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Friends Gruppe aus Personen unterschiedlichsten Genders

Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection

TERF-Debatte: Wer macht Gender?

Feminismus ist nicht gleich Feminismus. Wer sich in die Gräben des feministischen Diskurses begibt, wird das schnell erkennen, denn es gibt unheimlich viele Strömungen und Dispute. Gestritten wird um Pornos und Sexarbeit oder auch darum, ob feministische Kämpfe auch trans* und nichtbinären Personen gelten. Ist das nur ein Generationenkonflikt? Schön wär’s.

Von Aischa Sane

sie/ihr, sie/they, they/them, they/he

Zeige mir deine Instagram Bio und ich sage dir, wer du bist. Die Pronomen im Social Media Profil anzugeben, um Solidarität mit trans* und nichtbinären Personen zu bekunden, gehört zum guten Ton. Seit einiger Zeit gibt es auf Instagram zu dem Zweck sogar ein spezielles Feature. Viele Personen entscheiden sich aber bewusst dagegen. Ganz bewusst, als Zeichen von Protest.

Der Feminismus sogenannter TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) gilt nur „biologischen Frauen“. Also denen, die auch als Frauen geboren sind. In dieser Sache wird sich klar von trans und nichtbinären Personen abgegrenzt. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Argumentation und Diskriminierung schnell. Hardliner*innen stören sich nicht nur an der Existenz von trans* Personen in feministischen Räumen, sondern aberkennen ihnen ganz grundsätzlich ihre Identität.

Trans*exklusiv bis trans*feindlich

Es gibt nicht viele Daten über trans* Personen in Österreich. 2017 wurden bundesweit 309 geschlechtsangleichende Operationen bei 172 Personen durchgeführt. Laut Studien aus den USA wird bei 0,35-0,6 Prozent der Bevölkerung Geschlechtsdysphorie diagnostiziert.

Wovon ist sexistische Diskriminierung abhängig und wer leidet darunter, basierend auf welchen Merkmalen? Das ist nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine Definitionsfrage – mit der sich feministische Aktivist*innen und Denker*innen über alle Wellen des Feminismus hinweg beschäftigen.

Was eine Frau ausmacht und ob eine Person überhaupt eine Frau sein muss, um patriarchale Diskriminierung zu erfahren, da sind sich nicht alle Feminist*innen einig. TERFs wissen: Eine Frau ist nur, wer als solche geboren wurde. Es ist ein simpler Standpunkt. Und auch einer, der nichtbinären und trans* Personen potenziell ihre Existenzberechtigung im Feminismus abspricht. Nicht nur beiläufig, sondern zumeist ganz deutlich und selbstbewusst.

Friends Gruppe aus Personen unterschiedlichsten Genders

Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection

Die Grenze zwischen argumentativer Auseinandersetzung sowie diskriminierenden Tropen und Talking Points verläuft häufig fließend. So eignen sich TERFs die Argumente zur Debatte darum, wer auf welches Klo gehen darf, aus konservativen Kreisen an. Dabei sprechen sie trans* Frauen das Frausein ab und Gewaltpotenzial zu. Trans* Frauen seien nämlich Männer, die sich nicht nur auf Toiletten, sondern auch in feministischen Diskussionen und Safer Spaces Raum nehmen, der ihnen nicht zusteht. Und wer sich nicht mehr mit dem Geburtsgeschlecht ‚Frau‘ identifiziert, erlaube sich einen einfachen, reaktionären Ausweg aus dem Patriarchat. Und erschwere den „richtigen“ Feminist*innen den Kampf gegen ebendieses. Es geht um’s Prinzip.

Cancel Culture und Sprechverbote

Joanne K. Rowling und Chimamanda Ngozi Adichie stammen aus sehr unterschiedlichen Kontexten. Doch verbindet sie einiges. Chimamanda avancierte in den letzten Jahren zu der modernen, feministischen Stimme Nigerias. JK Rowling hat mit der Harry-Potter-Reihe Kultstatus erreicht. Beide Schriftstellerinnen bekennen sich in aller Deutlichkeit zum Feminismus und haben mit ihrem Schaffen sicher die ein oder andere Tür eingetreten. Und beiden wird vor allem in den sozialen Medien vorgeworfen, dass sie TERFs sind. Beide verwahren sich lautstark gegen die Vorwürfe.

