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Porträt von Mai Thi Nguyen-Kim

Viet Nguyen-Kim

Interview

Mai Thi Nguyen-Kim im Interview

Mai Thi Nguyen-Kim ist ein Wissenschaftsstar. Die promovierte Chemikerin betreibt auf Youtube den Kanal „Mai Lab“, der fast 1,5 Millionen Abonnent*innen hat und vom deutschen öffentlich-rechtlichen Funk-Netzwerk produziert wird. Seit letztem Herbst hat sie mit „Maithink X“ auf ZDF Neo auch eine eigene Wissenschaftsshow im Fernsehen.

Von Simon Welebil

Plakat Oberhummer Award

BueroAlba

Der Heinz Oberhummer Award wird für „hervorragende Wissenschaftsvermittlung“ vergeben und ist mit 20.000 Euro dotiert.

Letzten Samstag ist Mai Thi Nguyen-Kim mit dem Heinz Oberhummer Award für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet worden - eigentlich schon für das Jahr 2020, aber wegen der Corona Pandemie hat sich die Preisverleihung immer weiter verzögert. FM4 Redakteur Simon Welebil hat Mai Thi Nguyen-Kim zum Interview getroffen und mit ihr über die Kunst gelungener Wissenschaftskommunikation gesprochen, wie Corona diese verändert hat, und die besondere Schwierigkeit, die Klimakrise zu vermitteln.

Vor der Pandemie dachte ich noch naiverweise, alles was Wissenschaft braucht, ist mehr Aufmerksamkeit.

Simon Welebil/FM4: Welche Auswirkungen hat die Corona Pandemie und der mediale Umgang damit auf deine Arbeit gehabt?

Mai Thi Nguyen-Kim: Das eine ist, wie sichtbar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind. Ich glaube, das gab es so noch nie, dass einzelne Forschende so krass in der Öffentlichkeit standen und dann auch richtige Stars waren mit Fans, oder auch im Gegenteil gehasst und angegriffen wurden. Ja, ich glaube, es ist einfach das Ausmaß an Aufmerksamkeit, das ganz neu ist und das auch ganz neue Herausforderungen bringt. Denn vor der Pandemie dachte ich noch naiverweise, alles, was Wissenschaft braucht, ist mehr Aufmerksamkeit. Und jetzt muss ich einsehen, dass die ganze Aufmerksamkeit es ganz schön kompliziert macht, wenn man ein grelles Spotlight auf die Wissenschaft richtet, aber immer nur einen ganz kleinen Teil beleuchtet und so ein verzerrtes Bild verbreitet.

FM4: Jetzt sind Wissenschaftler*innen und Journalist*innen in dieser Zeit sehr unter Beschuss gekommen. Wie ist es denn dir persönlich damit ergangen?

Mai Thi Nguyen-Kim: Ja Wahnsinn! Also ich hatte auch schon vor Corona immer wieder Auseinandersetzungen, auch schon mit Impf-Gegner*innen oder sogar Flach-Erdler*innen, Leute, die irgendwie nicht an die Erderwärmung, oder den menschengemachten Klimawandel glauben und so weiter. Man clashed fast zwangsläufig mit verschiedenen Weltansichten und Ideologien zusammen, wenn man über Wissenschaft redet. Aber ich glaube, es gab noch nie ein wissenschaftliches Thema, was jeden einzelnen so spürbar auch im Alltag und bis in die Knochen betroffen hat. Und Corona war also in dem Fall anders, dass das Leid über viele Monate spürbar war und dann der Frust eben auch entsprechend übergesprungen ist. Ich kann das irgendwie fast schon nachvollziehen, aber natürlich geht das gar nicht, dass Menschen angegriffen werden.

FM4: Also bei dir hat sich auch dein Publikum ein wenig geändert. Wenn ich überlege, vorhin bist du mit deinem YouTube Kanal eher in so einer nerdigen Wissenschafts-Bubble und auf einmal haben sich die Zugriffszahlen doch massiv verändert und du hast ein anderes Publikum auch reinbekommen. Das hat auch zu Änderungen in eurem Community Management geführt und zu dem, wie ihr mit euren UserInnen, Seherinnen, Fans umgeht, oder?

Mai Thi Nguyen-Kim: Wir sind hier im Team bei „Mailab“ recht tolerant was Beleidigungen betrifft, aber wenn es einen Punkt erreicht, dass der Ton so rau ist, dass der Großteil des Publikums, die zum Beispiel auch wissenschaftlich diskutieren wollen oder einfach nur normale Unterhaltungen oder Diskussionen führen wollen, gar nicht mehr dazu kommen, weil sie quasi zurückgedrängt werden von so ganz lauten, extremen Stimmen, muss man da doch durchgreifen und moderieren - jetzt deutlich mehr als vorher. Da lassen wir uns inspirieren von Poppers Toleranz Paradoxon. Man kann nicht Toleranz auf die Intoleranten anwenden. Also die Intoleranten sind die, die ja rationalen Diskurs verweigern und Gewalt gegenüber Andersdenkenden entweder ausüben oder androhen. Irgendwo hat natürlich Meinungsfreiheit, auch seine Grenze und die Erfahrung mussten wir aber auch machen.

