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Eine alte Fotografie einer jungen Iranerin ohne Kopftuch. Szene aus "Radiograph of a family".

Antipode Films

Empfehlungen für die Ethnocineca

Die Ethnocineca ist das größte internationale Dokumentarfilmfestival in Österreich. Von 12. bis 19. Mai präsentiert es in Wien u.a. Österreichpremieren von Dokus, mit denen Familiengeheimnisse ans Licht und auf die Leinwand kommen.

Von Maria Motter

„Entangled Realities“ ist das Motto der diesjährigen Ethnocineca: Das internationale Dokumentarfilmfestival widmet sich den globalen Verknüpfungen und Abhängigkeiten.

Die Ethnocineca eröffnet Donnerstagabend mit dem Beirut-Porträt „Kash Kash - Without feathers we can’t live“ von Lea Najjar. Das ist zugleich die erste Österreichpremiere, viele folgen im Programm des Festivals. Miaochun Zhangs „I don’t remember that I dreamed“ feiert Weltpremiere und führt nach Shanghai. In Peking wiederum verbringt die Kunststudentin Viv Li acht Tage, beim Besuch zuhause stellt sich ein Gefühl der Entfremdung ein, das sie in ihrem Kurzfilm „I don’t feel at home anywhere anymore“ dokumentiert.

Auch um Ressourcen und deren Verteilung geht es in mehreren Dokus im Programm der Ethnocineca: im Kurzfilm „Masters of the land“ ebenso wie in „Water and Coltan“, „So Foul A Sky“ und „Ressources“, in dem Menschen aus Mexiko für Massentierhaltung und Schlachtbetriebe in Kanada angeworben werden. In ihrer Heimat wurden sie erpresst, verschleppt und jetzt fürchten sie um ihr Leben. In Kanada sind sie Asylwerber*innen und wissen erst nicht, wie ihnen geschieht.

Jide Tom Akinleminus ”When a farm goes aflame”

Die Ethnocineca bietet 2022 auch ein Online-Programm mit Filmen an.

Wann wurde aus dem geteilten Leben ein Doppelleben und wie viele Brüder habe ich noch? Das fragt sich Jide Tom Akinleminu in seiner Kino-Doku „When a farm goes aflame“. Der Filmemacher ist das Kind einer Dänin und eines Nigerianers. Jung war der Vater, als er in Dänemark studierte, jung die Mutter Grete, als sie 1975 mit ihrem ersten gemeinsamen Kind nach Nigeria zog, wo die Nacht kohleschwarz war, der Himmel sternenklar und der Aberglaube groß. Das schrieb sie in Briefen ihren Eltern.

Jide Tom Akinleminu und seine Mutter sitzen einander am Esstisch gegenüber.

Jide Tom Akinleminu

„When a farm goes aflame“

Fünfzehn Jahre hat seine Mama Grete als junge Frau auf einer kleinen Farm gelebt, hat gearbeitet und Kinder erzogen, dann übersiedelt die Familie nach Dänemark, denn die Lage in Nigeria wird politisch und ökonomisch zunehmend unsicher. „You can understand yourself to death“, wird Grete in der Rückschau sagen. Sie hat noch immer ihr so gut anzuschauendes, liebes Gesicht. „Maybe I’m a world champion in that. You can be so understanding that you kill a part of you”. Im Kreis der Freundinnen, die sich “Nigerwives” nennen, weil sie Nigerianer zu Ehemännern nahmen, versucht die tapfere Frau zu lächeln. Die Liebe ihres Lebens hat parallel mehr als ein Doppelleben geführt. Jide Tom Akinleminu begibt sich mit Kamera und Tongerät auf Spurensuche von Dänemark über Nigeria nach Kanada. „When a farm goes aflame“ ist zweieinhalb Stunden lang, doch beachtlich offen und wertfrei in seiner Haltung.

Jide Tom Akinleminu sitzt vor dem Haus seines Vaters in Nigeria, der Vater liegt etwas fern von ihm in einem Sessel. Es ist Nacht. Szene aus der Doku "When a farm goes aflame".

Jide Tom Akinleminu

Jide Tom Akinleminu ist in Nigeria und in Dänemark aufgewachsen. Bei jedem Besuch bei seinem Vater tat sich ein neues Geheimnis auf.

Neary Adeline Hays “Eskape“

1981, Kambodscha. Neary Adeline Hay ist drei Monate alt. Ihre Mutter schlägt sich mit einem Schlepper, dem ihre Familie Gold im Wert eines Hauses zahlte, durch den Dschungel über die Berge nach Thailand in ein Auffanglager durch. Ihr Baby nimmt sie mit. Frankreich wird ihr Zuhause werden. Für die 70-minütige Doku „Eskape“ befragt Neary Adeline Hay ihre Mutter nach der Vergangenheit und der Geschichte der Familie.

Menschen verschwanden, das Schicksal ihres Großvaters ist Neary Adeline Hay unbekannt. „Stomach asks first to eat“, antwortet ihr die Mutter auf die Frage, ob sie nicht versucht hätte, herauszufinden, was mit dem Vater geschehen war. „Manchmal ist die Frage des Überlebens größer als alles andere“, sagt die Mutter, die für gewaltiges Geschehen nur kurze Sätze übrighat. Auf einem Pariser Wochenmarkt feilscht sie um Austern und Zitronen, weil es ihr Freude macht.

„Eskape“ erzählt in schönsten, ruhigen Steadicam-Bildern vom Überleben. Neary Adeline Hay reist mit ihrer Mutter an Orte der Vergangenheit, in der Hoffnung, dass die Mutter eine Sprache für ihre Erinnerungen findet.

Neary Adeline Hay als Baby mit ihrer Mutter. Aus der Doku "Eskape".

Neary Adeline Hay

Regisseurin Neary Adeline Hay als Baby mit ihrer Mutter.

Firouzeh Khosrovanis “Radiograph of a family“

Firouzeh Khosrovani setzt mit viel historischem Filmmaterial, Fotografien und imaginierten Dialogen die Ehe ihrer Eltern in dem am IDFA ausgezeichneten Film „Radiograph of a family“ wieder zusammen. Und sie erzählt mit großer Ruhe fast beiläufig die Geschichte einer Radikalisierung. Der Vater ist ein weltoffener Mann, der Radiologe wird, Fotografie und klassische Musik liebt. Seine zukünftige Frau lernt er, der in der Schweiz studiert, bei einem Heimatbesuch im Iran kennen. Hals über Kopf verliebt er sich. Sie wird sich beim Skifahren den Rücken brechen und auf die Übersiedelung in den Iran drängen, als sie mit Firouzeh schwanger ist. War ihr das westliche Leben mit kurzen Röcken, Partys und Alkohol im Haus immer fremd geblieben, so folgt sie - zurück im Iran - den Aussagen des Ideologen Ali Shariati, der den Islam als Staatsform begriff. Es ist, als wären es zwei Irans, äußert sich die Mutter. „Radiograph of a family“ ist detailverliebt gestaltet, um ein größeres Bild des Irans zu schaffen, fehlen allerdings Informationen zu den bedeutenden politischen Ereignissen, auf die Archivaufnahmen nur verweisen.

Eine alte Fotografie einer jungen Iranerin ohne Kopftuch. Szene aus "Radiograph of a family".

Antipode Films

„Radiograph of a family“ ist auch via Stream beim Ethnocineca Festival zu sehen.

Ethnocineca 2022

Die Ethnocineca findet vom 12. bis 19. Mai in mehreren Kinos in Wien statt. Alle Infos zum Programm auch auf www.ethnocineca.at.

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