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Dey, Xier, Hen: Was es mit genderneutralen (Neo-)Pronomen auf sich hat

Spätestens, seitdem wir als User*innen auf Instagram und Co. unsere Pronomen einstellen können, ist der Diskurs um eine genderneutrale Sprache auch in Österreich angekommen. Aber wie weit sind wir im Deutschen von einer genderneutralen Sprache entfernt? Und was genau sind eigentlich Neopronomen? Sprachwissenschaftlerin Maria Pober, Dozent*in Boka En und Erwachsenenbildner*in m Horvat klären auf.

Von Melissa Erhardt

Wer sich als Mann identifiziert, hat wahrscheinlich noch nie Probleme mit oder in der deutschen Sprache gehabt: Das generische Maskulinum beherrscht (sic!) die deutsche Sprache seit eh und je. Für Frauen wird das Ganze schon trickier – für eine gendergerechte Sprache kämpfen Feminist*innen immerhin schon seit den 1970er Jahren, die Genderdebatte ist erst in den letzten Jahren so richtig im Mainstream angekommen. Genderqueere oder nicht-binäre Personen stehen aber vor einer gänzlich anderen Baustelle: Die deutsche Sprache ist nämlich nicht nur nicht genderneutral - es gibt im deutschen Sprachsystem nicht einmal Pronomen, die genderqueere Personen benutzen könnten.

Als genderqueer oder nicht-binär bezeichnen sich Menschen, die sich nicht - oder nicht nur - als Mann oder Frau definieren. Dabei geht es nicht um das biologische Geschlecht (englisch: sex), sondern um das soziale Geschlecht (englisch: gender), also die gesellschaftlich konstruierten Kategorien „männlich“ und „weiblich“.

Die ewige Mär mit den Geschlechtern

„Das Deutsche ist insofern problematisch, da wir ja ein Drei-Geschlechter-System haben. Damit können wir nicht einfach genderneutral sprechen“, erklärt die Linguistin und Lehrbeauftragte für Sprachwissenschaft an der Universität Wien, Maria Pober. Neben „er“ und „sie“ existiert zwar das Pronomen „es“ – dieses wird in der Sprachwissenschaft aber als unbelebtes Pronomen kategorisiert und ist daher nicht für Personen gedacht. Pober: „Diese Unbelebtheit spielt eine wichtige Rolle in allen indoeuropäischen Sprachen. Personen können nur mit belebten Pronomen bezeichnet werden - alles andere ist abwertend, weil die Sprache zwischen belebt und unbelebt unterscheidet.“

„Shakespeare ist natürlich eine super Referenz“

Im Englischen gestaltet sich die Thematik um einiges einfacher: Einerseits hat die Sprache nicht so ein komplexes System wie das Deutsche, andererseits hat sich in den letzten Jahren mit „they/them“ ein genderneutrales Pronomen durchgesetzt, das auf Tradition verweisen kann: Schon Shakespeare habe in seinen Stücken „they“ verwendet. „Shakespeare ist natürlich eine super Referenz“, lacht Pober. „Wenn wir so etwas hätten, wenn wir da irgendwas ausgraben würden, dann hätten wir plötzlich die Tradition“, sagt Pober und verweist auf das Wort Gästin, das als weibliche Form zu „Gast“ lange belächelt wurde - bis man nachweisen konnte, dass es schon im Mittel- und Althochdeutschen existiert hat. „Der Duden hat es inzwischen aufgenommen, aber nur deswegen, da bin ich mir ganz sicher, weil es schon mal da war. Die konnten es nicht negieren“.

Dey, xier oder doch lieber hen?

