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So war Tag 3 am Nova Rock

Spoiler: Der Gatsch ist getrocknet. Es war wieder gewohnt staubig. Bands wie The Offspring, Bad Religion, Deichkind und Mando Diao haben performt. Und Besucherin Martina hat ihr Handy im Mobilklo versenkt. Sie hat es wieder bekommen und die Kiste läuft noch.

Von Alexandra Augustin

Ich sehe nichts mehr. Fünf Minuten nach Ankunft am Nova Rock-Gelände hat sich eine Staubschicht über meine Kontaktlinsen gelegt. Anfängerfehler: Ich habe beim Betreten des Geländes nicht gleich meine Sonnenbrillen aufgesetzt. Profis tragen sowieso Taucherbrille. Der Boden hier verzeiht bekanntlich niemanden solche Fehler, er kennt nur zwei Aggregatszustände: Staub oder Schlamm. Überraschenderweise gibt es noch einen dritten: „Den fliegenden Teppich“. Man geht auf scheinbar fest aussehenden Boden. Doch die gesamte Fläche wackelt dann als Ganzes, ein wenig wie Pudding. Nova Rock Beauty pur: Willkommen am dritten Tag auf den Pannonia Fields, an dem sich der Regen verzogen hat und die Sonne auf unser Haupt scheint.

Wer Festivals besucht, darf aber ohnehin nicht zimperlich sein. Als „Schlammbad der Liebe“ wurde einst schon das legendäre Woodstock bezeichnet: Damals, 1969, wurde die Weide eines Milchbauern in der idyllischen Kleinstadt Bethel in New York zu einem Festivalgelände umfunktioniert – eines der ersten in der Musikgeschichte überhaupt. Sämtliche Bands spielten tagelang im strömenden Regen. Joan Baez performte im sechsten Schwangerschaftsmonat. Jimi Hendrix spielte einst in den frühen Morgenstunden des aller letzten Festivaltags im Schlamm „Hey Joe“. Die weltgrößten Festivals trieften immer schon vor Schweiß, Bier, Regen und einer Extraportion Rock ‚n‘ Roll – das macht den besonderen Charme aus. Und so ein bisschen Eskapismus, eine Portion Unberechenbarkeit und dieses Ausbrechen aus der alltäglichen Lethargie sind das Elixier der wahren Festivalfans.

An dieser Stelle muss man dem Nova Rock auch ein Kompliment aussprechen: Das Festival zählt europaweit zu den am best organisiertesten. Es gibt genug Wasserstellen, Toiletten, Duschgelegenheiten, einen funktionierenden Food Court und ein praktisches Bezahlsystem. Durch den Regen gab es auch hier ein paar Probleme, die das Management aber in den Griff bekommen hat. Bei einem Lokalaugenschein war keine Toilettenschlange länger als ein paar Meter. Die Technik auf der Blue Stage zählt europaweit zu den besten überhaupt: Sechs Großleinwände sorgen dafür, dass man überall etwas vom Konzert mitbekommt. Kleine Menschen danken das sehr. Dass nach einem heftigen Regen wie dieser Tage so ein Gelände nutzbar bleibt ist eine logistische Herausforderung. Wie gut das hierzulande läuft wurde einem etwa beim letzten Primavera-Besuch in Barcelona schmerzhaft bewusst, wo all diese Dinge eben nicht selbstverständlich funktioniert haben. Speaking of Toiletten: Nova Rock-Besucherin Martina hat ihr Handy im Klo versenkt. Ein netter Mann aus dem Team hat ihr sofort geholfen es herauszufischen. Dann hat er es desinfiziert und die gute Kiste läuft wieder. Unser Held des Tages!

