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Green Day

Chris Stipkovits | FM4

Hip, Hip! Green Day und Weezer in voller Lautstärke

Bis in den 22. Bezirk soll man es gehört haben: Im zuletzt durch Stromausfall und Rasenloch schlecht beleumundeten Ernst-Happel-Stadion gab es gestern das PopPunkfest des Jahres - wahnwitzig laut und retrospaßig, wie es sich gehört.

Von Boris Jordan

Sichtlich gerührt zeigt sich die quirlige Amy Taylor von Amyl and the Sniffers, die während des Einzugs der Fans bei voller Hitze den Abend eröffnen darf. Es sei ihr eine Ehre, hier spielen zu dürfen, sie sei mit der Musik des heutigen Abends aufgewachsen, ihre Liebe zum Punkrock und der Skatemusik der Neunziger von den Headlinern geprägt. Die Australierin weiß aber im Geheimen schon, dass der Thron ihr gehört, ihre Band gibt es als einzige des heutigen Abends nicht schon eine ganze Generation lang, ihre Energie und Quirligkeit ist selbst bei diesem Vorbeigeh-Slot ansteckend. Sie wird die nächste Königin des Genres.

Die US-amerikanische Sitte, Vorbands stets demütig auf halbem Saft spielen zu lassen, scheint sich aufgehört zu haben: Schon Amyl and the Sniffers blasen voller Wucht die Eintretenden fast wieder hinaus. Und die Soundprobleme des Abends zeichnen sich auch ab - der leicht breiige, vermutlich unerwünschte Echo Effekt, vor allem auf der Stimme, lassen die Einsätze verwischen und selbst so tighte Bands wie Weezer und Green Day werden damit heute noch Probleme bekommen.

Und damit wären wir auch schon bei:

Weezer

Jetzt beginnt der PopPunk-Effektspass. Als Intro lässt Van-Halen-Fan Rivers Cuomo „Jump“ einspielen (das Weezer-Logo ist ein Rip Off des Chromlogos der Eighties-Pop-Metaller), die Weezer Bühne ist mit rosaroten Fake-Verstärkern dekoriert. Die Beach Boys des PopPunk, einst für Spießerfrisuren, Polohemden- und Pullunder-Tragen und Studenten-Nerdtum berühmt, sehen im Alter aus wie Dave Grohl und seine Freunde, die im Proberaum ohne Dusche leben und dort nur Makava trinken.

Im Jahr 1994 hatte Rivers Cuomo im Alleingang einen Popstandard definiert, der die hüpfende Energie des kalifornischen Skatepunks mit dem Laut /Leise Gitarreneffekt von Helmet und sonnigen, assoziativen Lyrics verheiratet und dem Männerschmerz von Cobain, Cornell und Vedder eine konsequent- widerständige Harmlosigkeit entgegen gesetzt hat.

Aus diesem Konzept sind zahllose Hits entstanden, die jedes Kind nach 4 Sekunden mitsingen und nach 2 Wochen mitspielen können sollte - und wir bekommen sie heute alle.

Alles an Weezer ist Konzept und Konsequenz: Verehrung von Hairmetal und 80er Pop (auch heute covern sie Toto und Metallica), von David Crosby Harmonien und Lagerfeuer-Akkorden, Alben über Sommer, Winter, Meer, sofort erkennbares Artwork und Sounddesign, erwartbare Breaks, und der erlösende Mitgröl-Chant. Vermutlich ist nicht nur meine Mitsingstimme seit gestern stark lädiert. Vielleicht die am besten ausgedachte Musik des Genres, und das seit 28 Jahren. Nicht wenige hätten Weezer als Co Headliner gesehen - aber eine Band ist eben noch größer.

Fall Out Boy

Der Erfolg von Fall Out Boy als Posterbuben des Zweifel-Emo-Punk ist in den USA unermesslich. Ähnlich wie bei „My Chemical Romance“ oder „30 Seconds to Mars“ können wir den Massenappeal, den ihre Hymnen seit 20 Jahren in den USA erreichen, in Europa nicht so recht nachvollziehen und hier und heute nur erahnen.

