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Szenenbild "Top Gun: Maverick"

Constantin

Der Maverick wird’s schon richten

Die Uniformknöpfe sind poliert, der Feind anonymisiert: Willkommen in der Nostalgiemaschine „Top Gun: Maverick“, ein fast anachronistischer Blockbuster, der das Actionhandwerk und die Navy feiert. Der Antiheld kann abtreten, der Kriegsheld übernimmt das Steuer.

Von Pia Reiser

„I feel the need, the need for speed“, ist einer der bekanntesten Sätze aus „Top Gun“. Recht groß war der need for speed in Sachen Sequelproduktion nicht, satte 36 Jahre nach Tony Scotts Film über junge Navy-Kampfpiloten kommt mit „Top Gun: Maverick“ diese Woche die Fortsetzung in die Kinos.

1986 macht „Top Gun“ Tom Cruise zu einem Filmstar, jetzt muss man perplex feststellen, dass er einer der letzten Larger-than-life-Filmstars ist. Wenn er in „Top Gun: Maverick“ in einem strahlend weißen T-Shirt und mit verspiegelter Ray-Ban-Sonnenbrille auftaucht, dann sind das nicht nur schon zwei erste Referenzen an „Top Gun“, sondern auch das erste Auftrumpfen des Films mit der Tatsache, dass Cruise auch noch mit Ende 50 den jungenhaften „The sky is the limit“-Schmunzelcharme aus dem Ärmel schütteln kann.

Nicht, dass er das nicht ohnehin im Grunde in fast jedem seiner Filme (mit Ausnahme von „Tropic Thunder“) beweist, aber hier tritt er immerhin im kollektiven Filmgedächtnis - und tatsächlichen Fotos und Szenen aus „Top Gun“ - mit seinem 24-jährigen Ich in Konkurrenz. Verschmitzt und verschwitzt, arrogant und ehrgeizig sind die Piloten 1986 in „Top Gun“, und Haargel ist zu der Zeit noch eine Sache, an der man nicht vorbeikommt. Die US-Flagge weht im Wind und das Militär verkörpert hier nicht die Antagonisten, schließlich wird der Film in enger Zusammenarbeit mit der Navy produziert. Und während in den 1980er Jahren viele Filme gedreht werden, die sich mit dem Vietnamkrieg beschäftigen, pfeift „Top Gun“ auf Vergangenheit und Kriegstrauma und präsentiert das Militär als attraktiven Lifestyle. Kameradschaft, Adrenalin, Gefahr, Coolness, Patriotismus.

Szenenbild "Top Gun"

Paramount Pictures

„Top Gun“ (1986)

Regisseur Tony Scott greift auf sein Werbe- und Musikvideohandwerkskönnen zurück und packt das Ganze in eine Ästhetik, die das Jahrzehnt auf den Punkt bringt. Das hier ist kein pathetischer Kriegsfilm. „MTV goes to war“, schreibt Time Magazine damals und „Top Gun“ funktioniert als Propaganda. Die Zahlen der jungen Männer, die zur Navy wollen, schnellen nach dem Filmstart in die Höhe. „Top Gun: Maverick“ wird jetzt zwar sicherlich ein Box-Office-Erfolg, den Berufswunsch „Kampfpilot“ wird er wohl bei niemandem auslösen. Das Bild vom blutlosen Krieg gegen einen nicht genau definierten Feind, das geht sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges aus, im Jahr 2022 aber nicht.

So wirkt „Top Gun: Maverick“ aus der Zeit gefallen, im besten und um schlechtesten Sinne. „Nostalgia is a weapon“, hat Douglas Coupland einmal geschrieben und mit diesem Film beweisen sich Regisseur Joseph Kosinski und das Quintett der Drehbuchautoren - unter ihnen auch Langzeit-Cruise-Kollaborateur Christopher McQuarrie - als nicht zimperlich beim Griff zur Nostalgiewaffe.

