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070 Shake

Universal / Def Jam Records

070 Shakes Zweitwerk „You Can’t Kill Me“ ist da

Gute zwei Jahre nach ihrem gefeierten Debüt meldet sich die Musikerin aus New Jersey mit ihrem Zweitwerk zurück. Auf „You Can’t Kill Me“ schafft sie klangliche Meisterwerke zwischen Verlangen und Betäubung und beweist damit einmal mehr, was für eine großartige Musikerin sie ist.

Von Melissa Erhardt

“Me and my team will be responsible for the evolution of music! During my time on earth trust me! Watch!” 070 Shake ist alles andere als bescheiden, wenn es um ihre eigene Kunst geht. Mit Tweets wie diesem verspricht sie viel - das aber auch zurecht, schaut man sich an, was die 25-jährige in den letzten Jahren erreicht hat. Ausverkaufte Tourneen, Kollaborationen mit Kanye West und ein Signing bei GOOD Music / Def Jam, ein grandioses Debüt-Album, das sie straight vom New Jerseyer Basketballplatz auf die internationalen Bühnen katapultiert hat und ganz nebenbei von der Emo-Rap-Box befreit hat.

„That’s what being a pioneer is”

Mit ihrem Zweitwerk „You Can’t Kill Me“ setzt Daniela Balbuena deshalb dort an, wo sie bei „Modus Vivendi“ aufgehört hat: Dem Schaffen ihres eigenen Vermächtnisses. „That’s what being a pioneer is, going off feeling, your own true feeling, you know. And not off of what has succeeded in the past”, murmelt sie im Making-Of-Film zum Album, es folgt ein langsamer Zoom-Out, während sie am Reglerpult sitzt, den Kopf nach unten geneigt. Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt, was es über 070 Shake zu wissen gibt: Ihre Musik soll ihre Lebzeiten überdauern. Oder wie sie auf „History“ singt: „We’ll go down in History“.

Um das zu erreichen hat sich die Musikerin seit 2020 großteils zurückgezogen, auch von den Sozialen Medien. Bis auf eine Single mit NLE Choppa und ein paar Features (darunter eine großartige Interpretation von Madonnas Klassiker Frozen) gab es von der Musikerin weder viel zu sehen noch zu hören. Sie habe nicht die Absicht, eine von den Medien abhängige Sklavin oder „relevant“ zu sein, stellt sie Ende Oktober auf Twitter klar, kurz nachdem ihre Europa-Tour ohne weitere Gründe abgesagt wurde. „The artists that I admire the most, Michael Jackson, Freddie Mercury, they didn’t have these Social Media Platforms. And that affected certain things. Do it, but do it strategically, because things are being thrown at us that we’ve never seen before. We really gotta be scientists”.

Gewaltige Soundgebilde und gestapelte Vocals

Auf „You Can’t Kill Me“ begleiten wir 070 Shake auf eine Reise durch ihre ausgeklügelten Klangwelten. Musik mit reichhaltiger Textur ist das, eine Soundschicht legt sich wie bei gut verarbeitetem Stoff über die nächste, Vocals werden gestapelt und mit Effekten garniert. Shakes Stimme ist das dominierende Instrument, das Werkzeug, mit dem sie ihre dunklen Welten durchforstet und immer weiter nach vorne drängt. Rundherum: Gewaltige Soundgebilde, aufwallende Synthesizer, die uns durch das Album tragen, abgerundet durch organische Percussions, sanfte Harfen und Streichern. Songstrukturen sind auf „You Can’t Kill Me“ bis auf wenige Ausnahmen fast gänzlich aufgehoben, es geht bei Shake nicht um Streaming-fähige Singles, sondern um das große Ganze, das Album als Kunstwerk an sich.

Dabei spielt sie mit Extremen: Ihre Ausflüge in die tiefsten Abgründe des eigenen Seins werden konterkariert mit Lichtblicken, Leben und Tod stehen im ständigen Fight miteinander. „Ying and the yang, it’s more than just a symbol / Life is ‚bout balance, war, and harmony / Can’t have one without the other”, singt sie auf Wine & Spirits – und fasst damit ihr Werk ganz gut selbst zusammen.

