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Wie weit soll Klimaaktivismus gehen?

Fabian Dablander von Scientist Rebellion im Interview über die Grenzen der Wissenschaft und Aktionismus, der aufrütteln soll.

Von Rainer Springenschmid

Klimaaktivismus ist lebensgefährlich – nicht nur im brasilianischen Regenwald, auch in Österreich. Dass im Dezember in der von auto-affinen Politiker:innen aufgeheizten Stimmung ein Brandanschlag auf das Lobau-Protestcamp glimpflich ausgegangen ist, war purer Zufall. Auch die Hakenkreuzschmierereien und verbalen Bedrohungen wenige Wochen danach sind von den Wiener Stadtpolitiker:innen ohne große Aufregung zur Kenntnis genommen worden. Ermittlungsergebnisse sind bis dato keine öffentlich bekannt, weder im Fall des Mordanschlags noch im Fall der Bedrohung durch mutmaßliche Neonazis. Deutliche Bekenntnisse zum Schutz der Protestierenden blieben aus.

Es ist eben auch in Österreich so, dass sich regierende Politiker:innen nicht gern in die Suppe spucken lassen, auch nicht von jungen Menschen, die verzweifelt um ihre Zukunft kämpfen. Im Gegenteil, auch das zweite von drei Wiener Lobau-Protestcamps gegen den Bau der euphemistisch „Stadtstraße“ genannten Autobahn ist mit einem ziemlich ruppigen Polizeieinsatz geräumt worden.

Die Lobau-Proteste in Wien gehen weiter, aber ziviler Ungehorsam für den Klimaschutz ist kein österreichisches Phänomen: Der Hambacher Forst in Deutschland ist von Aktivist:innen gegen den Kohleabbau seit fast exakt zehn Jahren besetzt, und Gruppen wie Extinction Rebellion oder auch Scientist Rebellion machen immer wieder auf die drängende Klimafrage aufmerksam.

6. November 2021, Glasgow: Während die Klimakonferenz COP26 in der Stadt tagt, ketten sich 21 Wissenschaftler:innen von Scientist Rebellion auf der zentralen King George V Bridge aneinander und blockieren den Autoverkehr.

Scientist Rebellion ist eine Gruppe von Wissenschafter:innen, die die Politik mit Aktionismus aus ihrer Passivität aufrütteln will. Der Linzer Fabian Dablander, 29, macht sein Doktorat in angewandter Statistik an der Uni Amsterdam zum Thema Kipppunkte. Er engagiert sich seit Herbst im niederländischen Ableger von Scientist Rebellion.

Was hat dich als Wissenschafter dazu bewegt, aktionistisch zu werden?

Fabian Dablander: Es ist eine absolute Notfallsituation und zwar wirklich jetzt. Die nächsten fünf bis zehn Jahre sind entscheidend für die Zukunft der Menschheit. Da kann ich nicht sagen, „okay, aber ich habe doch eh kein Fleisch gegessen und meinen Beitrag geleistet“, sondern da muss man wirklich aktiv werden und versuchen, möglichst systemische Veränderungen herbeizuführen. Und das geht halt nicht alleine.

Was macht Scientist Rebellion anders als zum Beispiel die Gruppe Scientists for Future?

Fabian Dablander: Scientist Rebellion ist eine Bewegung aus Wissenschafter:innen und Akademiker:innen, die die Alarmglocken läuten mit Aktionen statt mit wissenschaftlichen Publikationen. Die Wissenschaft hat großartige Arbeit geleistet. 1990 gab es den ersten IPCC Report, heuer kam der sechste, und gleichzeitig sind die CO2-Emissionen um 60 Prozent gestiegen. Wir haben also ein politisches Versagen enormen Ausmaßes, das ist kein Informationsdefizit, wir müssen die Strategie verändern: Wie leisten wir Überzeugungsarbeit?
Scientist Rebellion ist gegründet worden, um die wissenschaftliche Community zu mobilisieren, in den zivilen Ungehorsam zu gehen, also vom Elfenbeinturm auf die Straße sozusagen. Das ist der Unterschied zu Scientists for Future. Die leisten auch großartige Arbeit, sie agieren mehr unterstützend für Fridays for Future zum Beispiel oder sie organisieren Protestmärsche oder Webinare.

