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Bilder vom ersten Festivaltag des Donaufestivals

David Višnjić

Military of the heart: Auftakt zum Donaufestival Krems

Politische Blasmusik, hauchzarte Klagelieder aus der Violine, verschlafener Minimalpop, eine ugandische Rap-Ikone und die Kunst des Coverns: Fehler Kuti, Galya Bisengalieva, Tirzah, MC Yallah und Soap&Skin eröffneten das Donaufestival 2022.

Von Katharina Seidler

Eine kleine Blasmusik der Herzen zieht durch Krems. Genauer gesagt zieht sie vom ersten Stock der Kunsthalle, wo der deutsche Künstler und Musiker Julian Warner eine riesige Sandkiste als Kriegsspielplatz aufgebaut hat, hinaus auf den Vorplatz, zwei Trommeln, Tuba, Bassklarinette und mehrere Melodicas, hinter ihnen die Prozession aus Festivalpublikum, das sich draußen im Kreis versammelt. In der Mitte stehen dann Markus Acher, Theresa Loibl und mehrere weitere Menschen aus dem Umfeld der Weilheimer Kreativschmiede rund um The Notwist, und am Mikrophon, wenn er denn eines in der Hand hätte, genauer gesagt also an der Stimme schlüpft Julian Warner in sein musikalisches Alter Ego Fehler Kuti.

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David Višnjić

Schon in seinem Künstlernamen verneigt sich Warner vor dem politischen und musikalischen Erbe von Afrobeat-Legende Fela Kuti, die deutsche Schreibweise macht den Bruch zwischen den Sprachen, Ländern und Zeiten aber umso deutlicher. Alltagsrassismus, Klassenunterschiede, moderne Sklaverei, Fehler im System der deutschen Hochleistungsgesellschaft verwandeln sich auf den beiden bisher erschienenen Fehler Kuti-Alben „Schland is the place for me“ und „Professional People“ in krautige, experimentelle Popmusik von höchster inhaltlicher Schlagkraft bei gleichzeitig musikalischer Luftigkeit.

Live inszenieren Julian Warner und seine Kapelle Songs wie „IL (Interracial Love)“ oder „The Good Policeman“ als liebevollen, torkelnden Tanz, der seine inhaltliche Wucht in gemeinsamer Spielfreude auflöst: Liberté, Egalité, Solidarität. Im Lauf des Festivals kann man mit dem Künstler im Rahmen seiner Performance „The Kriegsspiel“ höchstpersönlich in der Sandkiste in Interaktion treten.

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David Višnjić

Das Besondere, unter anderem, am Donaufestival, so drückt es ein Besucher sehr treffend aus, ist, dass die Künstlerinnen und Künstler auf den einzelnen Bühnen jeweils einen kalten Raum bespielen, also sozusagen bei Null beginnen. Meist strömen die Menschen gerade aus der warmen Frühlingsluft in den Saal und haben Minuten zuvor eine inhaltlich sicherlich kohärente, aber ästhetisch oft völlig andere Erfahrung gemacht; auch als Publikum kann dies durchaus zum intellektuellen Begeisterungstraining werden.

Umso schöner, zu sehen, wie gut diese Brüche und Haken zwischen den einzelnen Acts an diesem Eröffnungstag der diesjährigen Festivaledition aufgehen. Am frühen Abend taucht man nach der Opening Performance in der Minoritenkirche etwa in die atmosphärischen Klangräume der kasachischen Violinistin Galya Bisengalieva ein. Sie spielt ihre tieftraurigen, instrumentalen Klagelieder über die ökologische Katastrophe unserer Gegenwart stehend in einem Ring aus Fäden, über den Projektionen wie Nordlichter flackern. Kontrabass und Bassflöte bereiten ein dunkles Klangbett, es zischt und surrt, irgendwo knackt ein Gletscher. Im Bühnennebel ist der Auftritt von Galya Bisengalieva eine andächtige Erfahrung.

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David Višnjić

Dem großen Donnergott Bass huldigen kurz darauf in der Halle 2, einen längeren Spaziergang durch den Park entfernt, zwei Acts auf unterschiedliche Art und Weise. Was Bisengalieva zuvor in der Kirche zum Zittern gebracht hatte, kommt bei dem Set des britischen Produzenten Luke Younger alias Helm ins Wanken. Die Bässe wühlen und krachen, der Dancefloor wird zur Glocke, hinter deren Wänden ein apokalyptisches Außen zu wüten scheint: Euphorie durch Doom.