Diese Gegensätze lässt sie auch auf den einzelnen Tracks aufleben: Auf “Invited” stoßen harmonische Harfen und lieblicher Chorgesang auf dröhnende Synthies und geladene Percussions, während auf „History“ Streicher und Orgel hervorgezückt werden, die bei treibenden Bässen dazwischenfunken, sie aber nicht zunichtemachen. „Blue Velvet“, einer der wahrscheinlich spannendsten Tracks des Albums, beginnt mit einem pochenden Herzschlag, galoppierenden Drums und aufbrausenden Synthies, die sich bald in entspannte Percussions und beruhigenden Gitarren verwandeln – ganz so, als ob wir nach kurzer Zeit des verzweifelten Herumirrens im Wald plötzlich zur Lichtung finden - und endlich verschnaufen können. Auf „Come Back Home“ läuft das ganze umgekehrt ab: Hier leitet uns Shake von der Lichtung zurück in die Dunkelheit, dominiert von stumpfen Power-Chords und schnellen Kicks, und lässt dabei ganz nebenbei materialistische Kritik vom Feinsten fallen: „This one talks ’bout that one / That one talks ’bout blah / Tell me somethin‘ more than how much more you got“.

Zwischen Verlangen und Betäubung

Um Autos und Designer-Fits ging es bei 070 Shake noch nie – auch nicht, als sie mit ihren ersten EPs noch stärker der Hip-Hop-Welt zuzuordnen war. Ihr ging es immer um das Eins-Sein, das größere Ganze, die collective consciousness: „Under Allah, I’m a speckle“, singt sie in der Hook zu „Invited“, „When we unite, we become the sun, the world becomes one“ auf „History“, und erinnert uns damit daran, uns selbst nicht so ernst zu nehmen – sind wir doch eh nur ein kleiner, unscheinbarer Punkt auf der Erde.

Fast noch wichtiger ist auf „You Can’t Kill Me“ aber das körperliche Verlangen nach Nähe und das High, das wir dadurch erlangen. Das kann, wie auf „Invited“, eine flüchtige Bekanntschaft für den Moment sein („We link up, we sync up, nobody’s businnes“), das kann, ehe wir uns versehen, aber schnell auch viel mehr werden, wie sie auf „Body“ anteast („I wanted your body but it came with your soul“) und auf „Skin and Bones“ den Höhepunkt finden lässt („You treat me like I’m more than a pair of skin and bones And that really made a difference in my story“).

Mit ihrer Auslotung dieser Sucht-getriebenen Begierde begibt sich Shake vorsichtig in die Richtung eines gewissen The Weeknds: Der Hedonismus, die Ekstase, das Spiel mit der Gefahr – all das eint die beiden. An anderen Stellen des Albums werden, wie schon auf ihrem Debüt, Erinnerungen zu Kid Cudi und Kanye West wach, was wohl auch an der Beteiligung von West-Producer Mike Dean liegt. Dazu mischen sich Referenzen zu Micheal Jackson und Freddie Mercury (deutlicher als in der Hook von „History“ mit den Worten „I never get enough / Another one bites the dust“ wird es wohl nicht mehr).

Am Ende steht 070 Shake trotz aller Querverweise aber mit ihrem ganz eigenen Sound da: Ein Sound, der nur krampfhaft in Genregrenzen zu packen ist und an dessen Entwicklung vor allem der kanadische Musiker und Produzent Dave Hamelin kräftig mitgemischt hat: „He best understands my vision and best knows how to translate what I hear in my head”, erzählt sie im Making-Of über die Zusammenarbeit. „More than anybody he’s able to understand what it is that I want and to make my vision come to life in aspects that I can’t”.

Eine Pionierin möchte 070 Shake sein, ein Vermächtnis schaffen, das ihre eigene Lebenszeit überdauert. Das macht sie auf „You Can’t Kill Me“ ein weiteres Mal deutlich – und davon ist sie nicht mehr weit entfernt.

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