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Portrait von Wortlautjurorin Milena Michiko Flašar

Zita Bereuter/FM4

Wortlaut

Ausreden mit Milena Michiko Flašar

Ausreden vs. japanische Höflichkeit. Die Autorin und Wortlautjurorin Milena Michiko Flašar ist in zwei Kulturen aufgewachsen und schöpft genau daraus in ihrem Werk. Außerdem ist sie eine begeisterte Kurzgeschichtenleserin.

Von Zita Bereuter

„Ich habe immer das Gefühl gehabt, wir sind keine normale Familie. Wir sind irgendwie eine Familie, die anders ist.“ Milena Michiko Flašar ist in St. Pölten geboren. Ihre Mutter ist Japanerin, ihr Vater Österreicher. „Das ist als Kind natürlich auch nicht immer einfach und nicht immer leicht, weil man möchte ja dazugehören zur Mehrheit, man möchte normal sein.“

Mit der Mutter spricht sie Japanisch, mit dem Vater Deutsch. Je nach Beziehung wird die Sprache geändert. Manchmal ergibt sich „eine Art Mischmasch“. Die Zweisprachigkeit, die sie als Kind als Zumutung empfindet, erkennt sie als Erwachsene als großen Reichtum. „Es ist vielleicht als Kind manchmal schwer, das auszubalancieren, aber es ist einfach nur ein Gewinn, weil man zwei komplexe Systeme irgendwo erfassen und verstehen kann und dadurch innerlich sehr flexibel, sehr weich wird.“ Folglich mutet sie diese Zweisprachigkeit mittlerweile auch ihrem Sohn zu.

Sprache ist in ihrer Familie sehr wichtig. Die Eltern lesen viel und wecken diese Leidenschaft früh in Milena. Kaum, dass sie lesen und schreiben kann, ist da auch schon der große Wunsch, Geschichten zu erfinden und zu erzählen.

„Meine ganz eigene kleine Welt zwischen zwei Buchdeckeln.“

Wie viele andere schreibt sie Tagebuch. Als Jugendliche sieht sie darin „eine Insel, auf die ich mich zurückziehen kann. Meine ganz eigene kleine Welt zwischen zwei Buchdeckeln. Die war in gewissem Sinne auch vielleicht überlebensnotwendig, um diese ganzen Weltschmerzen, die man da irgendwie durchlebt, als Jugendlicher, um die mit sich abzumachen, zu verarbeiten.“ Leider sind ihr einige dieser Tagebücher aus der ganz frühen Jugend so peinlich, dass sie diese später weg wirft. „Was mir jetzt leid tut.“

Milena Michiko Flašar studiert in Wien Komparatistik, Germanistik und Romanistik und beginnt zu schreiben. Dabei hat sie ihre „abnormale Familie“ auch etwas gestärkt: „Mitgefühl mit anderen, denen es vielleicht ähnlich geht. Nämlich, dass sie sich auch anders fühlen. Es muss ja gar nicht unbedingt sein, dass man aus zwei Kulturen kommt. Man kann sich auch als Österreicher*in komplett anders fühlen als der Rest - aufgrund von anderen Themen und Aspekten. Und das, was mich da stark gemacht hat, ist einfach das Verständnis dafür und das Mitgefühl. Ich bilde mir ein, zumindest mitfühlen zu können, wie es jemandem geht, der sich auch so ein bisschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt.“

Buchcover von Milena Michiko Flasars "Ich nannte ihn Krawatte" und "Herr Kato spielt Familie"

Wagenbach Verlag / Montage: Radio FM4

In ihren letzten beiden Romanen beschreibt Milena Michiko Flašar Themen, die in der japanischen Kultur angesiedelt sind. In „Ich nannte ihn Krawatte“ ist es „Hikikomori“ (der lange Rückzug in die Einsamkeit, meist die eigenen vier Wände). In „Herr Katō spielt Familie“ sind es „Stand-Ins“ (Schauspieler*innen, die man als Familienmitglieder oder Partner*innen für diverse gesellschaftliche Anlässe buchen kann).

„Ich nannte ihn Krawatte“

Von ausgeschlossenen Figuren erzählt sie Vorzugsweise in ihren Romanen. Etwa in „Ich nannte ihn Krawatte“ nimmt sie bereits 2012 das japanISCHE Phänomen Hikikomori als Ausgangspunkt. Ein männlicher Teenager sperrt sich lange in seinem Zimmer ein, öffnet sich dann wieder der Welt und sucht regelmäßig einen Park auf. Dort lernt er einen älteren Mann kennen, der seiner Frau täglich aufs Neue vorspielt, in die Arbeit zu gehen, stattdessen aber längst keine Arbeit mehr hat und die Zeit im Park totschlägt. Der Roman wurde übrigens mehrfach ausgezeichnet, über 100.000 Mal verkauft und sowohl fürs Theater als auch für ein Hörspiel adaptiert.