An welchen Aktionen hast du zum Beispiel teilgenommen?

Fabian Dablander: Wir haben hier in den Niederlanden vorletzte Woche zur Veröffentlichung des dritten Teils des IPPC Reports verschiedene Aktionen durchgeführt. Ganz klassisch eine Paneldiskussion zur Rolle der Wissenschaft und der Wissenschafter:innen in dieser Krisensituation, dann einen Protestmarsch. Wir haben einen Eingang vom Ministerium für Wirtschaft und Klima in Den Haag blockiert. Da war auch sehr schnell Polizei da und da haben wir diskutiert und Reden gehalten und es sind dann auch einige von uns verhaftet worden.

Scientist Rebellion hat den dritten Teil des IPCC Reports vorab geleakt, bevor er durch die Regierungen bearbeitet – manche sagen, abgeschwächt – wurde.

Fabian Dablander

Privat

Fabian Dablander

Fabian Dablander: Genau, es gibt den ganzen Report – das sind bis zu 4.000 Seiten – und dann gibt es einen Summary for Policy Makers. Das ist eine kondensierte Version von 40 bis 50 Seiten, die von den meisten gelesen wird. Diese Zusammenfassung wird vor der Veröffentlichung den Regierungen vorgelegt. Scientist Rebellion hat diesen Text geleakt, bevor Regierungen auf der ganzen Welt den zu sehen bekamen und dann Zeile für Zeile sagen konnten, „das passt uns, das passt uns nicht, das müssen wir umformulieren“ und so weiter. Das war nicht erlaubt und es wird auch nicht gern gesehen, aber es ist auch nicht strafbar. Es gab da keine Konsequenzen. Ich persönlich bin durch den Leak auf Scientist Rebellion gestoßen, weil ich dachte, „ja, cool, kann ich das ein Jahr früher lesen“.

Ziviler Ungehorsam ist nicht überall gern gesehen. Befürchtest du Karrierehindernisse durch dein Engagement?

Fabian Dablander: Nicht wirklich. Natürlich, ich bin kein Senior Professor, der machen kann, was er will. Es ist schon für mich auch ein bisschen eine Gefahr hier. Aber das Feedback, das ich bisher bekommen habe und das auch andere bekommen haben, war eigentlich nur positiv. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen gesellschaftlich, wo man merkt, das ist einfach notwendig. Ich glaube, wir sind am Anfang von einer Welle des zivilen Ungehorsams.

Hast du persönliche Grenzen, was du an Aktivismus mittragen möchtest und was nicht mehr?

Fabian Dablander: Natürlich absolut immer gewaltfrei, keine Frage. Auch Scientist Rebellion ist eine gewaltfreie Bewegung. Es gibt gerade Debatten: Ist friedliche Sabotage in Ordnung? Da hat es zum Beispiel eine Aktion gegeben bei Ende Gelände [Protestbewegung gegen den Braunkohleabbau in Deutschland, Anm.] im Jahr 2015, die den Kohleabbau blockiert haben mit tausenden Leuten. Kein einziger hat da zum Beispiel einen Bagger auseinandergenommen. Da ist die Frage: Hätte man den Bagger auseinandernehmen können, weil Kohle der schlimmste fossile Brennstoff ist und Kohle abzubauen, Kohle zu verbrennen auch eine Gewaltaktion darstellt? Das sind die Überlegungen, die jetzt mehr diskutiert werden. Ich selbst muss da noch mehr drüber nachdenken. Aber auf alle Fälle gewaltfrei, Gewalt geht gar nicht.

FM4 Auf Laut: Wie weit soll Klimaaktivismus gehen?

Darüber diskutiert Claus Pirschner mit Gäst:innen vom Lobau Protestcamp, Rett ma die Schütt und Scientist Rebellion – anrufen und mitdiskutieren unter 0800 226 996 oder Diskussionsbeiträge per Whatsapp Sprachnachricht an 0664 828 4444.

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