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John Lennon, Ringo Starr, Paul McCartney and George Harrison, arrive at JFK Airport in New York, where they're greeted by a large crowd on February 07, 1964.

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ROBERT ROTIFER

All My Loving - 80 Jahre Paul

Über das enorme Glück, dass ausgerechnet Paul McCartney Paul McCartney ist bzw. die kurze Geschichte einer langen Rehabilitierung im Wandel unseres Blicks auf die Popgeschichte.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Eigentlich wollte ich ihn nicht schreiben, diesen Text. Nicht noch was hinzufügen zum für heute zu erwartenden Hagiographienhagel. Aber dann bin ich mit der nötigen Arroganz aufgewacht zu glauben, doch was beizutragen zu haben zum Thema 80 Jahre Paul McCartney. Also will ich das schnell tun, bevor die Selbstüberschätzung wieder dem Selbstzweifel weicht.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Hier ist der Deal: Machen wir es nicht endlos, ich muss nämlich dringend in einer Stunde zum Soundcheck fahren (Disclosure: Die Band, in der ich heute Abend in London spiele, hat, so wie circa 4.327 Bands weltweit, dem Datum zu Ehren „Maybe I’m Amazed“ eingeprobt), und euch geht es genauso wie mir: Ihr habt die Wahl unter endlos vielen endlos langen Geburtstagslobgesängen (wie wär’s etwa mit Stereogums 80 Artists, die ihre liebsten McCartney-Songs erklären – von Arooj Aftab über Richard Thompson bis Kurt Vile) und wisst nicht, wo anfangen. Dessen bewusst kann ich versprechen: Dieser hier wird zwangsläufig kurz.

This photo taken on June 29, 1966 shows The Beatles holding a press conference in Tokyo at the start of their tour. A group of Japanese Beatles fans 2018 have lost their bid to get police to hand over historic footage of the band's visit.

APA/AFP/JIJI PRESS

Der Typ ganz links

Ja, er handelt nicht einmal unbedingt von Paul McCartney, erzählt nicht einmal seine Geschichte, die ihr eh schon kennt. Oder die, die er selbst immer so verlässlich runterschnurrt, von scrambled eggs bis „Yesterday“. Sondern eine, die wir ebenfalls alle kennen, aber einander vielleicht so noch nicht erzählt haben, nämlich die Geschichte seiner Wahrnehmung. Des Wandels, den diese Wahrnehmung über die Jahrzehnte erfahren hat. Und was uns das wiederum zu erzählen hat über den Wandel unserer Zeiten und unserer sich verändernden Perspektive auf die Popmusik bzw. den Rock’n’Roll.

Hier ist – zur Ablenkung – noch ein anderer Artikel, der auf sehr unprätentiöse Art schlau darauf Bezug nimmt, gestern auch ganz zwischendurch in einem Anfall von Mitteilungsbedürfnis verfasst vom britischen Kollegen Pete Paphides, während sein Zug auf dem Weg von Liverpool nach London drei Stunden lang hängengeblieben war. In diesem Text mit dem Titel „Listen to What The Man Said – The Tao of Paul McCartney in Ten Songs“ schreibt Paphides unter anderem folgende Weisheit:

„Paul ließ sich nicht von der Vorstellung einwickeln, dass das Glück irgendwie seichter ist als das Elend. Bisweilen machte ihn seine hartnäckige Positivität zu einer Witzfigur. Aber es ist ein langes Spiel.“ Der Satz, den Paphides daran anschließt, geht in seinem Überschwang sogar mir ein Stückchen zu weit, aber die zitierte Passage enthält Schlüssel für viel Essentielles.

So wie Paphides wuchs ich in den 1970ern und 80ern im über der weiteren Geschichte der Popmusik liegenden Schatten der Auflösung der Beatles auf. Wie schwer dieses Trauma wog, ermaß sich unter anderem in der kuriosen Tatsache, dass selbst in einer Popkultur, die ansonsten noch resolut nach vorne blickte, Teenie-Pop-Blätter wie Bravo, Popcorn und Rennbahn-Express noch Jahrzehnte nach deren Ende regelmäßig Beatles-Poster auf ihre Mittelseiten druckten. Selbst in ihren hysterischen Texten über neue Bands wurden jene immer noch routinemäßig auf deren eventuell mögliche Tauglichkeit als „die neuen Beatles“ abgeklopft (eine gerade wegen der historischen Präzedenz logischerweise unerfüllbare Aufgabe).

Im (gar nicht sooo großen) Unterschied zu Paphides wiederum verbrachte ich jene beiden ersten Post-Beatles-Jahrzehnte in einem für die toxischsten Formen des Rockismus besonders anfälligen Land (Österreich). Anfällig, weil jene Formen und Codes nicht nur einem traditionellen, aggressiven Bild von Männlichkeit, sondern auch dem dort beharrlich dominanten, romantischen Mythos der gequälten Künstlerseele entsprachen, die idealerweise nach den Extremen einer zelebrierten (anti-)katholischen Katharsis strebt.

All diese Dinge hat McCartney nie auch nur ansatzweise verkörpert. Er konnte durchaus sexy sein, und ist es noch immer, von „Why Don’t We Do It In The Road“ (1968) über die eindeutige „big banana“ in „Hi Hi Hi“ (von Wings, 1972) bis zu „Fuh You“ auf „Egypt Station“ (2018). Aber seine Sexualität war und ist immer dezidiert unbedrohlich.

