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Florence Given

Ist Florence Given die Stimme des zeitgenössischen Feminismus?

Die britische Influencerin Florence Given hat vor zwei Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht. Jetzt ist die Deutsche Übersetzung erschienen. Was die Ratgeberin „Frauen schulden dir gar nichts“ kann und nicht kann und ob Florence Given ihrem Ruf als Stimme des modernen Feminismus gerecht wird.

Von Alica Ouschan

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Florence Given

Frauen schulden dir gar nichts hat 288 Seiten und ist im KiWi Verlag erschienen. Übersetzt von Eva Horn und Kathrin Weßling.

2018 ist die Illustratorin Florence Given im Alter von nur zwanzig Jahren mit ihren feministischen Zeichnungen und aktivistischer Arbeit auf Social Media durchgestartet. Zwei Jahre später hat sie dann ihr erstes Buch veröffentlicht.

„Women Don’t Owe You Pretty“, so der Titel, schlüsselt Ideen und Hintergründe von modernem Feminismus auf, konzentriert sich aber auch auf andere Themen wie Sexualität und Rassismus. Jetzt, da die deutsche Übersetzung des Bestsellers erschien ist, ist es Zeit sich die Frage zu stellen, ob Florence Given als die Stimme des zeitgenössischen Feminismus bezeichnet werden kann.

„Das Leben ist zu kurz um dich nicht krass selbst zu lieben!“

Vor vier Jahren hat die Kunst- und Modestudentin Florence Given aus London begonnen, schrille, bunte, comic-artige Grafiken im 70er-Jahre-Style zu zeichnen und auf Instagram zu posten. Vor wild gemusterten Hintergründen in knalligem gelb, orange, rosa und rot zeigen ihre Zeichnungen Frauen mit diversen Erscheinungsbildern, gepaart mit schlagfertigen feministischen Sprüchen.

„Vielleicht bin ich nicht zu viel, sondern du einfach zu wenig.“

Damit hat sich Florence Given in kürzester Zeit den Status einer der international bekanntesten und anerkanntesten jungen Stimmen des Feminismus erarbeitet. Ihr erstes Buch „Frauen schulden dir gar nichts“ verspricht somit ein Riesenerfolg zu werden. Aber werden die schlagfertigen Kalendersprüche als Aufhänger für eine feministische Ratgeberin den Erwartungen gerecht?

Frauensolidarität: Gemeinsam gegen das Patriarchat

Zunächst catcht einen das Buch mit seiner forschen Sprache, mit Witz und einer empowernden Attitude. In zwanzig kurzen Kapiteln mit Apell-Überschriften werden der zeitgenössische Feminismus, die Wurzeln des Patriarchats und weiblichen Selbsthasses aufgedröselt. Über allem steht die Prämisse, dass Frauen aufhören sollten, ihren Selbstwert über die Bestätigung von Männern zu definieren.

„Als Frau in dieser Welt fühlt es sich oft so an, als hätten wir nur zwei Optionen: Entweder begehrt oder respektiert zu werden. Gesehen oder gehört. Wir dürfen nur sehr selten beides gleichzeitig erleben. Was von beidem wir erfahren hängt komplett von unserem Äußeren ab.“

Auch wenn Aussagen wie diese auf den ersten Blick hart klingen, so entpuppt sich ihr Kern oft als schmerzliche Wahrheit. Und bei diesen schmerzlichen Wahrheiten reiht sich eine an die nächste. So beschränkt sich Florence Given thematisch nicht auf die Befreiung der Frauen aus den Klauen des Patriachats, sondern richtet den Blick auch auf Zusammenhänge mit der eigenen Sexualität und rassistischen Denkmustern, die in unserer Gesellschaft verankert sind.

