auswürfe mit witzigen Wortneuschöpfungen („Meinungsdesignerin“ über Sabine Beinschab, „Kurzology“ als Name der Religion der diversen Kurz-Apologet*Innen), „Erpresserfreiheit“ über das Unterfangen Wolfgang Fellners, eine höhere Presseförderung für Österreich einzuklagen), amüsanten Metaphern („Als Botschaft an die Korruptionsstaatsanwaltschaft wirkte die Pressekonferenz wie der Versuch eines Tormanns, den Elfmeterschützen durch Zurufe und Herumgezappel aus der Ruhe zu bringen“ über die öffentliche Erklärung der ÖVP-Vizegeneralsekretärin Gabriela Schwarz am 28.9. des letzten Jahres, dass sich eine Hausdurchsuchung in der ÖVP-Parteizentrale erübrigen würde, „weil nichts mehr da ist.“) und Derbheiten, die einfach sitzen:

„Ob man Gernot Blümel und Sebastian Kurz für Säulen der Demokratie hält oder nur für Pfosten, liegt letztlich im Auge des Betrachters.“

Am Kipppunkt

Florian Scheuba hat in einer Zeit, in der es der zu persiflierenden politischen Umtriebe schon einige zu viel gibt, hier auf 150 Seiten ein wichtiges Stück Erinnerungsarbeit geleistet, und dadurch die systemischen Voraussetzungen für Postenschacher, Gesetzeskauf, Medienmeinungsmonopolisierung, Verflechtungen und Korruption aller Art vor Augen geführt. Damit ist klar: ein bestimmter Schlag Menschen, um wieder an van der Bellen anzuklingen, ist so, und das österreichische Politiksystem begünstigt ihn dabei, seine Neigungen auszuleben. Ein Schlag Menschen, den man, zumindest im Falle eines Maturanten ohne jegliche relevante vorherige Lebenserfahrung und ohne Botschaften, die auf irgendeine Art von Substanz abzielen, schon auf mehrere tausend Kilometer Entfernung hätte ausmachen können.

Vielleicht kann das Buch „Wenn das in die Hose geht, sind wir hin“ also auch dazu beitragen, eine Sensibilisierung in Richtung eines Korruptionshangfrüherkennungssystems bei den Wähler*Innen herbeizuführen – falls die Gesellschaft, und das ist vielleicht der Knackpunkt, nicht schon an einem Punkt angekommen ist, an dem der überwiegende Teil der Bevölkerung angesichts von zunehmender Ressourcenverknappung, damit einhergehender Lebensstandarderhaltungsdauerpanik und eskalierender Polarisierung Korruption als akzeptable „Gegenleistung“ für Nullzuwanderung, nationalistische Selbstbeweihräucherung und die Abkehr von CO2-Steuern erachtet, wie zum Beispiel in Ungarn. Bis dahin kann man, wenn man möchte, auch noch für das sich in der Unterstützungsphase befindliche Anti-Korruptionsvolksbegehren unterschreiben.

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