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Poppy Ajudha for "Playgod"

Poppy Ajudha

Prägnanter Soul-Pop mit Tiefgang: Poppy Ajudhas „The Power in Us”

Mit markanter Stimme und gewaltiger Instrumentierung singt die Londoner Musikerin Poppy Ajudha auf ihrem Debüt über das Überleben in einer Welt, das unser Wohlbefinden nicht gerade fördert. Im Interview spricht sie über ihre persönliche Entwicklung, die Notwendigkeit von (weiblicher) Selbstbestimmung und erklärt, warum es so wichtig ist, schwierige Konversationen tatsächlich auch zu führen.

Von Melissa Erhardt

Poppy Ajudha sitzt mir im schwarzen Hoodie gegenüber, die Kapuze hat sie gerade so über den Kopf gezogen, dass ihre kurzen blonden Haare darunter herausschauen. Um den Hals trägt die Musikerin bunte Perlenketten, ein großes P leuchtet direkt in ihre Laptopkamera und auf meinen Bildschirm. Sie lächelt müde. Die letzten Wochen waren intensiv für die Independent-Künstlerin aus dem Süden Londons. Gerade hatte sie ein Interview mit einem der größten japanischen Radiosender, ein paar Tage vor unserem Gespräch erschien die neue Ausgabe der Gay-Times, einem der führenden LGBTQ+ Magazinen Großbritanniens, mit ihr, posierend in glitschig-gelbem Silikonkleid, auf dem Cover.

„I’ve actually got it as the background on my phone”, sagt sie schmunzelnd in die Kamera. “It’s very narcissistic, I know, but also it’s just an incredible moment for a lot of reasons. One, it’s like my first major cover, so that’s a great achievement. But also, I think to be recognised by gay times feels very… it just feels really nice. It’s such a nice community and it’s great to be so comfortable with myself, you know what I mean?”

Ich kann mir vorstellen, was sie meint. Seit der Pandemie hat die Londoner Künstlerin ihr Debütalbum „The Power in Us“ quasi fix und fertig zuhause liegen, ein paar Jahre hat sie daran gearbeitet. Der Zeitpunkt, es zu veröffentlichen, kam aber einfach nicht: „I wanted it to have its own life. I didn’t really want to release it when I couldn’t tour and couldn’t like, do press and anything around to promote the album.” Jetzt, an Poppy Ajudhas 27. Geburtstag, ist es endlich so weit.

“What else am I talking about?”

Poppy Ajudha ist vor einigen Jahren in der Londoner Jazz-Szene aufgetaucht. Die Jüngste von drei Schwestern hatte ihren ersten Auftritt in einem Londoner Pub, bald folgte eine Session bei Steez, der bekannten Jam-Nacht, wo Artists wie King Krule oder Nubya Garcia ihren Durchbruch starteten. Auch den Londoner Soulmusiker und Produzenten Tom Misch lernte sie dort kennen, der sich für seinen Track „Disco Yes“ bald ihre Vocals leihen – und ihr dadurch zu einem größeren Publikum verhelfen würde.

2018 bringt Ajudha ihre erste EP „Femme“ raus: Es ist ihr erster Versuch, musikalische Gefilde auszuprobieren, mit Harmonien und Improvisationen zu spielen. Sehr jazzig und soulig klingt das Ganze, sehr unangepasst und frei. Textlich setzt sie sich darauf mit ihrer Mixed Race Identity (ihr Vater ist aus St. Lucia, einem Inselstaat der östlichen Karibik), ihrer Queerness und ihrer Rolle als Woman of Colour auseinander. „That term, Woman of Color, only came about while I was realizing my EP. It was about how I wanted to identify myself as a person in the world. Obviously, music is my therapy as well, so every song is me working out who I am and what I want to say”.