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Für Menschen, die sich bereits tiefer mit diesen Themen auseinandergesetzt haben, bietet „Frauen schulden dir gar nichts“ zwar keine allzu großen neuen Erkenntnisse, gerade für jene, die einen leichten Zugang suchen, in dem sie sich wiedererkennen, bietet es aber umso mehr Potential. Das Buch ist eindeutig dem Mindset der Generation Social Media entsprungen und richtet sich an sie.

Feminismus für normschöne, weiße Frauen?

Gleichzeitig bietet ebendieser Fokus auch Nährboden für Kritik: Denn Florence Given hat es als weiße, normschöne cisgeschlechtliche Frau definitiv leichter als manch andere. Was man ihr aber zugutehalten muss, ist, dass sie ihre eigenen Privilegien reflektiert und auch ihre Leserinnen dazu anhält. Außerdem erkennt sie auch an, dass sie viel von ihrem Wissen von Schwarzen Frauen vermittelt bekommen hat, denen sie am Ende des Buchs auch Credits dafür zuspricht. Trotzdem bleibt klar, wem das Buch den größten Gewinn bringt – sei es in Form von Geld oder Aufmerksamkeit.

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Auch auffällig, ist die Verschiebung des Selbstwertgefühls, das bei Florence Given nun zwar nicht mehr von männlicher Bestätigung abhängig ist, dafür aber von der eigenen Leistung und Status der Karriere. Dass viele Frauen aufgrund ihrer Lebensumstände nicht die Möglichkeit haben, groß Karriere zu machen oder ihr Potential voll auszuschöpfen, bleibt dabei auf der Strecke.

Oftmals fühlen sich die Aufforderungen, sich nicht mehr zu rasieren, um zu gefallen, gleichzeitig aber keine Frau dafür zu kritisieren, wenn sie es trotzdem macht, zwar schlüssig aber etwas verkürzt an. Richtigerweise merkt Florence Given an, dass das gegenseitige Konkurrieren von Frauen und der Frauenhass, der dadurch auch untereinander entsteht, ein „kluger Schachzug des Patriarchats“ ist, um Frauen klein zu halten.

„Triff endlich die tolle Person die in dir steckt und verlieb dich unsterblich in sie.“

Obwohl sich viele der Apelle von Florence Given nach Fingerzeigen anfühlen, schafft sie das Kunststück, diese zu relativieren – sie hält dazu an, das eigene Verhalten zu hinterfragen, sagt aber gleichzeitig, dass wir andere für Verhalten kritisieren sollten, das wir selbst erst vor Kurzem abgelegt haben.

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Florence Given als die Stimme des zeitgenössischen Feminismus zu bezeichnen, ist faktisch nicht unbedingt falsch, denn der Feminismus, auf den wir uns als Gesellschaft geeinigt haben, ist weiß und hält sich zumindest ansatzweise an patriarchale Regeln und Hierarchien.

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Florence Given ist unter @florencegiven auf Instagram zu finden.

Die Frage bleibt aber, ob es auch der Feminismus ist, auf den wir unseren Fokus legen sollten, oder ob es vielleicht wichtigere Stimmen innerhalb dieser Debatte gibt, die Aufgrund von weißen Influencerinnen, die wie Florence Given im Rampenlicht stehen, vielleicht nicht gehört oder übersehen werden.

Ein Hingucker einer Ratgeberin - nicht nur für Frauen!

Übrig bleibt ein optischer Hingucker von einer Ratgeberin, die nicht nur Frauen unbedingt lesen sollten. Gleichzeitig sollte uns dieses eher gemütliche Buch nicht davon abhalten, Literatur von Schwarzen oder anders marginalisierten Autorinnen zu lesen.

Und wer im Englischen sattelfest ist, kann sich überlegen, das Original „Women Don’t Owe You Pretty“ zu lesen. Denn auch, wenn die deutsche Übersetzung mehr als gelungen ist, kommt die Bedeutung von unübersetzbaren Slang-Wörtern und Sprüchen oftmals nicht mit derselben Schlagkraft rüber.

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