Sind Pornos die moderne Aufklärung?

Lehrer*innen, Eltern oder die Freund*innen: Wer die sexuelle Aufklärung übernimmt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Pornografie spielt dabei ebenfalls eine Rolle. Sind Pornos die moderne Aufklärung?

Von René Froschmayer

Gefühlt tun es alle – zugeben tun es aber nur wenige. Pornos sind allgegenwärtig. Die Neugierde treibt auch nicht-volljährige, junge Menschen auf Pornoplattformen. Durch eine unüberwindbare Alterskontrolle bleiben ihnen pornografische Onlineinhalte jedoch verwehrt. So oder so ähnlich. Nachdem in der Regel ein einziger Klick genügt, um die Volljährigkeit zu bestätigen, ist Pornografie vor allem eines: leicht zu finden.

Mit rund 13 Jahren findet laut Studien der erste Kontakt mit pornografischen Inhalten im Internet statt. Dabei gibt es einen Genderbias, wie auch Michael Peintner, Sexualpädagoge und Sexualberater, bestätigt: „Mainstream-Pornografie ist vorwiegend an ein heterosexuelles, cis-geschlechtliches, männliches Publikum gerichtet. In vielen jungen Frauen rufen diese Inhalte Ekelgefühle hervor.“ Der Konsum von Pornos ist mit Risiken behaftet. So kann durch den Konsum die eigene sich erst entfaltende Sexualität beeinflusst werden.

Tabuisierung von Sexualität als Risiko

Wie und in welchem Ausmaß Pornos einen Einfluss auf die Sexualität haben, hängt von persönlichen Faktoren ab. „Je weniger Schritte in der eigenen sexuellen Entwicklung getan wurden, umso eher können die in Pornografie präsentierten Bilder übernommen werden. Dann kann nicht so gut wahrgenommen und abgewogen werden, ob diverse Dinge tatsächlich gefallen und Lust oder Freude bereiten“, erklärt Johanna Ginter, Sexualpädagogin und Sexualtherapeutin.

Die Sozialisation ist ebenfalls ausschlaggebend für die Verarbeitung von pornografischen Inhalten. Sexualität und Pornos – in unzähligen Familien werden diese Begriffe und all die Dinge, die sie auch nur tangieren, totgeschwiegen. Gott behüte! Einen fortschrittlichen und reflektierten Umgang mit Pornografie unterstützt dieses tief verwurzelte Phänomen nicht. „Wenn diese Themen in Familien ein Tabu sind, die jungen Menschen keine Möglichkeit haben, Sexualität wertschätzend kennenzulernen und als Folge Pornografie auch anders wahrzunehmen, dann bewegen wir uns auf einer bedenklichen Seite", so Michael Peintner. Er fügt an:

Wie eine Person mit Sexualität heranwächst, beeinflusst, wie Pornografie das Beziehungs- und Sexualleben beeinflusst.

Als Folge können vor allem (aber nicht nur) junge Menschen Pornos als Anleitung zum Sex verstehen. Rückschrittliche Geschlechterbilder inklusive.

Pornos und falsche Geschlechterbilder

Ein langer Penis, eine ausdauernde Performance und muskulöses Antlitz – Männer werden in Mainstream-Pornos als Sexmaschinen dargestellt. Die Erektion des Penis kommt dann, wenn sie gebraucht wird. Lust empfindet der weibliche, möglichst großbusige Counterpart immer dann, wenn sie der männliche ebenfalls verspürt. Erniedrigung, rassistische Verhaltensmuster und ein verfremdetes Bild von Sexualität inklusive.

„Diese Bilder beeinflussen die Konsument*innen“, hebt Michael Peintner hervor. „Ohne Reflexionsmöglichkeiten und Auseinandersetzung mit alternativen und realitätstreuen Geschlechterbildern, können Pornos die eigene Haltung und das Sexualleben beeinflussen.“ Die Mainstream-Pornografie hat ein Diversitätsproblem, das unterstreicht auch Johanna Ginter. „Menschen fühlen sich durch sie diskriminiert und sicher nicht abgeholt. Ein diverseres Angebot gibt es, jedoch großteils kostenpflichtig.“ Ein kritischer Umgang kann die Gefahren entschärfen. Dafür bietet sich der Aufklärungsunterricht an. Die Realität weist jedoch Mängel auf.

Pornos im Aufklärungsunterricht

„Im derzeitigen Aufklärungsunterricht findet das Thema Pornografie zu wenig Platz, Raum und Zeit. Für Sexualität werden zu wenig Ressourcen angeboten. Das beginnt schon bei falsch abgebildeten und beschrifteten Genitalien (Stichwort: Vulva – Vagina)“, meint Johanna Ginter. Sie unterstreicht, dass vor allem die Aufbereitung der Themen für das junge Zielpublikum Relevanz hat. „Man muss die Inhalte altersadäquat verpacken, damit sie für die Jugendlichen verständlich sind.“

Institutionelle Aufklärung allein reicht laut ihr nicht. Eine Begleitung der sexuellen Entwicklung durch die Eltern als Vertrauens- und Bezugspersonen von Kindheit an sei sinnvoll. „Dann besteht auch wenig Gefahr, dass durch Pornos vermittelte Bilder ein großes Thema im Leben der jungen Erwachsenen werden.“

Communication is key – auch in der Rezeption von Pornografie. „Das einfachste Rezept ist, darüber zu reden“, unterstreicht Michael Peintner. Bis Sexualität und Pornografie gesellschaftlich diskursfähig sind, wird das vermutlich weiterhin im stillen Kämmerchen hinter vorgehaltener Hand geschehen.

Also lasst uns über Sex, Pornos und Sexualität sprechen, Missstände benennen und das Tabu brechen.

FM4 Auf Laut: Was muss Aufklärung im Jahr 2022 können?

Pornografie sollte einen höheren Stellenwert in der Aufklärung besitzen. Wo sollen weitere Schwerpunkte in der Aufklärung gesetzt werden? Wer soll denn nun aufklären: Vereine, die Familie oder Lehrer*innen? Wie war das damals bei dir? Bravo-Heft oder Social Media? Porno oder altbackenes Unterrichtsmaterial im Biologieunterricht?

Wie lässt sich die eigene Sexualität erkunden, wenn die heteronormative Gesellschaft vorgibt, es gäbe nur zwei eindeutige Möglichkeiten? Welche Fragen und Wünsche zu Sexualität und Intimität bleiben unbeantwortet? Was muss Aufklärung im Jahr 2022 für dich können?

Alex Augustin spricht in FM4 Auf Laut mit Sexualpädagog*in Ben Russell von zweite-aufklärung.at über die Lücken des derzeitigen Aufklärungsunterrichts und mit Teilnehmer*innen des ORF Redewettbewerbs „Sag’s Multi!“ über ihre Erfahrungen.

FM4 Auf Laut, Dienstag, 24. Mai 2022, 21 Uhr

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