Der Mann machtseiner Frau also jeden Tag etwas vor und verwendet dafür auch Ausreden. Milena Michiko Flašar sieht das vielmehr als Notlügen. Die Frau des Protagonisten erkennt die Lüge ihres Mannes und lässt sich bewusst belügen, „weil sie eben um seine Not weiß“.

„In Japan läuft Kommunikation öfter auf einer indirekten Ebene ab.“

In Japan sei die Akzeptanz größer für Dinge, die nicht so gut funktionieren, erklärt die Autorin. „Ganz einfach, weil es auch ganz stark darum geht, die Harmonie erst mal zu wahren.“ Beziehungen - gerade auch in der Gruppe - sollen unbedingt harmonisch bleiben. „Und dafür blickt man auch leichter über Dinge hinweg, bei denen man bei uns wahrscheinlich stärker das Bedürfnis hätte: Jetzt setzen wir uns an einen Tisch und reden mal drüber. Ich glaube, in Japan läuft Kommunikation öfter auf einer indirekten Ebene ab.“

Dieses an den Tisch-Setzen und etwas klar Besprechen sieht Milena in der japanischen Kultur weniger verankert. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass man in Japan generell mehr dazu neigt, Dinge in der Schwebe, im Vagen zu belassen.“ Natürlich sei das alles auf der Klischeeebene, aber in Österreich neige man eher dazu, „Dinge wirklich fast schon zu Tode zu diskutieren.“ In beidem sieht sie Vorteile und Nachteile. „Irgendwas in der Mitte wäre schön.“

„Kurzgeschichten sind wie kleine Romane.“

Aktuell schreibt Milena Michiko Flašar an Kurzgeschichten. An diese Form muss sie ganz anders rangehen. „Kurzgeschichten sind wie kleine Romane. Und das erfordert natürlich genau die gleiche Aufmerksamkeit den Figuren und der Handlung gegenüber. Man muss ja den Bogen da auch sehr straff spannen. Man darf nicht zu sehr auseinandergehen. Da muss man vielmehr die Zügel eigentlich in der Hand halten.“

„Ich bin eine begeisterte Kurzgeschichtenleserin.“

Insofern freut sie sich auf die Kurzgeschichten, die sie als Jurorin von Wortlaut lesen wird. „Gerade diese kurzen, kleinen Formen interessieren mich ohnehin und auch als Leserin. Ich bin eine begeisterte Kurzgeschichtenleserin. Ich verstehe nicht, warum es immer heißt, dass sich Kurzgeschichten nicht gut verkaufen. Ich finde sie eigentlich ideal zu lesen.“

Wortlaut Logotype

Radio FM4

Milena Michiko Flašar ist heuer Jurorin bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb

Einsendeschluss ist der 6.6.2022

Von guten Kurzgeschichten erwartet Milena Michiko Flašar: „Ein Geheimnis“. „Irgendetwas, was unaufgelöst bleibt, was aber ganz stark präsent ist. Und sie soll sehr plastisch sein. Also sie muss Dinge so beschreiben, dass die Stimmung der Geschichte tatsächlich spürbar wird, dass sie sich richtiggehend aus dem Papier heraushebt.“ Der Beginn kann dabei auch „ganz unauffällig sein und sich dann noch langsam ausweiten zu was ganz Spannendem.“

Eine gute Kurzgeschichte könne für Flašar oft „ganz lapidar“ sein. Jedenfalls gewinne man ihr Herz sehr schnell mit „Schnörkellosigkeit“. „Ich mag eigentlich einfache Sprache, schlichte Sätze, wo aber trotzdem was vibriert. So ein Gefühl von Prosa, da geht es jetzt um was, da ist jetzt eine Tiefe drin.“

Verzichten kann sie dafür gerne auf „Sprachspielereien“. Sie mag es auch nicht, „wenn es zu verwinkelt wird. Wenn es zu kompliziert wird. Wenn es zu nachdenklich wird. Ich finde auch eine gewisse Leichtigkeit wichtig.“ Jungautor*innen rät sie daher: „Ganz viel zu schreiben. Also ich glaube wirklich, es lohnt, sich jeden Tag hinzusetzen und einfach zu schreiben. Weil man wird immer besser.“

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