Das Sequel beginnt genau wie der erste Teil zu Kenny Loggins „Welcome to the Danger Zone“. Wir sehen Jets auf einem Flugzeugträger abheben und landen, man hantiert mit Werkzeug und Schläuchen, die Motoren dröhnen, über dem Asphalt flirrt die Hitze, alles klassisch Danger Zone eben, nichts geht über den Duft von Kerosin am frühen Morgen.

Einen waghalsigen Jet-Ausflug und eine helmlose Fahrt auf dem Motorrad (wär ja auch schade, diese Haarpracht plattzudrücken) später wissen wir, Maverick (Tom Cruise) ist immer noch der alte Drauf- und Einzelgänger und schon lange nicht mehr im Dienst der Navy, aber wir haben es eh schon vermutet, die braucht ihn mehr als er sie. Ausgerechnet Maverick soll eine Gruppe von jungen Pilot*innen unterrichten und sie für eine Mission vorbereiten: Die Zerstörung einer Urananreicherungsanlage. Wo sich die befindet, wird im Film nie ausgesprochen, großzügigerweise könnte man auch das als Hommage an den ersten Teil sehen, wo beim Kampfeinsatz gegen Ende des Films auch nie gesagt wird, gegen wen Maverick und Iceman hier anfliegen. Wenn man das weniger großzügig betrachtet, hinterlässt der nie beim Namen genannte Feind einen seltsamen Beigeschmack.

Unter den jungen Pilot*innen, denen Maverick beibringen soll, die Anlage in Namenlosistan zu zerstören, ist auch Rooster (Miles Teller) und sein Geflügel-Call Sign verrät schon: Das ist der Sohn von Goose (Anthony Edwards), der in „Top Gun“ bei einem simulierten Luftkampf als Mavericks Wingman gestorben ist.

Szenenbild "Top Gun: Maverick"

Constantin

Rooster trägt nicht nur den Schnurrbart und das Freizeithemd wie sein Vater. Um eine der ebenfalls legendären „Top Gun“-Szenen auch im Sequel wiederzubeleben, sitzt er auch gern am Klavier und gibt Jerry Lee Lewis’ „Great Balls of Fire“ zum Besten. Die Aussöhnung mit Rooster sowie eine Annäherung an Barbesitzerin Penny (Jennifer Connelly) sind die eher dünneren Standbeine des emotionalen Plots von „Top Gun: Maverick“. Tatsächlich emotional, weil hier nicht nur Anspielungen an den ersten Film, sondern an die Realität zu finden sind, sind dafür die Szenen mit Val Kilmer. Kilmer gibt im ersten Teil Iceman, den Gegenspieler von Maverick, hier kehrt er in dieser Rolle zurück, als Admiral und - wie Kilmer selbst - gezeichnet von einer schweren Krankheit und kaum in der Lage zu sprechen.

Für Kelly McGillis als Charlie - im ersten Teil Ausbilderin und Love Interest von Maverick - war im Sequel kein Platz. „I’m old and I’m fat and I look age-appropriate for what my age is“, so Gillis auf die Nachfrage von ET, wieso sie im Sequel nicht dabei ist. Dafür fährt Penny einen Porsche wie damals Charlie, das muss genügen. Die Dialoge zwischen Penny und Maverick sind, nehme ich an, entstanden, nachdem man 12-jährige Schüler gefragt hat, was sie glauben, wie es ist, wenn man erwachsen ist und eine Freundin hat.

Gar nicht vorhanden ist in „Top Gun: Maverick“ - und das ist keine große Überraschung - das, was „Top Gun“ im Grunde erst zu einem popkulturellen Phänomen gemacht hat: die schon recht lauten homoerotischen Zwischentöne. Nicht erst seit Quentin Tarantino in dem Film „Sleep with me“ als Partygast aus der Hölle erklärt hat, worum es in „Top Gun“ wirklich geht, sind der schmachtende Blick auf trainierte Männerkörper, die Blicke zwischen Iceman und Maverick und das legendäre Volleyballspiel am Strand nicht mehr aus der Diskussion, die „Top Gun“ umgibt, wegzudenken.