„I’ve got to a point where I‘m comfortable with my identity“

Auf ihrem Debüt ist diese Fixierung auf die eigene Identität Geschichte. Es geht um das größere Ganze, die gefürchteten Strukturen, die große schwarze Blackbox – das System. „I think I’ve just got to a point where I‘m very comfortable with my identity. So it’s like: What else am I talking about? What am I realizing about other people? So yeah, the album is a bit more reflective of the world and of other people and what I want to see different, I guess.”

Prägnanter Soul-Pop mit Tiefe

Was in der Theorie ein bisschen sperrig klingt, quetscht Poppy Ajudha auf „The Power in Us“ in prägnanten, durchdachten Soul-Pop. Die Produktionen sind ausgereift und geschliffen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in eine allzu perfekte Glattheit abzurutschen. Ajudhas markante Stimme schwingt auf den einzelnen Tracks zwischen Dichotomien hin und her, sie wirkt nostalgisch und modern, verwundbar und kraftvoll zugleich.

Dabei immer im Fokus: Poppy Ajudhas ausgeklügelte Texte. “Big on concepts” sei sie, Musik und Inhalt müssen bei ihr immer eine Symbiose ergeben.

Das merken wir auf Tracks wie „Demons“ oder „Fall Together“, wo auch ihr Jazz-Background wieder stärker hervortritt: Die Londoner Musikerin fährt hier mit gewaltigen Instrumentierungen und orchestralen Soundlandschaften auf, während sie über das Surviven in einer Welt singt, die unser Wohlbefinden nicht gerade fördert, die von Tag zu Tag mehr an unserer mentalen Gesundheit nagt. Auf „Fall Together“ findet sie den Ausweg aus dieser kaputten Welt in einer anderen Person: “It was like Romeo and Juliet, some kind of: Let us die together and forget the world because everything is going to shit”, lacht sie in die Kamera, “which, when I’m feeling less hopeful, that’s the direction my mind goes in.”

Die Männer, die Gott spielen

Wir könnten jetzt lange darüber rätseln, was Poppy Ajudha in erster Linie ist: Künstlerin oder Aktivistin. Für sie gehen die beiden Dinge Hand in Hand, ein*e Künstler*in könne gar nicht anders, als über unsere Gegenwart zu sprechen, sie zu kommentieren:

„It’s a creative reaction to what we’re experiencing, you know. I think it’s just natural”

Dieses Politische zieht sich durch das ganze Debüt. Feminismus, Kolonialismus, Mentale Gesundheit werden da thematisiert, im Zentrum steht der Signature Track des Albums, die bereits releaste Single „Playgod“. Die Nummer beginnt mit einer akustischen Gitarre und steigert sich Takt für Takt: Da kommen schichtenweise Percussions dazu, eine Stimme legt sich auf die nächste und orgelartige Synthies brausen auf - bis das Ganze dann in einer gewaltigen Hook explodiert, wo in E-Gitarren und Schlagzeug nur mehr so reingehämmert wird. Dazwischen ein paar Fetzen von Reden der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin und Philosophin Angela Davis und anderen Frauen, fertig ist der Track. Was klingt wie der Soundtrack des feministischen Kampfs des 21. Jahrhunderts, ist es auch irgendwie.

Den Track schrieb Ajudha als Reaktion auf ein geplantes Abtreibungsverbot in Alabama. „It wasn’t so much that I was like: I have to write a song about it, I was just really angry”, erzählt sie mir durch unsere Bildschirme hindurch. “I was really angry at the men imposing it because there’s so much hypocrisy in the idea of doing that - considering that probably half of the men that voted for it might have a partner that had an abortion or if they had a daughter, they probably let them have an abortion.” God are the men who make you pay / God are the men who force your way, singt Ajudha in der Hook: Die Männer, die Gott spielen.

„Playgod“ geht aber weiter als das, es ist nicht nur Kritik, es ist auch ein Auffordern zum Aktivwerden, ein Weckruf, selbst anzupacken. „I meet so many women that are angry about stuff, but they might not know how they want to say it. That’s why I say ‘I hear anarchy in the way that you speak’: I can hear that you have things that you want to get off your chest – but maybe you haven’t worked out how you want to say that. I have a lot of conversations with women all the time about that and I’m always like: Let’s say some shit!”

