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Franz Ferdinand

Radio FM4 | Chris Stipkovits

Neulich bei Franz Ferdinand

Die Band aus Glasgow hat nach ihrer Best-of-Platte „Hits to the Head“ ihre zugehörige Hit-Tour gestartet und war am Mittwoch in der Wiener Arena zu Gast. Die Anzüge waren genauso schnittig wie einst 2003, als britischer Indierock die Welt erobert hat.

Von Alexandra Augustin

„Wärst du gefangen in einer Zeitschleife, so wie in ‚Groundhog Day‘ mit Bill Murray, wie würde dein Tag idealerweise aussehen?“, fragt mich P. „Im Idealfall würde ich nette Menschen, eine Party oder ein Konzert besuchen“, entgegne ich. „Und welches Konzert von welcher Band könntest du jeden Tag immer wieder sehen?“, fragt mich P. Gute Frage.

P. ist ein alter Freund aus Jugendtagen. Wir sehen uns selten und wenn, dann auf einem Konzert. P. hat „alles schon gesehen“ und als Beweis dafür hatte er einst eine Sammlung an Festivalbändchen um den Arm gezurrt. Ich hatte für diese Leidenschaft immer eine Portion Bewunderung übrig. Über die Jahre wurde aus den einzelnen Bändchen eine dicke Wurst. P. meinte scherzhaft, das sei sein Schutzring, sämtliche Bakterien darin hätten einen eigenen Mikrokosmos gebildet. Sein Körper sei nun magisch geschützt gegen alles Übel dieser Welt. Zwei Dekaden Fantum am Handgelenk, verschmolzen in Schweiß, Dreck, Polyester und Rock’n’Roll.

Franz Ferdinand

Radio FM4 | Chris Stipkovits

Mir gefiel diese Idee. Ein Schutzschild geschmiedet aus der Kraft der Musik. Denn wer kennt das nicht? Dieses euphorisierende Gefühl, das dir dein Lieblingssong spenden kann? Im besten Fall sind Konzerterlebnisse Katalysatoren für eine Vielzahl von Gedanken und Emotionen, und ein Konzertabend wirkt wie eine Wiederauferstehung aus der modrigen Höhle des Lebens, in der wir viel zu oft festsitzen - nicht nur in den vergangenen zwei Jahren.

Our Band Could Be Your Life“ heißt das Standardwerk von 2001 des Musikjournalisten und Autors Michael Azerrad, in dem er den Indie-Underground der 1980er und 1990er Jahre beschreibt: Wenn die Zeit reif ist und sich die richtigen Menschen versammeln, dann kann das eine globale Lawine auslösen. Größer als du, ich, deine Oma, der Staat, larger than life.

Die größte Kraft der Musik ist, dass sie einem die Möglichkeit gibt, für einen Moment der harten Realität zu entfliehen - Alex Kapranos im FM4 Interview

So eine Wucht hat sich Anfang der 2000er Jahre zusammengebraut: Rund um das Millennium war die gesamte Welt im Umbruch. Das Internet öffnete Musiker*innen alle Türen. Der bereits in den 1990er Jahren starke Alternative und Brit Pop transformierte sich in eine stabile Erfolgsnummer. Gitarrenlastiger Indierock aus den USA und UK erklomm ganz selbstverständlich die Charts: The Strokes, The White Stripes, The Killers. Und von der britischen Insel kamen Bands wie The Libertines, Muse, Arctic Monkeys, Kaiser Chiefs, Bloc Party und die Schotten Franz Ferdinand. „Darts of Pleasure“ wurde zu einem großen Hit, genauso wie ein „Last Nite“ von den Strokes oder auch „Time For Heroes“ von den Libertines.

