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Junge blonde Frau mit Schutzhelm am Frachtschiff. Szene aus der Doku "Stories from the Sea".

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Crossing Europe, zu hoher See und an Land

Das Crossing Europe ist eröffnet. Hineingeklettert in die Lkw-Fahrerkabine in der Doku „A Parked Life“ von Peter Triest und hinaus aufs Mittelmeer mit Jola Wieczoreks wunderschönem Film „Stories from the Sea“.

Von Maria Motter

Crossing Europe Filmfestival

27. April bis 2. Mai, Linz.

Das Crossing Europe ist eröffnet, der Trailer ist kurz und quietschbunt und spielt in einem asiatischen Supermarkt, wo es all die tollen Plastikblüten gibt, von denen man sich nie abwenden kann. Die Anziehungskraft hat auch das Festival, das aktuelles Autor*innenkino aus Europa zeigt. Sophie Rois ist da und gibt im Hotel Wolfinger Interviews. Mit Nicolette Krebitz’ neuem, entzückenden und leicht verrückten Spielfilm „A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe“ hat Sophie Rois das Crossing Europe mit-eröffnet.

Crossing Europe Intendantinnen Katharina Riedler und Sabine Gebetsroither mit Sophie Rois in ihrer Mitte.

a_kep/subtext.at

Crossing Europe Intendantinnen Katharina Riedler und Sabine Gebetsroither mit Sophie Rois

Auch der FX-Künstler Gustav Hoegen ist schon in Linz. Er hat für Star Wars-Filme gearbeitet (u.a. für „The Force Awakens“, „The Last Jedi“, „The Rise of Skywalker“). Für den Crossing Europe-Eröffnungsfilm „Hatching“ gestaltete er das Monster. Mehr zu ihm und Animatronic Design dann morgen. Jetzt bleiben wir ganz im wahren Leben, bei Dokus des internationalen Filmfestivals in Linz, die uns ein ganz großes Stück weit und auf angenehme Weise mitnehmen.

Jedes Jahr zum Mond

Die Distanz zwischen Erde und Mond beträgt 384.400 km. Und 384.400 km legt Petar Boychev jedes Jahr auf den Straßen Europas zurück. Von der Melonenernte im Süden, über von Sandstein eingekesselten Straßen, bis zum Polarlicht ist man in der Doku „A Parked Life“ mit ihm unterwegs. Der LKW-Fahrer kommt aus Bulgarien, auch der Bürgermeister seiner Stadt und der Priester arbeiten immer wieder als LKW-Fahrer. Schneeflocken schweben vor der Windschutzscheibe und sind erleuchtet vom Scheinwerferlicht, während Petars Frau ihm via Smartphone erklärt, dass es so nicht weitergeht. Neun Monate lebt Petar jedes Jahr im Lkw. Sein Söhnchen ist erst ein Baby, dann ein Kleinkind, dann erklärt der Vierjährige stolz via Videotelefonie, dass er einen Roboter gebaut hat, mit Glatze, wie Papa.

Beim Publikumsgespräch drehen sich alle Fragen um diesen Mann, der vor der Kamera seine Gefühle nicht versteckt und mit seiner Arbeit das angenehme Leben in Westeuropa mitermöglicht. Was er transportiert, erfährt er vor Ort. „Petar fliegt von Warna etwa nach Dortmund, übernimmt dort einen Lkw, dessen Schlüssel ein anderer Fahrer für ihn hinterlegt hat. Alles, was er an persönlichen Dingen bei sich hat, hat in einem Koffer Platz“, sagt Peter Triest, der Boychev vier Jahre hindurch begleitet hat. „A Parked Life“ erzählt viel über Details. Es ist kein anklagender Film und stellt nicht die Frage, weshalb nicht längst viel mehr in die Logistik des europäischen Bahnsystems investiert wird. Peter Triest hat einen Film über das Unterwegssein in Europa und vor allem über das Vaterwerden gemacht.

Lkw-Fahrer Petar in seiner Fahrerkabine, er richtet sich ein Essen. Szene aus der Doku "A Parked Life".

