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Junge Frau auf einem Segelboot am Meer, das Haar weht im Wind. Szene aus "Stories from the Sea".

Fahrenheit Films

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„Stories from the Sea“: auch in Schwarz-Weiß wunderbar

„Schaut man lange genug hin, erkennt man sich selber darin“, schreibt Jola Wieczorek über das Meer. In ihrer wunderschönen Doku „Stories from the Sea“ driftet man von Schiff zu Boot am Mittelmeer und auch ab, in eigene Gedanken.

Von Maria Motter

Neun Monate ist Jessica schon auf See. Mit einem Lächeln und einer charmanten Zurückgenommenheit, wie man sie im Spielfilm von Sandra Hüller kennt, steht die junge Frau mit Schutzhelm und im Overall auf dem Frachtschiff „Joanna Borchard“ und unterhält sich mit einem Kollegen darüber, wie oft schon sämtliche Positionen der Crew gewechselt haben.

Jessica ist noch immer an Bord, und sie ist eine der drei Hauptpersonen in der Doku „Stories from the Sea“. Sie sei schon ein halber Filipino, scherzen die Kollegen anerkennend. „‘Schau, du läufst wie ein Filipino!‘ Ja, aber ich benutze noch immer Gabel und Messer. Bevor ich Filipinos kennengelernt habe, habe ich auch noch Löffel zum Essen verwendet.“ Viele der Seeleute kommen von den Philippinen.

Junge blonde Frau mit Schutzhelm am Frachtschiff. Szene aus der Doku "Stories from the Sea".

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Jola Wieczorek hat für ihren wunderschönen Mittelmeer-Film „Stories from the Sea“ auf den ersten Blick sympathische Menschen ausfindig gemacht, die sofort große Neugier wecken. Wir schauen drei Frauen auf drei Schiffen zu, beim Arbeiten und beim Leben auf See. Ungezählte Bilder und Filme gibt es vom Mittelmeer, doch Jola Wieczorek gelingen andere Perspektiven auf Leben und Arbeiten auf See. Auch weil hier eine Unvoreingenommenheit zu sehen ist (Kamera: Serafin Spitzer) und Menschen hier einmal nicht als Stellvertreterfiguren präsentiert und inszeniert werden.

Schwarzweiß ist das Meer in diesem neuen Kinofilm aus Österreich, weil es doch so viele Farben hat, je nach Tiefe und Lichteinfall, dass das sonst schnell ins Auge sticht. Und doch hat man es letzthin auf der Leinwand selten in einem schöneren Licht gesehen.

Tanzende in einem Kreuzfahrtsschiff. Szene aus "Stories from the Sea"

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Kartoffeln und Karaoke

Das Schiff ist für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis in unsere Tage nicht nur das größte Instrument der wirtschaftlichen Entwicklung gewesen, sondern auch das größte Imaginationsarsenal, hat Michel Foucault in den 1960ern festgehalten und Jola Wieczorek zitiert den großen französischen Denker kurz in „Stories from the Sea“: „In den Zivilisationen ohne Schiff versiegen die Träume, die Spionage ersetzt das Abenteuer und die Polizei die Freibeuter“.

Und so zieht es auch junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam aufs Meer, wo sie auf zwei Segelschiffen mit der erfahrenen Seglerin Federica Kartoffeln schälen, einander von sich erzählen und sich einfach gemeinsam fortbewegen. Wohin das führt, werden sie schon sehen. Für sie ist es eine persönliche Revolution in der Kabine. „Was ist das Mittelmeer?“, liest ein Passagier aus einem Buch vor, „Nicht ein Meer, sondern viele. Nicht eine Zivilisation, sondern eine Reihe von Zivilisationen.“

Ein Vulkan und das Meer. Szene aus "Stories from the Sea".

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In „Stories from the Sea“ schaut man den Menschen einfach zu und driftet so von Schiff zu Boot und auch ab, in eigene Gedanken. In diesem Film geht es um Zugehörigkeit. Und wenn dann heutige Seefahrer*innen Karaoke singen, John Denver und R.E.M., fügt sich die kurze Sequenz dezent und elegant in dieses berauschende Sounddesign. Es rauscht, es dröhnt, klirrt metallen und Melodien schimmern durch und bahnen sich an die Oberfläche.

„Stories from the Sea“ ist ab 20. Mai 2022 in Kinos zu sehen.

Die Filmemacherin Jola Wieczorek ist in Polen geboren und in Oberösterreich aufgewachsen. „Stories from the Sea“ ist ihr Langdoku-Debüt. Beim Crossing Europe 2022 hat sie dafür den Local Artist Award gewonnen, beim Film Festival Max Ophüls Preis ist die Filmmusik der Cellistin und Komponistin Julia Kent ausgezeichnet worden. Kent wirkte zuvor u.a. bei Antony and the Johnsons mit. Die gemeinsame Arbeit haben sie via E-Mail abgewickelt. Jola Wieczorek hat Julia Kent viele Texte geschickt, die sie inspirieren und die ihr wichtig sind.

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