Die Mitglieder von Franz Ferdinand beeindruckten aber auch durch ein völlig neues Auftreten, allen voran FF-Frontman Alex Kapranos: Welche Band trug bei schwitzigen Rock’n’Roll-Shows schon edle Maßanzüge am Leib? Das hat zuvor Kollegen wie Jarvis Cocker und heute fast vergessenen Helden wie Rialto oder Menswear zwar auch gutgestanden (und natürlich ist der Brit Chic immer schon fantastisch anzusehen gewesen), aber erst bei Franz Ferdinand wurde der Slim Fit festivalbühnentauglich. Angeblich – das hat Alex Kapranos Kollegin Eva Umbauer im Interview verraten – hat er deshalb auf seine erste Tour sogar eine Nähmaschine eingepackt.

Wie sehr die junge Generation auf Erneuerung aus war, erklärt sich durch einen gezielten Blick zurück in die jüngste Musikgeschichte: Die 1990er Jahre gingen schwermütig zu Ende. Dreckiger Garage und Grunge Rock hatten zwar nicht ausgedient, es gab aber definitiv Luft nach oben. Nach der frisch überwundenen Y2K-Anxiety war plötzlich Platz für Leichtigkeit und wieder etwas Glam: Es war wortwörtlich Zeit für ein frisches, weißes Hemd. So weiß wie eine frische Leinwand. Diese junge, schottische Truppe aus dem Kunsthochschulumfeld, die sich nach dem einstigen Erzherzog von Österreich benannt hatte, wollte jedenfalls schnittig ins neue Jahrtausend starten.

Im FM4 Interview vor dem Konzert in der Wiener Arena sprechen Alex Kapranos und Rob Hardy enthusiastisch davon, wie gut sich diese Tour zum fast 20-jährigen Jubiläum anfühlt.

Die Setlist besteht ausschließlich aus ihren größten Hits. Man findet diese (ehrlicherweise eigentlich zu klein geratene) Selektion auf der im März erschienenen Platte „Hits to the Head“:

„Ich bin heute durch Wien spaziert und habe nur an die Lieder gedacht, die wir spielen werden. Alles fühlt sich so aufregend an - so wie früher! Diese Tour ist ein Freudenfest auf so vielen Ebenen: Wir feiern das Leben und die Freiheit. Eigentlich hatte ich einen anderen Titel für unser Best-of-Album im Kopf: „Hits to the Head, Hits to the Heart and Hits to the Feet“. Denn das ist es, was Musik ausrichten kann: deine Sinne und dein Herz berühren und deine Füße zum Tanzen anregen.“

I want to make music that will make the blood surge in your veins, music that will get people up and dance. - Alex Kapranos

Ein bisschen wie früher fühlen auch wir uns heute. Nostalgisch auf eine gute Art. P. ist mittlerweile in der Menge verschollen. Die Besucher*innen jubeln der Band zu, vor allem Alex Kapranos in seinem schwarz glitzernden Sakko. Lucky lucky, you’re so lucky! C’mon, let’s get high! You’re never goin’ home! Die bekannten Zeilen liegen heute locker auf der Zunge. Die Musik von Franz Ferdinand war einst eine Offenbarung und knapp 20 Jahre später funktioniert sie immer noch. Selten ist das Publikum altersmäßig so gut durchgemischt. Was ist das Geheimnis? Was macht eine Band nach zwei Dekaden eigentlich entweder zu Ikonen oder blutleeren Gefälligkeitskünstlern?

Franz Ferdinand auf dem Cover des NME

Radio FM4 | Chris Stipkovits

Wenn Bands Best-of-Alben liefern, dann sind sie an einem interessanten Punkt in ihrer Geschichte angekommen: Das erste Album war im Idealfall ein aufregendes Hitfeuerwerk. Die zweite Platte im Idealfall ein würdiger Nachfolger. Das dritte Album ist bekanntlich oft schwierig: Die Welt hat sich weitergedreht, es wird kompliziert. Plötzlich sind 15 oder 20 Jahre vergangen. Entweder kann man nun auf ein zeitloses Lebenswerk zurückblicken und weiterhin neue Sachen darauf aufbauen oder man tingelt als sentimentale Zirkusshow über die Bühnen. Been there, done that! Das war bei Franz Ferdinand jetzt nicht unähnlich: 2003, nach der ersten Single „Darts of Pleasure“, kündigte der NME Franz Ferdinand 2004 als „The Band That Will Change Your Life“ an. Und John Peel feierte Franz Ferdinand als die „Retter des Rock and Roll“.