Im Deutschen arbeiten queere Sprachwissenschaftler*innen und Aktivist*innen aufgrund dieser sprachlichen Lücke seit Jahren an sogenannten Neopronomen, die das genderneutrale Sprechen über andere Personen ermöglichen sollen. Die bekanntesten sind das eingedeutschte „they“, also „dey“, oder „xier“ bzw. „sier“, zusammengezogen aus sie und er. Auch das schwedische Neopronomen „hen“ erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

Solche Neopronomen verwendet auch Boka En, Dozent*in für Gender und Sexuality Studies an der Universität Wien und Klagenfurt. „Die Pronomen, die ich verwende, haben sich mit der Zeit verändert“, erzählt Boka in unserem Gespräch im Referat Genderforschung der Universität Wien. Eine Zeit lang hatte Boka xier / xiem / xies als Pronomen, jetzt dey / dem. Für Boka ist das Verwenden von genderneutralen Pronomen vor allem eine pragmatische Überlegung: „Einerseits weil ich viel im englischen Kontexten unterwegs bin, andererseits weil es sich ganz gut anfühlt und im Deutschen auch ganz gut funktioniert.“ Sprache sei darüber hinaus aber auch einfach als Zeichen des Respekts wichtig: „Ich glaub, dass die Existenz von nicht-binären, trans und inter Menschen vielen einfach nicht bewusst ist. Ein offenes Bewusstsein zu schaffen wäre also definitiv wünschenswert“.

Ganz so neu, wie die Debatte um genderneutrale Sprache durch die verstärkte Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien scheint, ist sie aber nicht. Schon 2008 haben Cabala de Sylvain und Carsten Balzer mit den „Sylvain-Konventionen“ den „Versuch einer geschlechtergerechten Grammatik-Transformation der deutschen Sprache“ unternommen. Darin haben sie ein drittes grammatikalisches Geschlecht ausgearbeitet, das sogenannte „Indefinitivum“. „Das System ist nicht so bekannt“, so Pober, „es ist aber auch sehr komplex. Und das zeigt, wie komplex es ist, neue Formen zu entwickeln. Wir haben ja nicht nur die drei Genera, also feminin, maskulin und neutrum, wir haben ja auch die vier Fälle und komplexe Deklinationen. Aber das heißt nicht, dass es nicht möglich ist.“

Die individuelle Lösung: Der Vorname als Pronomen-Ersatz

Mittlerweile können wir online Listen mit über vierzig verschiedenen Neopronomen finden, manche davon elaborierter als andere. Was immer häufiger zu sehen ist: Die Verwendung des eigenen Vornamens als Pronomen Ersatz. Das macht etwa auch m Horvath. m ist in der Erwachsenenbildung tätig und bringt mit der Initiative nibiq interessierten Personen relevante trans- und queerpolitische Themen näher. Im Deutschen verwendet m keine Pronomen: „Ich hab mich zuerst für den Namen m entschieden. Ich kannte auch schon einige Menschen, die nur ihren Namen als Pronomen verwenden und fand das eigentlich sehr schön, weil ich mit keinem binären Pronomen okay bin und andere Neopronomen mich nicht so angesprochen haben, vom Klang und vom Wohlfühlfaktor her“. Das sei aber keine Entscheidung, die jetzt für immer feststehen würde: „Das ist nicht unbedingt etwas Statisches, das könnte sich auch ändern."

„Alles, was ich mir ausmachen kann, geht gut“

Individuelle Lösungen wie diese findet auch Sprachwissenschaftlerin Maria Pober sinnvoll – zumindest in der gesprochenen Sprache: „Pronomen sind ja vor allem abstraktere Formen, um auf eine Person zu referieren, die ich vorher schon genannt habe. Im Gespräch ist das egal, ich kann das fünfmal wiederholen. Das ist ja schön, immer wieder den Vornamen zu wiederholen. Wenn ich dann aber einen Text schreibe und immer wieder den Vornamen nenne, dann ist das redundant.“ Auf Dauer brauche es deshalb ein System: „In meinem Seminar spreche ich alle mit vollen Namen an, ohne Frau und Herr. Das haben wir uns ausgemacht und das funktioniert. Damit muss ich auch nicht fragen, denn manche wollen das ja auch nicht. Alles, was ich mir ausmachen kann, geht gut. Aber Sprache sollte so funktionieren, dass sie funktioniert - und nicht, dass ich mir vorher immer was überlegen muss. Damit spielen wir ja auch den Gegner*innen in die Hand“.

