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Der Song zum Sonntag: Kendrick Lamar & Beth Gibbons - „Mother I Sober“

„Mr. Morale & The Big Steppers“ heißt das beeindruckende neue Album von Kendrick Lamar. Selbstkonfrontation, Therapie und Aufarbeitung sind darauf große Themen. Auch im Song „Mother I Sober“ featuring Beth Gibbons von Portishead.

Von Christoph Sepin

Schwäche zeigen heißt nicht schwach sein. Wenn man sich öffnet, beweist man Stärke. Weil man dann aufhört, sich zu verstecken, hinter gespieltem Selbstbewusstsein, hinter Aggression oder Lachen, Zynismus oder Muskeln oder Tattoos oder hinter was auch immer für anderen Masken. („I see them daily burying their pain in chains and tattoos“, sagt Kendrick Lamar irgendwann in „Mother I Sober“, dem vorletzten Song auf seiner neuen Platte „Mr. Morale & The Big Steppers“, aber davor noch viele andere Dinge.)

„Intergenerational trauma“ wird fast inflationär-catchphraseartig verwendet, da vergisst man leicht, was das eigentlich beschreiben soll: Menschen, die Grausamkeiten erleben und diese dann an die nächste Generation weitergeben. Und dann geht das weiter und weiter, ein ewiger Loop der Gewalt, des Leidens, der Frustration, Wut, Scham und der Schmerzen. Wenn man’s schafft und wenn man weiß, wie tief man drin ist, dann kann man versuchen, daraus auszubrechen.

Das kann durch Therapie passieren („Pure soul, even in her pain, know she cared for me, gave me a number, said she recommended some therapy“, sagt Kendrick Lamar irgendwann, aber davor noch viele andere Dinge). Man kann dem vicious circle durch (Selbst-)konfrontation zu entkommen versuchen - oder durch Kunst, Kreativität, durch das Schreiben eines Songs. Sieben Minuten dauert „Mother I Sober“, geht von eingeschüchterter Vorsicht zu Transformation. Pulitzer Prize-Gewinner Kendrick Lamar zeigt hier Größe.

Klavier spielt, wie aus einem Portishead-Song, Beth Gibbons, Vokalistin der britischen Band, schaut für einen Gastspot vorbei. „I’m sensitive, I feel everything, I feel everybody“, beginnt Lamar. Viele von uns kennen das, wenige von uns trauen sich das zu artikulieren. „Heal myself, secrets that I hide“: Es geht um schlimmste Erfahrungen, um Kindheit, Familie und Missverständnisse, um Verletzungen und Gewalt und viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen zu müssen. „I was five, questioning myself, alone for many years“.

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Kendrick Lamar spricht in „Mother I Sober“ für sich selbst, aber gleichzeitig für alle anderen, vor allem die, denen es besonders schwerfällt, sich mit den eigenen Gefühlen zu konfrontieren und emotionale Aufarbeitung zuzulassen. Das kann echt kompliziert sein, oft hofft man einfach, man wäre jemand anderes: „I wish I was somebody, anybody but myself“, singt Beth Gibbons als Quasi-Refrain, der keiner sein muss. Therapeutisches Storytelling muss nicht in Pop-Beats passieren.

Break the circle of trauma: Komm raus aus dem Bullshit und mach dich selbst gesund und hilf damit allen anderen, die dir nahe sind: Zum Finale des Songs wird Kendrick Lamar immer pointierter, lauter und Stimme für die Welt und ihre Unterdrückten: „All those women gave me superpowers, what I thought I lacked, I pray our children don’t inherit me and feelings I attract. A conversation not being addressed in Black families, the devastation, haunting generations and humanity“.

Mach dich selbst frei: „So I set free myself from all the guilt that I thought I made“, sagt Lamar und „so I set free my mother all the hurt that she titled shame“ und „so I set free the hearts filled with hatred, keep our bodies sacred“. Und vor allem: „As I set free all you abusers, this is transformation“. Transformation, das Rausbrechen aus dem Loop des Traumas, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, emotionale Heilung. „You did it, I’m proud of you, you broke a generational curse“, dann eine Stimme im Outro. „Say ‚Thank you, dad‘“. Und eine finale Zeile: „Before I go in fast asleep, love me for me, I bare my soul and now we’re free“. Beeindruckender Song, über den wir in Zukunft wohl noch öfter sprechen werden.

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