Der Biothriller „Spiderhead“ wirft spannende Fragen auf
Von Christian Fuchs
Die Geschichte ist recht simpel: In einem hochmodernen Gefängnis, abseits der Zivilisation, geleitet von einem brillanten Visionär, wird mit bewusstseinsverändernden Drogen an den Insassen experimentiert. Durch eine Art Bioport im Rücken (den Begriff klaue ich jetzt mal von David Cronenberg) erhalten die Teilnehmer*innen an dem Experiment diverse Substanzen injiziert.
Mit einem Knopfdruck an der Handy-Fernbedienung können so in Sekunden die Befindlichkeiten der Inhaftierten geändert werden, von allzu guter Laune bis zu Panikzuständen oder unwiderstehlichem Sexualdrang. Anhand dieser Ausgangsposition, prominent mit „Thor“ Chris Hemsworth und Miles Teller besetzt, denkt der Film „Spiderhead“ über die Manipulierbarkeit des Menschen durch Biochemie nach.

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Vom Rausch des Fliegens zum Drogenkick
Das Problem des eigentlich hochinteressanten und angenehm minimalistischen Thrillers ist schon vorab der Regisseur. Joseph Kosinski ist ein Filmemacher mit einem äußerst durchwachsenen Werk. Während mich etwa sein Feuerwehrdrama „Granite Mountain“, das auf einem erschütternden realen Unglücksfall basiert, wirklich berührte, habe ich sein Spielfilmdebüt, das überaus langweilige Sequel „Tron Legacy“, längst verdrängt.
Gar nicht zu reden von Kosinkis jüngstem Blockbuster, der die Kinocharts in vielen Teilen der Welt anführt. Über die militärischen Propagandabotschaften, die „Top Gun: Maverick“ so fragwürdig machen, durfte ich mich unlängst im FM4 Filmpodcast kritisch auslassen. Diskutiert man mit Fans des Films, dann sprechen diese aber lieber vom Rausch der Flugszenen als von Politik.
Trotz großer Skepsis hat mich Joseph Kosinski mit „Spiderhead“ aber wieder gekriegt. Sehr frei nach einer Kurzgeschichte, die im renommierten „New Yorker“ erschienen ist, geht es im Grunde um das faszinierendste Thema überhaupt: Die Steuerung unseres Gehirns und Körpers durch Hormone, das Bedürfnis nach Selbstoptimierung, das Gefühl, nur ein Spielball biochemischer Vorgänge zu sein.

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Alles Leben ist Chemie
Wenn man den nach Genremustern konstruierten Plot mal beiseiteschiebt, das aufgesetzt coole Design von „Spiderhead“ ignoriert und die Leistungen der Stars Hemsworth und Teller als solide abhakt, handelt der Film von all den drastischen und alltäglichen Mitteln, die uns wie Marionetten herumtanzen lassen.
Aufputschmittel, Beruhigungsmittel, Schlafmittel, Schmerzmittel, Potenzmittel, Drogen aller Arten, Alkohol, Kaffee, Tabak, Microdosing, natürlich Psychopharmaka, die Welt würde ohne diese und andere Substanzen keinen Tag funktionieren, mein Glaube an den freien Willen ist zugegeben beschränkt. Besonders aufschlussreich dazu auch ein Artikel meiner Kollegin Diana Köhler, die über eine neue Studie zum Alltagsdoping berichtet.

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Vergeigtes Finale
Jedenfalls beginne ich nach dem Film einige Netzrecherchen, hole Bücher aus dem Regal, denke über mein weiteres Umfeld nach. Wenn man zum Beispiel das Konzept der Liebe und/oder sexuellen Anziehung von jener Romantik abtrennt, die Hochzeiten, Literatur oder Hollywood evozieren, bleiben einzig hormonelle Vorgänge zurück.
Ich erinnere mich an ein unvergessliches Gespräch mit dem Regisseur Gaspar Noé, der Liebende mit Junkies oder Kokainsüchtigen verglichen hat, spielen doch die selben Botenstoffe eine zentrale Rolle.
Von so einer Ernsthaftigkeit ist „Spiderhead“ letztlich weit entfernt. Joseph Kosinski setzt das letzte Drittel des Films völlig in den Sand, vergeigt alles mit ein bisschen ironischer Action und berechenbaren Drehbuch-Charaden, auch das Schauspiel kippt stellenweise. Davor wirft der Film aber spannende Fragen auf. Alles Leben ist Chemie.
Publiziert am 18.06.2022