Mit Headlinern wie Deichkind, The Offspring, Mando Diao, Bad Religion, Volbeat und Konstanten im heimischen Musikbusiness wie Mono & Nikitaman ging es also in den dritten Tag. Auch Austropop war präsent, mit dem heimischen Duo Seiler & Speer. Das Nova Rock hat seit Jahren immer wieder auch an den Grenzen der musikalischen Kerngenres gekratzt. Kann man mögen oder eben nicht. Musikgeschmack ist dieser Tage aber nicht mehr auf ein Distinktionsdenken angewiesen. Dass sich die Zeiten geändert haben, dessen muss man sich bewusst sein. Dank der Fülle an Acts kann man sich seine eigenen Pfade zurechtlegen. Love it, hate it or move to another stage.

Für volle Bühnen sorgten gleich zwei Highlights am Nachmittag: Die deutsche Metalcore-/Trancecore-Band Electric Callboy und Please Madame aus Österreich: Bei beiden Konzerten war der Publikumsbereich extrem gut gefüllt. Und so sind alle Besucher*innen am dritten Tage auferstanden.

Come out and play!

Gratulation an Dexter Holland! Er hat mittlerweile sein in den 1990er-Jahren auf Eis gelegtes Studium zu Ende gebracht, genauer gesagt seine Doktorarbeit in Molekularbiologie, die er zugunsten des Erfolgs mit seiner Band The Offspring niemals finalisieren konnte. Doctor Dexter beschäftigt sich in seiner Forschung mit dem HI-Virus. Kollege Noodles ist dafür ein leidenschaftlicher Vogelfan, er liebt die Wissenschaft der Ornithologie. Welche Vögel wären The Offspring eigentlich gerne? Darauf hat Noodles im FM4 Interview prompt eine Antwort parat: Natürlich schwarze Krähen! Die sind schlau und gut organisiert.

The Offspring sind natürlich vor allem eins: Punks im Herzen. Punk darf ja dieser Tage vieles sein und die aktuell jüngste Musiker*innen-Generation hat die Lebensenergie alter Tage aufgesogen und sorgt für ein fettes Revival. Allen voran ist „Punk“ natürlich eine Lebenseinstellung: Nicht mit dem Strom schwimmen, sein Ding machen, unabhängig von Alters- und Genregrenzen. The Offspring zählen seit Anfang der 1990er Jahre zu den erfolgreichsten Acts auf diesem Gebiet und die Band beweist, dass sie zu ihrem 30-jährigen Bestehen immer noch mehr am Kasten hat als so manche Jungspunde. The Kids Aren’t Right, Pretty Fly, Come Out and Play! 2021 ist eine neue Platte der Band erschienen: Let The Bad Times Roll. Für Fans der ersten Stunde war die letzte Nummer im Set natürlich relevant: Self Esteem. Solide Show, volles Haus! The Offspring erinnern sich auch gerne an ihren allerersten Österreichauftritt zurück: 1993 war das.

Weitere musikalische Held*innen sind Bad Religion. Die US-Amerikanische Band aus Los Angeles mit dem markanten, durchgestrichenen Kreuz - dem „Crossbuster“-Logo - existiert seit 1980 - also 42 Jahre schon. Eine unvorstellbar lange Zeit. Aber Popkultur, vor allem Punk- und Rockmusik, ist gerade an einem interessanten Punkt in der Zeitrechnung angekommen: Einst subversive Bands und Musiker*innen sind längst breitentauglich und werden aktuell kanonisiert. Sprich: Was einst subversiv und wild war, ist und wird nun Teil der Musikgeschichte. Das popmusikkulturelle Erbe, diese Kanonisierungsprozesse, funktionieren für Bands wie The Offspring oder auch Bad Religion sehr gut: Nicht umsonst spielen diese Bands, die teils bald ein halbes Jahrhundert am Buckel haben, weiterhin auf großen Festivals und sind auch bei der jetzigen Jugend beliebt. Stücke wie Infected, Come Join Us, American Jesus und Kracher der ersten Tage wie We Are Only Gonna Die von 1982 liegen auch Menschen mit um die 20 Lenzen locker auf der Zunge.

Bad Religion haben 2019 ihr 17. Studioalbum herausgebracht, mit gewohnt sozialkritischen Botschaften. In Zeiten des Ukrainekrieges, der die Welt spaltet und das Macht-Gefälle immer größer werden lässt, sind die Botschaften von Bad Religion zeitgeistiger denn je.

