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"Big Time" Neues Album von Angel Olsen

Angela Ricciardi

Angel Olsen und „Big Time“

Mit dem Album „Big Time“ etabliert sich die US-Amerikanerin Angel Olsen endgültig als eine der Großen des Singer-Songwriter-Faches. Dramatische Ereignisse haben zu Titel und Inhalt geführt.

Von Christian Lehner

Es ist eine oft gestellte, aber nicht immer ergiebige Frage: Wieviel Künstler*in steckt in einem Kunstwerk? Wieviel tatsächlich Erlebtes steckt in einem Song? Wieviel Ausgedachtes steckt in einem Lied?

Bei der Singer-Songschreiberin Angel Olsen aus den USA ist die Antwort eindeutig: „I’m completely unashamed for once to admit that, yes, my writing comes from my life“ – das hat Angel Olsen anlässlich ihres Albums „All Mirrors“ Kollegen Robert Rotifer ins Mikrofon gesprochen. Das Album ist vor drei Jahren erschienen.

Outing und Tod

Zwischen dem Erlebten und dem Aufgeschriebenen passt laut Angel Olsen bei Angel Olsen also kein Blatt Papier. Konsequent führt die als Angelina Maria Carroll in St. Louis, Missouri geborene Musikerin den eingeschlagenen Weg am neuen Album fort. Es ist das bereits sechste Werk der Tragödin. In „Big Time“, so der Titel, steckt sehr viel Befreiendes, aber auch Trauriges. Was das Biografische betrifft, ist dieses Album das wohl ereignisreichste und aufwühlendste ihrer bisherigen Laufbahn.

"Big Time" Neues Album von Angel Olsen

Angela Ricciardi

Zuerst hat sich Olsen als lesbisch geoutet und ihr ist ein Stein vom Herzen gefallen. Dann wurde ihr Herz aber schwer wie ein Stein, weil kurz vor der Produktion des Albums, in kurzen Abständen, ihre Adoptiveltern gestorben sind.

In einem von der Plattenfirma zur Verfügung gestellten Interview erklärt die 35-Jährige, dass ihr neues Album von der Liebe handle und vom Frieden, den sie gefunden hätte. Den Frieden mit sich – wegen des Coming Outs - und Frieden mit dem Verlust ihrer Adoptiveltern. Olsen nahm den Schmerz mit ins Studio, mit in die Songs.

„I think at first I felt that maybe it would be too much but when I was there I realized that it was exactly the thing to be doing. To be spending my time working on something and dedicating my every thought and every day to focussing on singing and focussing on recording these songs.”

"Big Time" Neues Album von Angel Olsen

Angela Ricciardi /Jagjaguwar

Auf ihrer letzten EP „Ailes“ tauchte Olsen tief in den Synth-Pop der Achzigerjahre ein. Für „Big Time“ hat sie wieder die Gitarre aus dem Koffer geholt und sich dieses Mal dem Country verschrieben. Was sich bisher jedoch meist auf die Phrasierung des Gesangs beschränkte, entfaltet sich nun in der vollen Bandbreite des Genres: Harmonische Pedal-Steel Sounds begleiten den Gesang. Der Bass tritt weich auf den Grund wie beim Nashville-Stil der späten 60er- und frühen 70er-Jahre.

Eine Vintage-Orgel röhrt im Hintergrund. Bläser- und Streichersätze ziehen die Songs an den richtigen Stellen hoch.

Das ergibt klassisch anmutende Stücke, die – wie im Fall von „Go Home“ - selbst das Potential zum Klassiker haben. Der Song erinnert in der Akkordfolge an „Bridge Over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel und schwingt sich über die Takte zu einer dramatischen Version auf, wie man sie von den Auftritten des späten Elvis in Las Vegas kennt.

Große Gefühle im Country-Format

Doch das sind seltene Ausreißer. Meist bleibt Olsen im Twang-Modus und tröstet ihre Seele mit einem Country-Walzer wie im Titelstück oder mit betörenden Balladen wie „Right Now“. Die Last der Welt löst sich im süßen Wimmern der Pedal-Steel-Gitarre und in der weiten Raumeinstellung des Gesangsmikrofons auf.

„Big Time“, der Titel, ist eine Referenz an die dramatischen Ereignisse, die Angel Olsen die letzten Jahre durchlebte, aber auch die dramatischen Momente, die unsere Zeit prägen: die Kampagne zum Rückbau von Frauenrechten in den USA, Waffengewalt, Krieg, Umweltzerstörung und die Folgen eine Pandemie, die noch gar nicht ausgestanden ist.

Anlässlich des Pride Months und ihres Coming Outs hat Angel Olsen einen Begleitfilm (Regie: Kimberly Stuckwisch) zum Album veröffentlicht.

“It’s just a surreal time, it’s a really big expansive time and it’s hard for a lot of people. There’s just this layer of depression over everything because of the uncertainty of the world and the state of the world. The constant incoming of chaos and events that are happening all over.”

“Big Time“, das große Drama, ist die Überwindung all der großen Dramen. Der Song als Therapie, als schützender Hafen, als Hoffnung für die Zukunft. Groß sind die Gefühle, friedlich sanft ist die Anmutung. Und man kann Angel Olsen förmlich dabei zuhören, wie sie sich als eine der ganz großen Songschreiber*innen ihrer Zeit etabliert. Big Time!

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