Die Debatte um Joanne K. Rowling spielt sich fast ausschließlich auf Twitter ab. Vor etwa drei Jahren begann sie dort nämlich, sich „gender critical“ zu äußern. Ihr Tweet, in dem sie die inklusive Umschreibung „People who menstruate“ in Frage stellt, ist seit zwei Jahren Gegenstand etlicher Diskussionen. Einer der Topkommentare darunter lautet: „Hi! I’m a man! I menstruate! Stop being an asshole!“ Damals positionierte sie sich in einem Brief zu Ansichten, die auf Twitter erkennbar wurden. Heute retweetet sie zum großen Teil Inhalte, die „gender critical“ sind. Viele davon thematisieren das Detransitioning von Personen, die trans* waren und nun zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren.

Akwaeke Emezi

Akwaeke Emezi

Akwaeke Emezi

Chimamanda Ngozi Adichie ist weniger auf Twitter aktiv, hat aber letztes Jahr in einem offenen Brief mit dem Titel „It Is Obscene“ sehr deutlich dargelegt, wie sie zu der Diskussion um trans* Personen steht. Vor allem formuliert sie eine Kritik an der online vorherrschenden Diskussionskultur, thematisiert dabei aber kaum die eigenen diskriminierenden Tendenzen. Für diese Stellungnahme erntete sie einiges an Lob, unter anderem von dem konservativen Autor Ben Shapiro. Zuvor wurde sie von Akwaeke Emezi online und sehr öffentlich der Trans*feindlichkeit beschuldigt. Akwaeke ist ein*e nichtbinäre, nigerianische Schriftsteller*in und wird in Chimamandas Brief durchgehend als Frau gegendert.

Anders als feministische Nischen und Safer Spaces sind Soziale Netzwerke eine offene Arena. Hier können sich alle beteiligen. Das birgt zweifellos ein großes Potenzial für zwischenmenschliche und verbale Entgleisungen. Wie im Fall von Chimamanda tritt die TERF- und Gender-Debatte auch häufig gleich eine Diskussion um Cancel Culture und Sprechverbote los. Keinesfalls soll das aber bedeuten, dass dieser Konflikt im realen Leben nicht stattfindet. Die wenigsten Feminist*innen werden außerhalb des Internets effektiv gecancelt, siehe Kathleen Stock, aber gewisse feministische Räume und Kontexte sind für trans* Personen nicht zugänglich.

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Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection

Sprache Macht Frau?

TERFs kommen oft, aber nicht exklusiv, aus dem radikalfeministischen Lager und gehörten bisher in der Regel einer älteren Generation von Feminist*innen an. Trans*exkludierende Feminist*innen halten nicht viel von dem Begriff, der ihnen zugeschrieben wird. Und auch nicht davon, Feminist*innen zu gendern.

Die Diskussion um die „richtige“ feministische Sprache ist eine besonders verzwickte. Trans*exklusive Feminist*innen kritisieren, dass Frauen bei dem Anspruch der inklusiven Sprache sexistisch diskriminiert werden. Die Unterdrückung der Frau in Patriarchat könne nicht benannt werden, wenn sich auf sie beispielsweise unter dem Oberbegriff FLINTA* bezogen wird. Der Grundsatz lautet also: Frauen werden diskriminiert, weil das ihr biologisches Geschlecht vorgibt. Nicht weil sie sich als Frau verstehen, oder so gelesen werden. Und wer was anderes sagt, beteiligt sich an ihrer Unterdrückung.

Dimension Social Media

Sîdal Keskin ist für LINKS Wien Bezirksrät*in Ottakring und nichtbinär. Sîdal verwendet keine Pronomen. Sîdal betont im Interview, dass die Debatten online für trans* und nichtbinäre Personen überwiegend verletzend und belastend sind und viele sich davon regelmäßig eine Auszeit nehmen müssen. Vor allem online existiert selten eine faire und humane Diskussionsgrundlage. Sîdal sieht in der digitalen Austragung der Konflikte ein großes Problem:

Faktoren wie Follower*innenzahl, Reichweite, wie populär die Themen aktuell sind, prägen so die Hierarchie in diesen Konflikten.

Und: Im digitalen Raum erfährt keine der beiden Seiten Unterstützung oder Betreuung - das wäre für einen konstruktiven Austausch nötig: „Das sind beides Seiten, die quasi Betreuung brauchen von einer Community, und das findet im Internet halt nicht statt, weil es auf diese Art und Weise gar nicht stattfinden kann.“

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