Also wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern müssen eigentlich alle mit dem Finger auf die Politik zeigen.

FM4: Als Vloggerin und Wissenschaftsjournalistin bist du in den letzten Jahren mit deinem Youtube-Kanal „Mailab“ zum großen Star der Wissenschaftskommunikation aufgestiegen. Das wohl relevanteste wissenschaftliche Thema für unsere Zukunft, die Klimakrise, ist auf „Mailab“ aber eher unterrepräsentiert. Warum?

Mai Thi Nguyen-Kim: Ach ja, Klimakrise. Ich habe bei YouTube tatsächlich von der Zahl her nicht so viel gemacht wie zu Corona. Ich habe das dann teilweise in meiner Fernsehsendung noch mal aufgegriffen. Das Krasse bei der Klimakrise ist, dass man immer wieder dasselbe sagt. Bei Corona war es ja wenigstens auch so, dass es immer wieder neue Erkenntnisse gab. Und bei der Klimakrise, da redet man sich ja so ein bisschen den Mund fusselig und es sind immer wieder dieselben Sachen, weil wir immer noch über die Grundbasis-Werkzeuge, wie zum Beispiel einen ausreichend hohen CO2 Preis, diskutieren und wir da noch nicht angekommen sind. Oder Veränderungen in der Infrastruktur wie die Mobilitätswende und so weiter. Ich weiß manchmal gar nicht, was ich sonst noch sagen soll. Ich könnte dasselbe Video noch mal machen. Ja, es ist auf jeden Fall frustrierend.

FM4 Podcast Interview Podcast (Interviewpodcast)

Radio FM4

Das ganze Interview mit Mai Thi Nguyen-Kim gibt’s im FM4 Interviewpodcast

FM4: Eben. Es sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die seit Jahrzehnten bekannt sind und die Dringlichkeit und die Vehemenz, mit der wir dagegen vorgehen müssen dringt aber weder bei der Politik noch bei der Bevölkerung richtig durch. Was muss man in der Kommunikation da anders machen? Du sagst ja schon, wir sagen dieselben Sachen, dieselben Dinge, jede Woche wieder?

Mai Thi Nguyen-Kim: Ich glaube, dass es nicht so zielführend ist zu sagen, dass jeder von uns was machen kann, jeder kann im Kleinen etwas schaffen kann. Das ist einerseits schon motivierend, weil es ist ja immer sehr demotivierend, wenn ich mich ohnmächtig fühle und denke Oh Gott, hier passiert was und ich kann gar nichts dagegen tun - oh doch, du kannst deine Wäsche auch mit Kastanien waschen. Klar, das ist zwar alles schön und gut, aber das eigentlich wichtige, das große Lenk-Instrument hat die Politik in der Hand und da muss der ganze Druck hin gelenkt werden. Ich versuche in letzter Zeit, wenn ich über Klimawandel rede, immer wieder auf die Politik zu gehen und zu sagen Ja, ich kann euch natürlich jetzt meine Lieblings Tipps geben, wie ich jetzt persönlich nachhaltig lebe. Aber ich sage, das bringt ja alles nichts, wenn alle meine Bemühungen dann wettgemacht werden durch irgendwelche anderen Menschen, denen es egal ist. Und solange wir nicht so was wie zum Beispiel einen CO2 Preis haben und dann noch weitere flankierende Maßnahmen, die klimafreundliche Verhalten wirklich attraktiv machen und klimaschädliches Verhalten unattraktiv, werden wir nirgendwo hinkommen. Also wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern müssen eigentlich alle mit dem Finger auf die Politik zeigen.

FM4: Das heißt, man muss als Wissenschafts Kommunikator*in auch darauf schauen, dass die Menschen auf die Straße gehen, um politisch Druck zu erzeugen.

Mai Thi Nguyen-Kim: Ja, das ist eine schwierige Sache, weil einerseits möchte ich natürlich nicht Aktivistin sein. Ich versuche da schon sehr sauber zu sein, sauber zu arbeiten. Es gibt aber natürlich manche Dinge, wo man sagt, wenn man da jetzt keine konkrete Handlungsempfehlung ableitet, wenn die einen aus den Daten fast schon entgegen schreit, sag ich mal, dann ist man ja fast schon nicht neutral, wenn man diese Handlungsempfehlung weglässt. Also ja, ich finde es gut, dass es da viel Aktivismus gibt im Klima Bereich. Aber ich versuche eher den Menschen die Hintergründe zu liefern, wo dann viele, ich drück es mal so aus, vielleicht doch die richtigen Schlussfolgerung ziehen um mal auf die Straße zu gehen.

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