I’m gonna dance with somebody

Das Dreigestirn der alten Helden machen die Schweden Mando Diao komplett. Die einstigen Indie-Lieblinge sind zu einer stabilen Festivalband der Gegenwart gewachsen. Einst, zu Beginn des Millenniums und zu Hurricane Bar-Zeiten, hat die Band – ich erinnere mich gut daran – im Wiener Flex vor ein paar hundert eingeweihten Fans gespielt. Die meisten Fans hat die Band übrigens in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Japan. Mando Diao sind keine schlechte Liveband, wenngleich für das Nova Rock-Publikum wahrscheinlich etwas zu poppig. Aber die Nummer Dance With Somebody lässt die Menge trotzdem gut abgehen. Mando Diao geben übrigens auch gerne Tipps, wie man es selber mal auf die große Bühne schafft: Heutzutage kriegt man an jeder Straßenecke gebrauchte, günstige Instrumente. Ein Drumkit, eine Gitarre, ein Bass, ein Mikrophon: Ein paar hundert Euro und ein paar Freunde reichen aus, um eine Band zu gründen. True that.

Alle woll’n den Abriss, gefedert und geteert!

Bäm, bäm, bäm, Bierbecher in die Luft! Deichkind eröffnen den Abend mit Keine Party von der 2019er-Platte Wer sagt denn das?

Dass die Formation das Highlight sein wird an diesem Abend, das sah man an den unzähligen Fanshirts bereits am Nachmittag. Würde deine Oma nicht wissen, wie es auf einem Festival zugeht, du solltest sie mitnehmen zu einer Deichkindshow. Punkt Mitternacht könntest du ihr zeigen, wie das so läuft. Das legendäre Schlauchboot-Crowdsurfing, dazu riesige Trampoline auf der Bühne und eine ausgefuchste Licht- und Kostümshow: Deichkind wissen seit über zwei Dekaden (sic!), dass sich subversive Gesten und Spaß in Kombination immer noch am besten vertragen. Aus der einst anarchischen Truppe ist mittlerweile ein richtiges Punk-HipHop-Ballett gewachsen. Wie „ein Kindergeburtstag für Erwachsene“, beschreibt die Band ihre Performance.

„Weit und breit kein Fun in Sicht? Die Langweile tötet dich? Du warst zu lange isoliert! Lass alle Mauern hinter dir!“, heißt es schon in der Deichkind-Nummer E.S.D.B. von 2006. Prophetische pre-Corona-Zeilen, möchte man denken. Hier werden heute Mauern ein- und der Bühne abgerissen.

Feiermöglichkeiten hatten wir in den letzten Jahren ja reichlich wenig und so eine Portion Höllenspaß ist für alle Besucher*innen Balsam für die Seele. Richtig gutes Zeug!

„Nova Rock, es ist viel zu lange her!“, wird von der Bühne zurecht runtergebrüllt. Endlich sind Deichkind zurück und das fühlt sich gut an. Nach Leben, Punk, Party und einer endlosen Nacht wie einst.

Vor allem ist das Konzert ein großes Hitfeuerwerk. Wir haben beim FM4-Stand am Gelände übrigens dazu aufgerufen, dass uns Deichkind-Fans besuchen, damit wir gemeinsam „Remmidemmi“ singen. Daraus haben wir ein Musikvideo gedreht. Das Video findet ihr demnächst auf unseren FM4-Social Media-Kanälen. Und sie sind alle nun hier vor der Bühne und feiern. Das Leben, die Musik, dass das endlich wieder geht. So ne Musik, das wollen wir!

In diesem Sinne: Morgen, am letzten Tag, klauben wir unsere Knochen vom Boden auf und kratzen unsere letzte Energie für Billy Talent, Five Finger Death Punch und alte Kapazunder wie Minisex zusammen. Um mit es in den Worten von Volbeat zu sagen, die ebenso am Abend eine sehr gute Show hingelegt haben: It’s the last day under, under the sun!

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