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Buch

Bettina Wilpert erzählt die Geschichte von drei Herumtreiberinnen

Ein altes Backsteingebäude in Leipzig: Mal war es Gefängnis für Kommunist*innen im Widerstand während der NS-Zeit. Oder Klinik für Geschlechtskrankheiten in der DDR. Oder auch Geflüchteten-Unterkunft im Jahr 2015. Im Roman verbindet dieser Ort drei Frauen, die mehrere Jahrzehnte trennt. Sie alle sind beeinflusst von der jeweiligen politischen Gegenwart und werden von dieser geformt.

Von Diana Köhler

Abschaum, Asoziale, Herumtreiberinnen: In der DDR wurden so Frauen genannt, die nicht so ganz ins System gepasst haben. Die lieber Party machen, als arbeiten gehen, mit vielen Männern schlafen, von zu Hause ausbüxen, Schule schwänzen, am Bahnhof übernachten, sich nicht danach richten, was man von ihnen verlangt.
Über drei dieser Herumtreiberinnen schreibt Bettina Wilpert im gleichnamigen Roman.

Cover

Verbrecher Verlag

Der Roman von Bettina Wilpert ist im Verbrecher-Verlag erschienen.

DDR 1983

Eine davon ist die 17-Jährige Manja. Als sie mit dem Vertragsarbeiter Daniel im Wohnhausbett erwischt wird, steckt man sie in die sogenannte „Tripperburg“, die geschlossene Station für Geschlechtskrankheiten. Schnell stellt sich heraus: Manja hat wie die meisten der anderen Insassinnen überhaupt keine Geschlechtskrankheit. Aber wie die anderen ist sie eine Herumtreiberin, die hier umerzogen werden soll.

„Sie sind besessen von Reinlichkeit und nennen uns eine Plage, die wir gebracht hätten. Fleckfieber, die Ruhr, dabei ist es hier immer voll. Es stinkt, und wir gewöhnen uns nicht daran. Sie wollen uns erziehen, wir sollen brauchbare Mitglieder der Gesellschaft werden, wir sagen: Wir haben kein Glied.“

Drittes Reich 1945

Gleiches Backsteingebäude, andere Funktion. Hier ist Lilo eingesperrt, Kommunistin im Widerstand. Ihr meist abwesender Vater Alfred hatte sie lange nicht für voll genommen. Aber irgendwann soll sie für ihn Flugblätter abtippen und wird bald für weitere Aufgaben eingeteilt. Aber jemand wird sie verraten.

„Auch das weite Klopfen rüttelte sie nicht wach. Erst als die Gestapo Aufmachen! polterte, schreckte sie hoch. Sie wehrten sich nicht. Bis auf Alfred waren alle zu Hause. Lilo wechselte einen Blick mit ihrer Mutter und wusste, sie hoffte das Gleiche: dass Alfred wieder Glück haben würde, wie er es bei allen anderen Verhaftungen gehabt hatte, dass er sich auf dem Dachboden oder der Kammer auf halber Treppe versteckte.“

Bundesrepublik Deutschland 2015

Das Backsteingebäude ist eine Unterkunft für Geflüchtete. Robin arbeitet dort als Sozialarbeiterin, hängt im Internet auf Social Media ab und geht in ihrer Freizeit auf Raves, nimmt Drogen und tanzt bis in der Früh. Obwohl ihr alles offen zu stehen scheint, langweilt sie sich. Ist nie zufrieden mit dem was sie hat. Aber dann schließt sich Robin einem Arbeitskreis an, der sich mit der Historie des Backsteingebäudes auseinandersetzt.

„Die erste richtige Aufgabe, die sie übernahm, war es, mit einer anderen ins Stasi-Unterlagen-Archiv zu fahren und dort Akten auszuwerten. Am meisten berührte Robin die Geschichte der Venerologischen Station. Wenn sie damals gelebt hätte, wäre sie auch dorthin gekommen?“

Inspiriert von historischen Begebenheiten

Im Roman Herumtreiberinnen von Bettina Wilpert schauen wir in das Leben von drei Frauen im Osten Deutschlands in drei unterschiedlichen politischen Systemen. Die Autorin verwebt die Leben der Frauen miteinander, indem sie in kurzen Passagen zwischen den Handlungssträngen hin und her springt. Es dauert zwar, bis man eine Verbindung zu den Figuren aufgebaut hat, aber dann sind sie dafür umso glaubhafter. Es ist spannend die Orte und Fakten nachzurecherchieren. Die „Tripperburgen“ hat es in der DDR zum Beispiel wirklich gegeben. Bettina Wilpert hat sich von wahren Begebenheiten und Berichten von Zeitzeug*innen inspirieren lassen.

Die Leser*innen bekommen einen tiefen Einblick in das Gefühlsleben der Protagonistinnen und es wird klar: Es trennen sie zwar mehrere Jahrzehnte, aber „Herumtreiberinnen“, egal aus welcher Generation, lassen sich von staatlicher Gewalt nicht einschüchtern, sie bleiben störrisch.

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