Der abgekapselte Elfenbeinturm?

Auf die Frage, wie lange es ihrer Meinung nach dauern wird, bis sich ein genderneutrales System durchsetzen könnte, verweist Pober auf die Forderungen der feministischen Linguistik. „Die feministische Linguistik hat Anfang der 80er Jahre begonnen: Bis heute haben wir klare Syntax-Regeln, dass das Maskulinum an erster Stelle steht. Bis heute wird es (Anm.: das Maskulinum) generisch verwendet, alle maßgeblichen Medien gendern nicht. Das sind fast 50 Jahre. Ich denke aber, es wird diesmal schneller gehen, ich hoffe es auch: Und zwar durch die Medien, durch das Internet und dadurch, dass alles viel stärker verbreitet wird“.

"Es geht darum, wie Menschen leben und was sie von anderen Mitmenschen brauchen.“

Noch stärker als beim Gendern wird der Diskurs um genderneutrale Sprache von Gegner*innen aber häufig als „elitär“ und „akademisch“ abgetan. Für m Horvat ein ernst zu nehmender Vorwurf – vor allem, weil m selbst aus einer migrantischen Arbeiter*innenklassefamilie kommt: „Im Endeffekt geht es ja nicht darum, dass das irgendeine künstliche Debatte auf wissenschaftlicher Ebene ist, sondern es geht darum, wie Menschen leben und was sie von anderen Mitmenschen brauchen." Auch Boka En möchte die Debatte vom vermeintlich akademischen Hintergrund loslösen: „Tatsächlich geht viel Arbeit zu Pronomen ja nicht von Universitäten aus, sondern von Aktivist*innen und Menschen, für die Pronomen in ihrer Lebensrealität einfach relevant sind. Es ist nicht so als würden sich da irgendwelche Menschen im Elfenbeinturm zusammensetzen und sich überlegen: Wie können wir die deutsche Sprache komplizierter machen?“

Tipps und Tricks

Wie können wir jetzt aber im Alltag über Personen sprechen, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren? Boka En und m Horvat schlagen vor, genderneutrales Sprechen zu üben. „Zum Beispiel wenn man mit einer Person in einem Kaffee sitzt und da gehen ständig Leute vorbei, nicht zu sagen: Boah schau mal, der Mann im roten Mantel schaut ur freundlich aus, sondern vielleicht zu sagen: Ah da hat person einen roten Mantel und die Person schaut freundlich aus“, so m. Außerdem sei es oft hilfreich, sich selbst mit den eigenen Pronomen vorzustellen und so auch den Vorgang des Pronomen-Nennens zu normalisieren. Wichtig sei laut Boka En aber vor allem der offene Zugang und der ehrliche Versuch, es richtig machen zu wollen. „Ich glaub, dass da auch oft so eine Fantasie mitschwingt - von trans-, inter- und nicht-binären Personen als so eine verfolgende moralische Instanz. Die trifft in den allermeisten Fällen so aber nicht zu, sondern existiert eben in der Fantasie. Das heißt auch hier nicht allzuviel Angst zu haben vor Fehlern, weil Fehler passieren eben“.

„Viele nicht-binäre Personen sind es durchaus gewöhnt, misgendert zu werden."

Und wenn dann einmal das falsche Geschlecht raushüpft? Einfach weitermachen, so Boka En. „Viele nicht-binäre Personen sind es durchaus gewöhnt, misgendert zu werden. Das ist nicht lustig, aber es ist auch keine totale Überraschung, wenn’s passiert. Das heißt, ich würde Menschen empfehlen sich auszubessern, oder sich ausbessern zu lassen und dann einfach weitermachen mit dem Gespräch.“ Hier stimmt auch m zu: „Das allerwichtigste ist, nicht so einen großen Fokus darauf zu legen, wie schrecklich sich das für dich jetzt anfühlt und wie schockiert du von dir selbst bist – weil im Endeffekt bringt das die misgenderte Person in die Position, dich zu trösten - und die Verletzung verschiebt sich ein bisschen. Das sollte halt nicht passieren meiner Meinung nach“.

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