„I meet so many women that are angry about stuff, but they might not know how they want to say it“

Das Thema der Selbstbestimmung über den eigenen Körper greift Ajudha auch auf anderen Songs der Platte wieder auf, etwa auf „Mothers, Sisters, Girlfriends“. Auf einen treibenden Bass tut die Musikerin hier ihr Unbehagen mit den traditionellen weiblichen Rollen kund. Was im Jahr 2022 vielleicht überholt klingen mag, ist es leider nicht – zumindest, was die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Lebensentwürfe angeht. Auch bei Poppy, die sich selbst als karriereorientiert und ehrgeizig beschreibt: „Everybody is always like: Oh, Poppy just loves working all the time. Yeah, I have a vision for my future, but it’s different from relationships and homemaking, those just aren’t my priorities”.

Die schwierigen Diskussionen

Positioniert man sich im Jahr 2022 als Künstlerin politisch so offen und direkt wie Poppy Ajudha es tut, muss man, so unangenehm es auch ist, mit Backlash rechnen – vor allem online. Nach dem Release von „Playgod“ schwappte Ajudha eine Welle von Anti-Abtreibungs- und Pro-Life-Trollen entgegen, die ihre Social Media Kanäle mit Hasskommentaren zutapezierten. Während andere sich nach so einer Hasswelle künftig vielleicht doppelt überlegen würden, worüber sie sich öffentlich äußern, findet Ajudha auch hier etwas, um den ausgelutschten Begriff nun doch einmal zu verwenden, Empowerndes, ein Learning: „Especially as women, we’re so used to feeling the need to be liked, it’s part of the way that we’re taught to see our value". Werden wir also auf Social Media von Trollen heimgesucht, weil wir sagen, was wir denken, sei das schmerzhaft, weil: „Where is my value if I’m not pleasing to other people? I think we have to get over that“.

"When you don’t agree with someone, it’s like you either cancel them or you’re not friends with them anymore”

Generell scheint Ajudha ihre Konfliktpunkte mit der Online-Welt zu haben, besonders, wenn es um Online-Aktivismus, um Internet-Wokeness geht. “When you don’t agree with someone, it’s like you either cancel them or you’re not friends with them anymore”, setzt sie zu einem längeren Argument an, auf das wir durch die Zeile “Don’t fight people for being sheep” auf dem Track “Playgod” zu sprechen kommen. “A lot of our family members are problematic. A lot of our friends are problematic. A lot of the people that we have relationships with are problematic, but that’s because we’re not all coming from the same position in life. We’ve not all had the same experiences. I can’t expect my mum’s feminism to be the same as mine, you know. I can’t expect my dad, who grew up in a completely different era, to have the same views as me.”

Es gehe ihr darum, sich nicht gegenseitig zu terrorisieren, sich nicht gegenseitig zu blamen und damit abzulenken, sondern das große Ganze, „the bigger issue“ im Auge zu behalten. Sich vorschnell herauszunehmen und zu sagen: Wenn du nicht verstehst, was ich meine, google es oder schlag es nach, halte sie für falsch. “If you’re not willing to change someone’s mind, you can’t expect them to be different. We have to be willing to have difficult conversations. That’s how we create change in a in a in a mass way.”

Diese Konversationen zu führen sind Teil von Poppy Ajudhas Werk. Es ist eben nicht nur Musik, es ist immer auch ein gesellschaftlicher Diskurs, den sie durch ihre Kunst anstrebt, Positionen, die sie durch ihre Musik vermitteln möchte.

Mit „The Power in Us“ liefert sie uns ein großes Stück politischer Popgeschichte - und reiht sich damit neben Little Simz, Greentea Peng oder Joy Crookes in eine neue Generation von Women of Color ein, die sich mit dem Status Quo nicht zufriedengeben. Ihr Song „London’s Burning“ bringt es auf den Punkt - in der Hauptstadt findet seit einiger Zeit eine kleine Revolution statt.

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