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CC0/Unsplash

Buch

Torey Peters’ Detransition, Baby! stellt normative Vorstellungen von Familie auf den Kopf

Die New Yorker Autorin Torrey Peters hat vor kurzem ihren ersten Roman veröffentlicht. Detransition, Baby! handelt von einer detrainsitionierten trans Frau, die gemeinsam mit ihrer neuen Freundin und ihrer Ex-Freundin, die ebenfalls trans ist, ein Kind großziehen will.

Von Alica Ouschan

Im Pride Monat Juni feiern wir die queere Community auf FM4 noch ein bisserl mehr als wir das sonst das ganze Jahr über tun. Wir feiern nicht nur die Musik, Filme und Games, sondern natürlich auch Literatur von queeren Personen. Torrey Peters wurde als erste trans Autorin überhaupt für den Women’s Prize for fiction nominiert.

Detransition, Baby! hat im englischsprachigen Raum hohe Wellen geschlagen und Diskussionen ausgelöst. Jetzt ist das Buch in der Deutschen Übersetzung, an der unter anderem FM4 Wortlaut Jurorin Nicole Seifert mitgewirkt hat.

Buchcover

Ullstein Verlag

Detransition, Baby! hat 464 Seiten und ist im Ullstein Verlag erschienen. Übersetzt von Nicole Seifert und Frank Siviers.

Was bedeutet (trans) Frausein?

Amy und Reese leben in New York, sind in einer lesbischen Beziehung und haben einen Kinderwunsch. Heutzutage kein Problem, sollte man meinen, doch die beiden sind trans, sind also nicht dazu in der Lage selbst ein Baby zu bekommen und Adoption scheint unter den aktuellen Umständen und der gesellschaftlichen Stellung von trans Frauen ebenso unmöglich zu sein.

Als die beiden sich nach Jahren glücklicher Beziehung immer fremder werden und Amy sich schließlich aus Angst dazu entschließt wieder als Mann zu leben, trennen sich die beiden. Jahre später meldet sich Amy, die jetzt Ames heißt wieder bei Reese, um ihr mitzuteilen, dass er mit seiner neuen Freundin ein Baby bekommen wird und Reese als zweite Mutter Teil dieser Familie werden soll, die konventionelle Vorstellungen sprengt.

„Der Supreme Court hatte gleichgeschlechtliche Ehen gerade erst gesetzlich anerkannt. Diese cis Homos, die sich Trips nach Afrika ersteigern – ihr großer Sieg war innenpolitisch. Sie hatten Optionen für die amerikanische Kleinfamilie neu geordnet und sich selbst das Geschenk der Hetero-Institution gemacht: Ehe und Elternschaft. Reese wollte für sich dasselbe – nein, tatsächlich wollte sie mehr.“

Obwohl Reese sich nichts sehnlicher wünscht als Mutter zu werden, hat sie vorbehalte. Sie möchte ebenso gern Teil der heteronormativen Gesellschaft sein, wie sie diese verachtet. Als auch die Perspektive von Ames neuer Freundin Katrina hinzukommt, die als Halbasiatin migrantischer Eltern aufgewchsen und Typ selfmade Bitch Boss ist, werden nicht nur mehr Fragen nach dem Frausein laut.

Von Mutterinstinkt und internalisierter Misogynie

Autorin Torrey Peters reißt mit Detransition, Baby! unzählige Themenbereiche an, die im Erleben von weißen trans Frauen eine erhebliche Rolle spielen. Erste Cross-Dressing Versuche, Auswirkungen von Hormontherapie, Gefühle von körperlicher Dysphorie, Ausprobieren, Ablehnen und Idealisieren von verschiedenen weiblichen Rollenbildern.

Die Abwesenheit von einer Mutterfigur und weiblichen Vorbildern mit derselben Lebensrealität und der daraus resultierende, brennende Wunsch, selbst Mutter sein zu können. Auch internalisierte Rassismen, kollektive und individuelle Diskriminierungserfahrungen, der Kampf um Anerkennung und warum manche trans Frauen so wie Amy, diesen Kampf Aufgeben.

„Nur weil ihr bewusst war, dass die Dysphorie den Launen von Kapitalismus, Patriarchat, Gendernormen und Konsumdenken entsprang, hieß das nicht, dass sie dagegen immun war.“

All diese Felder werden in der langen Geschichte, die aus Rückblenden und Gegenwartserzählungen besteht bespielt, unter der Oberfläche und zwischen den Zeilen wird noch im einiges mehr aufgearbeitet, was beim Lesen nicht immer angenehm und schon gar nicht einfach ist.

Wenn die Figuren von Torrey Peters über ihr Leben sprechen, betonen sie oft ganz bewusst, dass es sich hierbei um die spezifische Erfahrung von weißen trans Frauen handelt. Die Existenz und Anerkennung der spezifischen Diskriminierungs- und Lebenserfahrung von trans Women of Color wird zwar anerkannt und bekommt in der Erzählung sekundär ihren Platz, jedoch maßt sich die Autorin nicht an, über Lebensrealitäten zu sprechen, die nicht die eigene sind.

Tiefe, persönliche Einblicke in die unterschiedlichen Lebensrealitäten von weißen trans Frauen

Die Figuren hinterfragen mehrfach ihre Vorstellungen von Geschlecht, ihre eigene Sexualität und ihr Begehren, inklusive Fetische von deren Abartigkeit sie überzeugt sind. Die Geschichte erzählt von sexueller Befreiung und wie diese gleichzeitig einengen kann, von Identitätsfindung und Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung.

„Ihr ganzes Leben lang hatte Reese gesehen, wie sich cis Frauen ihre Weiblichkeit durch männliche Gewalt bestätigen ließen. Reese wollte geschlagen werden, um sich ein für alle Mal zu bestätigen, wie sie sich selbst als Frau sah: als zartes, hilfloses, verrückt machen attraktives Wesen.“

Torrey Peters

Natasha Gornik

Torrey Peters ist in Chicago aufgewachsen und lebt in New York und Vermont.

Reese kämpft mit der Vorstellung davon, was für eine Art Frau sie sein will und fordert dabei binäres Geschlechterdenken heraus. Amy begleiten wir im Prozess der Transition, als sie diese wieder Rückgängig macht und durch die emotionalen Folgen dieser Entscheidung.

Trotz, oder vielleicht gerade aufgrund der Handlung und der Thematiken von Detransition, Baby! gilt hier eine unbedingte Lesempfehlung für absolut jede*n. Lediglich zwei Faktoren könnten unter Umständen gewöhnungsbedürftig sein: Einerseits die derbe, oft sexualisierte Sprache, die auch vor frauenverachtendem Vokabular nicht halt macht.

Andererseits macht sich an vielen Stellen die Tatsache bemerkbar, dass es nach wie vor enorm schwierig ist, Begriffe vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen, für die noch kein Äquivalent existiert, dass dieselbe, historisch und kulturell aufgeladene Bedeutung vermitteln könnte. Das Buch bietet nicht nur wertvolle Einblicke in die oft schmerzhafte und komplizierte, individuelle und doch geteilte Lebensrealität von weißen trans Frauen, sondern hinterfragt auch normative Vorstellungen von Familie und Lebensplanung.

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