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FM4 Im Viertel - Wanld in St. Pölten

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Wandl: Glitzer auf der Baustelle

In FM4 Im Viertel #16 zeigt der Ausnahmeproduzent und Vokalist Wandl seine Heimatstadt St. Pölten. Er besucht die Sprechstunde seiner einstigen Kunstlehrerin, plaudert mit Bauchklang-Frontmann Andreas Fränzl über ihr gemeinsames Tourleben und performt in Glitzerplateaustiefeln einen neuen Song auf seiner ersten Bühne im Sonnenpark: einer Baustelle.

Von Florian Wörgötter

In St. Pölten singt ein Pfarrer im Damenkleid vor den Kameras von Liebesg’schichten und Heiratssachen. Diesen aberwitzigen Plot erzählt ein Trickfilm, den der 16-jährige Wandl einst im Kunstunterricht seiner Schule produziert hat. „Er war ein spezieller, origineller, guter Typ mit ausgeprägter Individualität“, beschreibt seine Bildnerische Erzieherin Marianne Plaimer ihren einstigen Schüler, der auch ohne ihre Kunsterziehung „durch und durch“ schon Künstler gewesen sei.

Noch bevor Wandl seine rauschigen, verschleppten HipHop-Beats produzieren lernte, deren Dimension er mit seinem Rumpelkammer-R&B-Falsett erweitert, suchte er seinen künstlerischen Ausdruck im Zeichnen und in der Kunst des Tonformens. Daher beginnt unsere FM4 Im Viertel-Tour durch das St. Pölten seiner Vergangenheit auch im Zeichensaal seiner alten Schule, dem BORG St. Pölten.

Wir besuchen die Sprechstunde seiner „Lieblingslehrerin“, bei der sich der 27-Jährige eine Dekade später dafür bedanken möchte, dass sie ihn immer unterstützt hat. Ihr verdankt der passionierte Zeichner seinen eigenen Strich, der sich auch durch seine Plattencovers und Musikvideos zieht. Als wahrer „Tonkünstler“ modellierte er mit seinen Händen auch Tonplastiken im Unterricht. Einen solchen „Dickkopf“, made by Wandl in vier Minuten, hat die Frau Professor noch heute in ihrem privaten Regal stehen, weil er ihn damals partout nicht haben wollte („ein echter Wandl“).

Seine Arbeiten wären meist spontan hingeworfen gewesen, jedoch immer spannend, originell und auch kritisch, meint Plaimer. So wie auch seine Musik und seine Filme meist mittels Improvisation entstehen.

Allerdings hätten seine Provokationen nicht überall im Konferenzzimmer ihr Publikum gefunden. „Im Alter von 17 und 18 Jahren war ich frustriert und wollte nicht mehr in der Schule sein. Da war es cool, jemanden zu haben, der mich zum eigenen Stil ermutigt“, sagt Wandl anerkennend zu seiner Lehrerin. Zum Dank überreicht er ihr seine zwei Soloplatten „It’s All Good Tho“ (2017) und „Womb" (2020) als Geschenk. Denn sie habe einen guten Teil beigetragen, dass diese sind, wie sie sind.

Die Frau Professor ist sichtlich erfreut, schließlich verfolgt sie auch die Musik hinter den Artworks und erkennt seine filigranen Skizzen wieder, wie im Video „Window Color“. Ihm hätte sie auf Anhieb eine Karriere an der Kunstuni zugetraut. „Doch Wandl ist auch als Musiker ein Gesamtkunstwerk: die Gestaltung, die Videos und Artworks – all das ist die Person Wandl“, so ihre abschließende Kompetenzbeschreibung. Sein Angebot darauf: ein Job als Pressesprecherin.

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Alles grau in St. Pölten

Wir verlassen die Schule und spazieren im Regen durch St. Pölten. Hier ist Wandl in einer Familie aufgewachsen, in der man laut sein durfte – im Musikzimmer oder im Proberaum bei den Nachbarn. Auf dem Albumcover von „It’s All Good Tho“ sitzt er schon als Zweijähriger am Klavier. Im Alter von fünf Jahren beginnt sein Geigenunterricht, später lernt er Gitarre. Die Musik steht im Zentrum seiner Erziehung. Was er vermisst hat: Dass ihm seine Eltern keine Mundart beigebracht haben.

„Es ist schön, dass heute alles grau und verregnet ist, denn so habe ich St. Pölten auch abgespeichert“, beschreibt Wandl den kulturellen Impetus der Stadt auf sein Schaffen. Alternative Kultur wäre hier eine Seltenheit gewesen, und wenn geboten, dann meist schlecht besucht.

Im Schatten von Wien hat sich die 55.000-Seelen-Stadt erst im Jahre 1986 zur Landeshauptstadt von Niederösterreich hochgehievt. Den Aufstieg zum kulturellen Schauplatz hätte die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2024 bringen sollen, die Austragung hat sich jedoch der kaiserliche Sommerfrischeort Bad Ischl gesichert.

FM4 Im Viertel - Wandl in St. Pölten

Florian Wörgötter

Ein Teil von St. Pöltens alternativer Kultur verbringt seine Luftkur im Sonnenpark, wo verwinkelte Waldstücke neben DIY-Kultur- und Konzertraum symbiotisch existieren. Einer seiner Verantwortlichen ist ein alter Bekannter des subkulturellen Treibens: Andreas Fränzl von der Beatbox-Combo Bauchklang. Der St. Pöltener empfängt uns zwischen Graffiti-Wänden und Kräutergarten: „Andi fördert junge Menschen in der Stadt – und ist auch ein langjähriger Unterstützer von mir“, stellt ihn Wandl vor.