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Kapitalismus braucht Niedriglohn-Arbeitende

„Als Bulgarien in die EU kam, war es ein Niedriglohn-Land. 300 Euro Monatslohn waren üblich“, sagt Peter Triest, der Film und dann noch Geschichte studiert hat. „Petar hat mir gesagt, wenn du in Warna aufgewachsen bist, konntest du als Matrose anheuern, aber er mag das Meer nicht, am Bau hackeln oder LKW fahren. Petar hat in allen drei Branchen gearbeitet.“ Das Gehalt liegt nicht höher als das eines bulgarischen Lehrers, bei 500 Euro, doch mit den Spesen kämen südosteuropäische Fahrer auf 2000 Euro.

„Manchmal sagt man, diese Leute seien die neuen Sklaven. Aber diese Bezeichnung lehne ich ab. Ein Sklave ist unfrei. Diese Fahrer könnten jederzeit stoppen, aber es macht Sinn aufgrund der makroökonomischen Situation, die Europa erzeugt. Es gibt die Theorie zu Kapitalismus, dass man immer Niedriglohn-Arbeiter*innen finden muss. Wir könnten den westlichen Lebensstil nicht haben, wenn Transport und Produktion teuer werden. Jetzt, da Länder wie Polen und Bulgarien wirtschaftlich besser unterwegs sind, sieht man zwar viele polnische Autokennzeichen auf Lkws, aber die Fahrer sind aus Belarus oder Ukrainer. Die Zahl ukrainischer Arbeiter in Polen ist sehr hoch.“

Ein Lkw steht auf einem Feld, wo Arbeiter Melonen ernten. Szene aus der Doku "A Parked Life" von Peter Triest.

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Jola Wieczoreks „Stories from the sea“

Weiter unterwegs sein sollte man am Crossing Europe in Linz zum Beispiel unbedingt am 1. Mai, also Sonntagmittag: Da läuft „Stories from the Sea“ im Ursulinensaal.

Neun Monate ist Jessica schon auf See. Mit einem Lächeln und einer charmanten Zurückgenommenheit, wie man sie im Spielfilm von Sandra Hüller kennt, steht die junge Frau mit Schutzhelm auf dem Frachtschiff „Joanna Borchard“ und unterhält sich mit einem Kollegen darüber, wie oft schon sämtliche Positionen der Crew gewechselt haben. Sie ist noch immer an Bord, ein halber Filipino, scherzen die Kollegen anerkennend. „Schau, du läufst wie ein Filipino! Ja, aber ich benutze noch immer Gabel und Messer. Bevor ich Filipinos kennengelernt habe, habe ich auch Löffel zum Essen verwendet.“

Jola Wieczorek hat für ihren wunderschönen Mittelmeer-Film „Stories from the Sea“ auf den ersten Blick sympathische Menschen ausfindig gemacht, die sofort große Neugier wecken. Ungezählte Bilder und Filme gibt es vom Mittelmeer, doch Jola Wieczorek gelingen andere Perspektiven auf Leben und Arbeiten auf See. Die Filmemacherin ist in Polen geboren und in Oberösterreich aufgewachsen. Das Crossing Europe hat 130 Arbeiten oberösterreichischer Filmschaffender im Programm und sie erzählen von vielen Welten, weit über das Land hinaus.

Jessica auf einem Frachtschiff, die einzige Frau in der Crew, mit Schultzhelm. Sie schaut aufs Meer. Szene aus "Stories from the sea" von Jola Wieczorek.

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Das Schiff ist für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis in unsere Tage nicht nur das größte Instrument der wirtschaftlichen Entwicklung gewesen, sondern auch das größte Imaginationsarsenal, hat Michel Foucault festgehalten und Jola Wieczorek zitiert den großen französischen Denker kurz in „Stories from the Sea“: „In den Zivilisationen ohne Schiff versiegen die Träume, die Spionage ersetzt das Abenteuer und die Polizei die Freibeuter“.

Und so zieht es auch junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam aufs Meer, wo sie mit einer erfahrenen Seglerin am Segelschiff Kartoffeln schälen und sich einfach gemeinsam fortbewegen. Wohin das führt, werden sie schon sehen. Für sie ist es eine persönliche Revolution in der Kabine. Eine weitere Episode in „Stories from the Sea“.

Das Meer ist schwarzweiß in dieser Doku, weil das im Schnitt viel besser ausgesehen hat, als all die vielen Grün- und Blautöne, die an der Oberfläche erscheinen. Und doch hat man es auf der Leinwand selten in einem schöneren Licht gesehen.

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