Auf letzterem, dem bisher vorletzten McCartney-Album findet sich sogar ein Song namens „Come On To Me“, in dem der damals 76-jährige Boomer sich post-me-too mit den veränderten Vorzeichen der sexual politics befasst, seine Unsicherheit darüber thematisiert und – wie immer bei McCartney in den einfachstmöglichen Worten – den reformierten Konsens formuliert. „I saw you flash a smile / That seemed to me to say / You wanted so much more than casual conversation“, singt McCartney, ehe er den für Rocklyrics üblichen, rammeligen Go-Getter-Gestus umkehrt bzw. relativiert: „If you come on to me / Then I’ll come on to you.“

Wann immer ich diesen – zugegebenermaßen sicher nicht einen seiner besten – Song höre, denke ich mir, was für ein Glück die Welt doch hat, dass ausgerechnet ein (as far as we can see) so grund-empathischer Typ wie Paul McCartney in der Position gelandet ist, die Paul McCartney einnimmt. Wenn die Welt bloß sonst so viel Glück hätte mit den Typen, die in den Positionen landen, die sie einnehmen.

Anders gesagt: Genau jene von ihm verkörperte, unbedrohliche Männlichkeit des Typen, der in seinem einsamen Dachboden ein verwundbares Lied wie „For No One“ über die verblassende Liebe der Jane Asher schrieb und sich dann gegen Ende der Sixties in musikalischem Einklang mit seiner neuen Frau Linda als familiär engagierter Hippievater neu erfand, also genau jene Dinge, die ihn zu jenen Zeiten in den Augen der männlichen Rockkritik so uncool, niedlich, lahm und zahm aussehen ließen, sprechen im Nachhinein ziemlich lautstark für ihn.

British singer Paul McCartney former member of The Beatles, accompanied by his wife Linda and their children are pictured on May 13, 1971 in London.

APA/AFP/CENTRAL PRESS

Und das hieß eben NICHT, dass McCartney weniger gerockt hätte als seine Zeitgenossen (absichtlich nicht gegendert), ganz im Gegenteil: Er spielte die von Hendrix inspirierten Riffs im Titelsong von „Sgt Pepper“ und auch das psychedelische Solo in „Taxman“, aber selbst wenn er zum Beispiel in „Helter Skelter“ von der Form her so heavy rockte wie kaum jemand zuvor, sang er dabei am Ende von der kindlichen Freude am Ersteigen und Herabgleiten an einem Rutschturm. Was seinerseits weit besser gealtert ist als so mancher prätentiöse mythenbeladene Bombast, der damals in den Texten zeitgenössischer Rockbands Einzug hielt.

Und wo ich mich vorhin schon ins Thema Katholizismus verstiegen hab: Selbst McCartneys irisch-stämmiger Taufkatholizismus ist kein von Schuldgefühlen gequälter, sondern wenn überhaupt ein hedonistischer. Sogar sein katholisch motivierter Protestsong „Give Ireland Back To The Irish“ aus dem Jahr 1971 versprüht in seiner anti-imperialistischen Aufsässigkeit einen Anflug von launiger Bonhomie (nicht zu verwechseln mit Trivialität – das Thema war ernsthaft kontrovers, der Bloody Sunday nur ein Jahr entfernt).

So lange ich zurückdenken kann, wurde McCartney wegen all des Obigen im Viergestirn der Beatles stets als das Leichtgewicht betrachtet. Es gab – um auch noch einmal auf das Trauma der Beatles-Auflösung zurückzukommen – im Kern zwei Schuldnarrative:

Das eine war die misogyne Unterstellung an Yoko Ono, die Bubengang zerstört zu haben. Das mit wenig Abstand darauf folgende zweite Narrativ war aber schon der Vorwurf an McCartney, der kommerzielle Typ gewesen zu sein, der Lennon nicht auf dem Weg in die wahre Kunst folgen konnte. Aus heutiger Sicht vergisst man leicht, wie viel heruntergeschluckte Bitterkeit 1976 (im ersten Jahr des britischen Punk und eine Welt davon entfernt) sich hinter dem Lächeln einer im Nachhinein als große, geglückte Philly-Soul-Hommage verehrten Wings-Nummer wie „Silly Love Songs“ verbarg.

In diesem Jahrtausend hat McCartney nach gescheiterten Versuchen, sich mit Irrwegen wie „Working Classical“ oder „Standing Stone“ als „ernsthafter“ Komponist neu zu erfinden, sehr viel Energie darin investiert, der Welt und – man hat den Eindruck – sich selbst zu beweisen, dass er eben nicht nur der Typ ist, der „Yesterday“, „Hey Jude“ oder „Penny Lane“ geschrieben hat, sondern auch der, der die revolutionären Tape-Loops zu „Tomorrow Never Knows“ beisteuerte.

Der erst jene Indica Gallery finanzierte und ko-initiierte, wo Yoko in London ausstellen und John treffen konnte.

Der mit seinem ersten Soloalbum quasi den Sound von Indie-Folk und Slacker-Rock erfand und auf McCartney II (1980) mit „Coming Up“ und „Temporary Secretary“ Wesentliches zur Genese des Electro-Pop beitrug.

Immer wieder will er uns wissen lassen, dass er ALL DAS ZUGLEICH ist, will von den Massen UND den Nischen geliebt werden. Im Stadion UND im Heimstudio. Mit Ritterschlag von der Queen UND mit Doobie im Mundwinkel. Diese endlose Liebesbedürftigkeit lässt ihn mitunter etwas anstrengend erscheinen.

Aber im Endeffekt, und das ist der Punkt, hat er recht. Er ist all das zugleich, und das ist tatsächlich erstaunlich. Die Welt hat wie gesagt enormes Glück, das ausgerechnet Paul McCartney Paul McCartney ist.

In diesem Sinn, ich muss jetzt wirklich zum Soundcheck, Paul, aber:
You say it’s your birthday / It’s our birthday too, yeah!

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