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Später in der Nacht nutzen die kenianisch-stämmige, in Uganda beheimatete MC Yallah und der französische Beatbastler Debmaster die Kraft von Bass Music, Dembow und Grime als Firestarter für einen der ausgelassensten Dance-Freakouts der jüngeren Donaufestival-Geschichte. Zwei Jahre dauerte es, bis ihr lange geplanter Auftritt in Krems endlich stattfinden konnte, und umso mehr betont MC Yallah, die auch ganz ohne Backbeats a capella den Raum problemlos mit Wortsalven in der Schwebe hält: „Now we on fire!“ Am Ende strahlt sie in den verschwitzten Raum und stellt sogar die Überlegung an, hierher zu ziehen. (Dazu ein Tocotronic Wordle als vorsichtige Empfehlung: _ _ _ _ | _ _ _ _ | _ _ _ _ _ _, _ _ _ _ | _ _ _ _ _!)

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Im Stadtsaal indessen erforschen zwei maßgebliche Musikerinnen des zeitgenössischen Pop die beiden Enden des Ausdrucks-Spektrums. Hier die denkbar minimalistischste Introspektion, dort die herzerwärmendste Form der Entäußerung. Die Britin Tirzah zelebriert Intimität in wenigen Worten. Eine Zeile wie „I am sinking for that feeling“ reicht – sie wird gedreht und gewendet, zart verfremdet, dann hängt sie kurz in der Luft. Ein verhatschtes Sample dreht sich darunter im Kreis, der Synthesizer flackert, das Klavier setzt Tupfen. Traumverloren legt Tirzah so die Schönheit des Details frei; ein einzelner Gedanke darf alleine leuchten, dann versinkt er wieder im Nebel. An ihren tanzbarsten Tagen erinnert Tirzah an die benebelten Vibes von Dean Blunt und Inga Copeland, in anderen Momenten scheint der digitale Kammersoul von Artists wie James Blake & Co durch. Kleines Kino, große Wirkung.

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Dass spätnachts nach einer längeren Verzögerungen im Timetable Anja Plaschg ihr Donaufestival-Debüt gibt, scheint angesichts ihrer langen künstlerischen Laufbahn und ihrer singulären Stellung in der heimischen und internationalen Musikszene beinahe unglaublich, aber umso besser passt das Spezialprogramm ihres Auftritts zum diesjährigen Leitmotiv des Festivals, das sich unter dem Motto „Stealing the stolen“ mit Fragen nach geistigem Eigentum, Aneignung, Zitat und Diebstahl auseinandersetzt.

Dementsprechend spielt Soap&Skin, die die Kunst des Coverns seit jeher hochgehalten hat, mit ihrem Ensemble an diesem Abend ausschließlich Musik von anderen. Ihre bekannten, in Fleisch und Blut übergegangenen Neuinterpretationen von „Me and the devil“ (Robert Johnson) oder „Mawal Jamar“ (Omar Souleyman) sind ebenso zu hören wie zwei Handvoll, ja wirklich, komplett neue Erarbeitungen. Gemeinsam mit ihrem Partner und kongenialen Mitmusiker Jungstötter singt Soap&Skin Liebeslieder wie das allerzärtlichste „The Mystery of love“ von Sufjan Stevens oder gar „Song to the Siren“ (angelehnt an die Version von This Mortal Coil), später kommt bei „Girl loves me“ aus David Bowies Vermächtnisalbum „Blackstar“ einmal mehr Anja Plaschgs Potential als Jodlerin zum Vorschein.

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Der Superhit „Voyage Voyage“ wird in ihren Händen zur tieftraurigen Abschiedsballade an unwiederbringliche Zeiten, und irgendwann spaziert man vielleicht mit einem gänzlich unerwarteten Ohrwurm von Simon&Garfunkel in die Kremser Nacht hinaus: Lei la lei, lei la lei la lei la lei. „What a wonderful world“, das Soap&Skin einst in ein fragiles Möglichkeitsfenster in eine wundervolle Welt verwandelte, fehlt in der heutigen Setlist angesichts der unbarmherzigen Weltenlage. Me and God we don‘t get along, so I sing.

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