Wandl meets Bauchklang

Wie Wandl und Bauchklang zusammenfanden, würde er selbst gerne von Fränzl wissen: Für ihn persönlich begann die Connection mit dem Sieg eines FM4-Remix-Wettbewerbs, für den Wandl die Bauchklang-Akusmatiken in „Ray“ durch die düstere Bandmaschine zog. Fränzl hatte dadurch die Musikalität des motivierten Schlafzimmerproduzenten erkannt. Aufgefallen war er ihm aber schon im von Fränzl kuratierten Cafè Publik im Festspielhaus, wo Wandl regelmäßig die Visuals für Acts wie Koenigleopold gestaltet hat.

FM4 Im Viertel - Wanld in St. Pölten

Florian Wörgötter

Daraus resultierte Wandls erstes Livekonzert im Sonnenpark beim Parque del Sol, einem kleinen Festival samt Symposium, und gipfelte als Support-Act der Abschiedstour von Bauchklang im Jahr 2013. „Bauchklang hatten damals diesen geilen Tourbus gemietet. Als 18-jähriger Maturant, frisch von der Schule, habe ich instant Blut geleckt“, erinnert sich Wandl an das Tourleben, die Blödeleien und seinen „Start in die Unabhängigkeit“.

Baustelle im Herzen

Nach dem Reunion-Gespräch betreten wir den „Konzertsaal“ im Sonnenpark, doch der „Schwarze Raum“ von damals gleicht heute einer Baustelle. Noch bis 12. Juli läuft eine Crowdfunding-Kampagne, mit deren Finanzspritze die Location fertig renoviert werden soll.

Wandl blickt hinauf zur mittlerweile bodenlosen Kanzel, wo er sich während seines allerersten Gigs hinter einem von Visuals bestrahlten Glitzervorhang versteckt hatte. Sein gespaltenes Verhältnis zu Liveshows erklärt er so: „Einerseits stelle ich mich auf eine Bühne und will singen, andererseits will ich nicht wahrgenommen und gesehen werden“. Ob er sich heute im Rampenlicht einer Bühne wohler fühlt? Aktuell sei ihm der „Kopffick“ vor den Auftritten zu aufreibend, daher pausiert er auch dieses Jahr mit seinen Live-Konzerten. Am wohlsten fühlt sich Wandl immer noch im Studio.

FM4 Im Viertel - Wanld in St. Pölten

Florian Wörgötter

Wo er damals noch hinter einer Wand auf den Putz haute, bröckelt heute der Putz von der Wand. Der perfekte Ort, um a capella seine kürzlich erschienene Single „Fakin’ it“ zu singen. Den adäquaten Kontrast für seine Performance holt er aus dem Kofferraum: ein silbernes Paar Glitzerplateaustiefel. Das Video dazu seht ihr oben. Er setzt sich in den Staub, lässt die hohen Hacken baumeln und beginnt den Song mit dem Satz: „Auf meiner ersten Bühne ist Baustelle – wie in meinem Herzen“.

Im Zerrspiegel des Profils

Später erinnert sich Wandl an ein früheres Konzert im Wiener Gartenbaukino, am Gipfel seiner Karriere, nachdem „It’s All Good Tho“ vom deutschen Musikexpress zum viertbesten Album des Jahres gekürt wurde und Bilderbuch ihn mit auf Tour nahmen. „Ich habe monatelang auf dieses Konzert hingearbeitet. Plötzlich stand ich vor mir wie vor meinem Spiegelbild und dachte: Was du glaubst zu sein, bist du nicht – Du bist kein vogelfreier Weltstar“.

FM4 Im Viertel - Wanld in St. Pölten

Florian Wörgötter

Heute spricht er beschämt darüber, dass ihm der Erfolg damals zu Kopf gestiegen ist. Er habe sich überheblich und unantastbar gefühlt und sei auf Distanz zu anderen Menschen gegangen. Als Konsequenz daraus versucht er nun, seine Beziehungen zu pflegen und sich rein auf den Prozess des Musikmachens und der Videoproduktion zu konzentrieren. „Meine Challenge ist es, mich nicht mit meinem Profil, mit dem ich verknüpft werde, zu identifizieren, und zu glauben, dass es was bedeutet“.

Daher möchte der Künstler mit dem „Authentizitätskomplex“ auch in andere Rollen schlüpfen und diese „channeln" lernen. Wie sich das anhören könnte, wird sein kommendes Album „Body Memory“ zeigen, das am 1. Juli auf dem Mainzer HipHop-Label Sichtexot erscheinen wird.

St. Pölten, du sterbender Käfer

St. Pölten, wo seine Familie lebt, sei für ihn ein zentraler Wurzelpunkt gewesen, zu dem er zurückkehren kann, um die Dinge wieder in Perspektive zu betrachten.

Dass Wandl seine Basis heute in Wien aufgeschlagen hat, zeigt nicht nur seine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Affine-Records-Squad um Dorian Concept, The Clonious und Cid Rim, sondern auch seine morbide Antwort auf die FM4 Im Viertel-Schlussfrage: Wäre St. Pölten ein Musikstück, wie würde es klingen?

„St. Pölten klingt wie eine Autobahn, die in der Ferne rauscht; nach einem Käfer, der in der Sonne auf dem Rücken liegend stirbt und schreit; wie ein Baum, der langsam wächst.“

The Poetry of Wandl. Kafkaesk bis zuletzt.

FM4 Im Viertel - Wanld in St. Pölten

Florian Wörgötter

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