In „Top Gun: Maverick“ wird zwar auch mal am Strand Ball gespielt, doch mehr als Teambuilding-Aufgabe und noch mehr als Aufforderung ans Publikum, sich jetzt doch mal an die Volleyballszene aus dem ersten Teil zu erinnern. Zu wissen, dass dieser Aspekt des Films im Jahr 2022 nicht reproduzierbar ist, ohne ins Parodistische abzurutschen, gehört zu den Stärken des Drehbuchs, ebenso, dass man die mehr als nur seltsame Karaoke-Aufriss-Szene aus „Top Gun“ einfach ruhen lässt, keine Referenz dran knüpft und keinen Ersatz dafür baut.

Szenenbild "Top Gun: Maverick"

Constantin

Mit seinem komplett unironischen Unterfangen, den 80er-Jahre-Blockbuster wiederauferstehen zu lassen, ist „Top Gun: Maverick“ im Grunde anachronistisch, scheint aber einen Nerv zu treffen. Nach fast 20 Jahren Comickino- und CGI-Herrschaft ist „Top Gun: Maverick“ im Prinzip ein Blockbuster wie aus dem Manufactum-Katalog. Eingedenk der Dinge, wie sie früher einmal waren und das Handwerkliche hochhaltend, keine künstlichen Zusatzstoffe. Tom Cruise hat den Schauspieler*innen, die die Pilot*innen spielen, unter anderem ein dreiwöchiges Flugtraining verordnet. „No green screen“, lautete die Tom-Cruise-Verordnung, „Top Gun: Maverick“ ist im Grunde ein Plädoyer für das gute, alte Actionkino. Wenn Maverick mehrmals auf sein Alter hingewiesen wird und ihm erklärt wird, dass er ein Auslaufmodell sei, dann findet auch ein Dialog über Tom Cruise statt - und beide treten dann den Beweis an, dass sie eben noch nicht bereit sind abzutreten. Die Rolle als Mentor und Lehrer, mit der Maverick eingeführt wird, hält nicht lange an. Genauso wenig wie Cruise bereit war, die „Mission Impossible“-Staffel an Jeremy Renner abzugeben, will er auch hier in der zweiten Reihe stehen und nur zusehen.

Betrachtet man nur den Blockbuster, ist „Top Gun: Maverick“ ein funktionierender Film, tatsächlich fühlen sich ein paar der Flugszenen nach all dem CGI-Gedröhne der letzten Jahre wie eine kleine Action-Sommerfrische an. Dass ein Film, der mit Unterstützung des US-Militärs in die Kinos kommt, ein auf Hochglanz poliertes Bild der Navy bietet, ist auch keine Überraschung - man stolpert darüber natürlich jetzt mehr als im Jahr 2020, als „Top Gun: Maverick“ eigentlich in die Kinos hätte kommen sollen.

„Don’t think up there“, gibt Maverick Rooster mehrmals die Anweisung, wie er sich bei Entscheidungen im Cockpit zu verhalten habe, der Anweisung kann man auch ruhig während des Films folgen und die Fahrt mit der Nostalgie-Action-Achterbahn für zwei Stunden ganz unterhaltsam finden. Wenn aber dann die verspiegelte Sonnenbrille abgenommen worden ist und die amerikanische Flagge leinwandfüllend im Bild war, muss man zumindest zur Kenntnis nehmen, dass Maverick zwar vor 36 Jahren in „Top Gun“ mit viel Augenzudrückerei als Antiheld durchgegangen ist, mit „Top Gun: Maverick“ jetzt aber nicht nur der Held, sondern der Kriegsheld zurück auf der Leinwand ist. Go back to bed, America, der Maverick ist wieder da.

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