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Eva Biringer

Florian Reimann

Unabhängig vom Alkohol

Warum immer mehr Frauen zuviel Alkohol trinken und wie sie selbst damit Schluss gemacht hat, erzählt die Autorin Eva Biringer in ihrem ersten Buch „Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen".

Von Veronika Weidinger

Eva Biringer ist 11, als sie zum ersten Mal Rum trinkt und dann gleich so viel, dass sie schließlich kotzend über dem Klo hängt. Nach dieser ersten Begegnung in sehr jungen Jahren wird Alkohol schließlich ab den Teenagertagen zum fast ständigen Begleiter.

Aus dem Tagebuch einer Trinkerin

Die Schilderungen von den selbstverständlichen Wochenendsaufereien in einem Dorf in Baden-Württemberg, von den ersten sexuellen Annäherungsversuchen und Abenteuern mit Gleichaltrigen in der Zeit vor dem Schulabschluss, vom institutionalisierten Gläschen im Familienverband - dieses Aufwachsen mit Alkohol, dieses Sozialisiert-Werden mit dem Rausch, das erinnert wohl viele an eigene Erfahrungen.

Meine Mama hat immer gesagt: Früher konnten die Töchter kochen wie ihre Mütter, heute saufen sie wie ihre Väter. Es stimmt.

Eva Biringer ist freie Autorin, Food-Journalistin, schreibt unter anderem für die Zeit, die FAZ und den Standard, sie lebt in Berlin und Wien.

Als Eva schließlich nach dem Abitur nach Berlin zieht und unter dem Label Studium vor allem die Großstadt und das Abenteuer winken, wird getrunken bis zum Exzess. Die nüchternen Tage sind selten, dann lieber gleich einen gewissen Pegel halten. Schließlich wird Trinken in Biringers Leben auch Teil ihres Jobs, wenn sie, inzwischen freie Autorin, für verschiedene Zeitungen über aktuelle Food-Trends schreibt – kein Abendessen ohne vernünftige Weinbegleitung. Bis sie schließlich, nach zahllosen Abstürzen, während der Pandemie Schluss macht.

Werbung für das Produkt "Frauengold"

Frauengold

Durch Alkohol gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen und Mehrfachbelastungen wegstecken: In den 50ern sollte „Frauengold“ dabei helfen; in Drogerien und Apotheken erhältlich, hatte die Mischung aus verschiedenen Kräutern und Extrakten einen Alkoholgehalt von 16 Volumenprozent. Zunächst richtete sich die Werbung an frustrierte Hausfrauen, später auch an Arbeitnehmerinnen und generell alle, „die mitten im Leben stehen“.

In ihrem Buch erzählt und reflektiert Eva Biringer ihre Biografie einer Trinkerin. Ein gewisses Problembewusstsein kommt schon irgendwann in ihren 20ern auf, und was ihr bereits half, um eine Essstörung in den Griff zu bekommen, hilft Biringer auch, um das Verhältnis zu Alkohol zu verstehen: ein Stapel Bücher, vorzugsweise feministische Literatur. So stellt sie schließlich fest, dass sie nicht allein ist mit ihrem Problem. Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten haben Frauen in Sachen Alkoholismus aufgeschlossen und häufig sind es gerade jüngere, erfolgreiche Frauen, die ihr Leben im Griff zu haben scheinen.

„Es läuft halt sehr vieles nicht gut für Frauen, Stichwort Gender Pay Gap und Mental Load. Alkohol ist ein naheliegendes Mittel, dem entgegenzuwirken, eben auch weil es gesellschaftlich so tief verankert ist. Es wird einem ja regelrecht aufgedrängt, gerade als Frauen“, sagt die Autorin im Interview, das auch als FM4 Podcast zu hören ist.

Eva Biringer schreibt über ihre Selbstzweifel, auch im Verhältnis zu Männern, denen sie selten nüchtern begegnete. „Ich trank gegen meine Ängste an, vorm Nichtgenügen, vorm Verlassenwerden, dem Autonomieverlust. Dass Unabhängigkeit nicht heißt, für immer Single zu sein, sondern aus einer unabhängigen Position heraus eine Liebesbeziehung mit jemandem einzugehen, weil nur so echte Intimität entstehen kann, Hingabe ohne Selbstaufgabe, verstand ich nicht, solange ich trank.“

Buchcover: Eine Frau umarmt einen riesigen Blumenstrauß

Harper Collins

„Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen“ von Eva Biringer ist bei Harper Collins erschienen.

Auch über ihre Erfahrungen sexueller Übergriffe und Beinahe-Vergewaltigungen berichtet die Autorin und schlägt einen Bogen zur gesamtgesellschaftlichen Problematik, über die Rolle von Alkohol bei der Gewalt zwischen den Geschlechtern: „Hoher Alkoholkonsum – auch wenn er nur periodisch auftritt – ist der Risikofaktor Nummer 1 für partnerschaftliche Gewalt. Ist der Täter alkoholisiert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel höher, dass seine Taten für die Frau lebensbedrohlich sind.“

Im Englischen gibt es den Genrebegriff der Sober Books, also jener Literatur, die sich mit dem Nüchtern-Werden beschäftigt. Viele davon hat Eva Biringer gelesen und verweist darauf. „Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen“ passt in diese Reihe. Vor allem getragen von der eigenen biografischen Erzählung nimmt es Alkoholismus aus einer Genderperspektive in den Blick und liefert genug Gründe, um mit dem Trinken aufzuhören. Eva Biringer: „Wenn ich aufhöre zu trinken, dann kann ich eine bessere Feministin sein, weil ich mir selbst eine bessere Freundin bin, weil ich auf mich acht geben kann, und gleichzeitig kann ich etwas an der Situation ändern.“

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