Green Day

Chris Stipkovits | FM4

Als ob sie das heute auch den „Retro“ erwartenden, in der Snowboard Szene der 90er-Jahre groß gewordenen Österreicher*Innen zeigen wollten, spielen Fall Out Boy gnadenlos und druckvoll nach Vorne - ihr im Vergleich etwas überladener, sehr höhenlastiger Bandklang leidet aber mehr unter den Soundproblemen im Stadion, als der der anderen Bands. Das Visuelle an ihrer Show gibt ein wenig Rätsel auf. Wo die anderen Bands mit Spontanspaß und Pop Glamour kokettieren, wollen Fall Out Boy sich in einer mystischen Horror Zwischenwelt Optik wiederfinden: Bilder von dunklem Wald, brennenden Bergen und düsteren Computerspielwelten, ein roter Mond, der wie Sauron aussieht, dazu brennt der Bass kurz lichterloh und das Klavier die ganze Zeit... Möglicherweise will man hier zwischen „Herr der Ringe“ und „Stranger Things“ lavieren und mit Apokalypse- Mythen spirituelle Tiefe und innere Zerrissenheit darstellen. Oder sich vom Spaßpunk abgrenzen, wer weiß das schon.

Als dann für eine Nummer ein Waldhäuschen mit Gartenzaun um das Schlagzeugpodest auf- und gleich wieder abgebaut wird, endet das Verständnis und wir nennen Patrick Stump und Pete Wentz nur mehr Legolas und Samweis Gamdschie, auch lustig.

Außer bei den extra wegen ihnen angereisten Fans (offenbar nicht so viele wie erwartet) kommt der Hymnenpop, den ich nicht Punk nennen mag, nicht über die ersten 15 reihen vor der Bühne hinaus - vermutlich auch, weil dort mehr Druck und weniger Echobrei im Sound zu hören ist.

Interessanterweise füllt sich das Stadion erst jetzt zur Gänze, nicht wenige dürften nur wegen des Healiners gekommen sein und dazwischen ein Abendbier im Prater gezwitschert haben. Billie Joe Armstrong wird sie schon zu Beginn mit seinem Lieblingstrick zu Tode umarmen.

Hier kommen:

Green Day

Der Trick funktioniert immer: Wie in einem berühmt gewordenen YouTube-Video lassen Green Day vor ihrem Auftritt Queens „Bohemian Rhapsody“ über de P.A. laufen, das gesamte Punkpublikum kennt jedes einzelne Wort auswendig und singt das Hitmoster in voller Länge durch. Die Massenhochzeit beginnt so bereits bevor die Band einen einzigen Ton gespielt hat. Der Massenchor stellt sich schon darauf ein, dass „When I come Around“, „Basket case“, „Boulevard of Broken Dreams“ und „When september ends“ am Besten mit Beteiligung von tausenden Kehlen funktioniert. Und die Menschen grölen sich die nächsten eineinhalb Stunden dankbar durch Green Days beeindruckenden Katalog. Stimmung!

Auch die Visuals sind erfrischend, wie bei Weezer wird hier alles höchst stimmig inszeniert - nach der Saruman Welt von Fall Out Boy nun anarchistischer Humor, ein tanzender Plüschhase, Comics, Punk-Collagen, der Mittelfinger, die „Bisexual“ Flag, Billie Joe Armstrongs irrer Blick in Großaufnahme bei einer Hendrix- Gitarrenheld Pose. Nichts stört die große Party, man sieht nur glückliche Gesichter, alle stehen von den Sitzen auf, tanzen, im Stadion die Slamdance-Crowd, auf den Rängen alle Altersklassen beim Hüpfen und Klatschen, Entdecken und Sich-mitreißen-Lassen und beim Sich-Erinnern an ebenso wilde wie vergangene Snowboard- und Festival-Zeiten.

Die Band verausgabt sich dazu vorbildlich, Billie beherrscht den „Call and Response“- Dialog von Freddie Mercury, alle antworten brav und begeistert mit einem „Eeeo“ auf sein „Eeo“ - und entlassen sich selbst am Ende, indem sie glücklich und erschöpft jedes Wort von „When September Ends“ in die laue Wiener Nacht schreien.

Noch ein letztes Bier vor der vollen U Bahn - ein guter sauberer Spaß für vier Generationen Punkrock.

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