Drei Jahre war die Band ohne Pause unterwegs oder im Studio, veröffentlichte zwischen 2004 und 2009 drei sehr gute Platten. Die Bilanz: 15 Millionen verkaufte Alben bis heute. Danach hat man vor allem einzelne, durchwegs solide Singles und die Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Art- und Glam-Rock-Legenden Sparks mitbekommen. Franz-Ferdinand-Gründungsmitglied Nick McCarthy hat 2016 die Band nach dem vierten Studioalbum in Freundschaft verlassen.

Nicht zuletzt der radikale Medienumbruch markierte damals einen Wendepunkt und vernebelte die Wahrnehmung ganzer Alben: Streaming-Plattformen, vor allem natürlich Spotify, veränderten unsere Hörgewohnheiten und unseren Musikkonsum. Das war vor allem für den detailverliebten Indierock prägend: Adieu Artwork! Adios Songreihenfolge! Tschüss Konzeptplatten! Gute Nacht, Gesamtkunstwerk!

Wir leben mittlerweile in einer digitalisierten Welt, die andere Fenster öffnet - jedoch ausgerechnet gerne auch in die Vergangenheit. So absurd es klingen mag, sind schnelllebige Outlets wie TikTok die wohl größte Chance für Musiker*innen älterer Generationen: Der Überraschungserfolg von Bands wie etwa Fleetwood Mac, die dank TikTok zurück in die Billboard Charts katapultiert worden sind, ist jedenfalls erstaunlich.

Dass man neuen Medien und Veränderung gegenüber offen sein muss, das wussten Franz Ferdinand zum Glück immer schon sehr gut. Nicht nur der Sound der Band wurde in den letzten Jahren immer wieder neu frisiert, auch der Modus Operandi war progressiv: Franz Ferdinand haben in den letzten Jahren oftmals mit zeitgeistigen, namhaften Elektronik-Produzenten zusammengearbeitet (Joe Goddard, Alexis Taylor von Hot Chip und Philippe Zdar). Auch im Netz waren sie immer präsent: 1,2 Milliarden Streams zählen ihre Songs aktuell. Franz Ferdinand sind auf TikTok genauso zu finden wie auf haptischen, analogen Tonträgern. Und wie Alex Kapranos dem geschätzten Kollegen Robert Rotifer kürzlich verraten hat:

„Ich wollte, dass es sich so anfühlt, als käme die aktuelle Best-of-Platte gleichzeitig aus 2022, aus dem Jahr unserer Gründung 2002 und dem Jahr meiner Geburt 1972. Ich glaube, dass wir Musik heute so verstehen. Nicht auf eine postmodern ironische Art, sondern als natürliche Gegenüberstellung.“

Franz Ferdinand

Radio FM4 | Chris Stipkovits

Franz Ferdinand, so stellen P. und ich jedenfalls fest, haben den zeitlosen Indierock-Olymp erklommen. Wären wir also, wie anfangs erwähnt, in einer Art Zeitschleife gefangen, könnten wir dieses Konzert und die Songs immer und immer wieder hören, ohne dass wir der Musik überdrüssig wären. Dass mit Audrey Tait nun eine Drummerin, die ursprünglich aus dem Hip-Hop-Bereich kommt, in die Band gefunden hat, ist der wahrscheinlich subtil klügste, neue Schachzug: Live ist ihr Spiel einfach fantastisch anzuhören und anzusehen. Alex Kapranos jedenfalls denkt noch lange nicht ans Aufhören. Eine neue Platte ist im Entstehen und so feiern wir das gute Alte und freuen uns auch auf das frische Neue.

P. hat die Festivalbänder jetzt übrigens nicht mehr um den Arm gebunden. Die gute Musik habe sich mittlerweile in seine DNA eingebrannt, so scherzt er. Ich glaube es ihm.

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