FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ana Marwan, Autorin und Teilnehmerin am Bachmannbewerb 2022.

ORF/Johannes Puch

Ana Marwan gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2022

Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 geht an Ana Marwan! Und vier weitere Preise sind vergeben, nach drei Tagen mit Lesungen bislang unveröffentlichter Texte - zum Glück wieder live vor Publikum in Klagenfurt.

Von Maria Motter

Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 geht an Ana Marwan für Ihren Text „Wechselkröte“! Die Autorin bedankte sich auf Deutsch und Slowenisch.

Jedes Mitglied der siebenköpfigen Jury des Bachmannbewerbs konnte einen bis vier Punkte vergeben - nur nicht für die Texte der jeweils selbst eingeladenen Autor*innen.

Alexandru Bulucz gewinnt den Deutschlandfunk-Preis, der mit 12.500 Euro dotiert ist. Er sei mit gewissen Vorurteilen zum Bewerb gekommen und die hätten sich in Luft aufgelöst, sagt Bulucz und wendet sich mit Dank für Fairness an die Jury: „Das ist Vielfalt.“ Laudatorin Insa Wilke sagt über den Text: „Hier denkt jemand um sein Leben“. Es sei ein Widerstandstext. „Meinetwegen“, sagt der Autor.

Leon Engler wird mit dem 3sat-Preis über 7.500 Euro ausgezeichnet. „Dazugehören ist das Leitmotiv des Textes“, mit Ironie, die die Vereinheitlichungstendenzen mit Säure angreife, sagt Laudator Philipp Tingler.

Juan S. Guse wird mit dem Kelag-Preis über 10.000 Euro ausgezeichnet. Literatur ist eine unermüdliche Arbeit am Rätselhaften, hält Mara Delius in der Laudatio fest. Am Anfang sei der Soziologe, der Guse auch ist, sehr präsent und beim Schreiben wird er ihn dann „los“. Es gibt tatsächlich den sogenannten Cargo Cult, auf den sein Text anspielt: Indigene Völker bauen Flughäfen nach, die sie gesehen haben.

Elias Hirschl gewinnt den BKS-Bank-Publikumspreis in der Höhe von 7.000 Euro, mit dem auch das Stadtschreiberstipendium verbunden ist.

Herzliche Gratulation!

Ana Marwan beim Bachmannbewerb im Garten bei ihrer Lesung.

Johannes Puch

Ana Marwan gewinnt den Bachmannpreis 2022

Die großen Themen der 14 Texte

Alle Texte der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur finden sich hier.

Als symptomatisch für die Zeit werden die Texte der Tage der deutschsprachigen Literatur gelesen, dessen ist sich die Jury-Vorsitzende Insa Wilke bewusst: „Und natürlich kann man die Auswahl der Jury auch deuten“.

Es ging um Mutterschaft oder auch doch nicht („Wechselkröte“ von Ana Marwan; in „Dieses ganz vermeidbare Wunder“ von Leona Stahlmann dämmert ein Weltuntergangsszenario mit), Vaterschaft (Andreas Moster las auf Einladung von Vea Kaiser den Text „Der Silberriese“ und betont in seiner Kurzbio die Care Arbeit für seine Kinder). Vor allem Selbstbetrachtungen männlicher Figuren sind hoch im Kurs („Schulze“ von Clemens Bruno Gatzmaga, „Liste der Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten“ von Leon Engler), Behzad Karim Khanis Genregeschichte „Vae victis“ spielt in einem Gefängnis in Berlin). Eine Großstadtfigur verläuft sich in der Weltgeschichte in Hannes Steins „Die königliche Republik“ in New York. Wie man die Wirklichkeit so drehen kann, dass sie fantastisch wird, beschäftigt Hannes Stein, der sich als Spezialist für Weltuntergänge vorgestellt hat.

Elias Hirschl Bachmannpreis

Johannes Puch / ORF

Elias Hirschl liest aus dem Text „Staublunge“.

Die Welt geht für Einzelne in Elias Hirschls „Staublunge“ unter, doch noch ist da der Wille zum Arbeitskampf. Klassische Figuren in Texten, die auch in der Vergangenheit vielfach für den Ingeborg-Bachmann-Preis eingereicht wurden, sind Großmütter (diesmal in „Porträt des Verschwindens“ von Usama Al Shahmani geliebt und in „Der Körper meiner Großmutter“ von Eva Sichelschmidt ungeliebt und sterbend). Eine Beziehungsgeschichte eines Paares auf Reise und ein Hinweis auf den Sinn, den die jährliche Gesundenuntersuchung macht, stecken in Barbara Zemans „Sand“.

Barbara Zeman bei ihrer Lesung beim Bachmannbewerb

Johannes Puch

Barbara Zeman liest aus dem Text „Sand“.

Texte für den Wettbewerb, die auch im Text auf den Wettbewerb referenzieren, waren gleich zwei dabei (Mara Genschels „Das Fenster zum Hof“ und Juan Guses „Im Falle des Druckabfalls“).

Die Handlungen spielen hautpsächlich in Europa, New York und in einer Erinnerung im Irak des Jahres 1979 und „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“. Letzteres in dem Text von Alexandru Bulucz, der unter den diesjährigen Beiträgen herausragt.

Alexandru Bulucz bei seiner Lesung in Klagenfurt.

ORF/Johannes Puch

Alexandru Bulucz bei seiner Lesung

Alexandru Bulucz wurde 1987 in Alba Iulia in Rumänien geboren und arbeitet als Schriftsteller, vor allem Lyriker, Übersetzer und Kritiker. Sein Text „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“ eröffnet über die Gedanken eines Mannes in einem Café Überlegungen zu Kindheit, Heimat und Verlust, Selbstmordabsichten und Verantwortung.

Der Text habe eine eigene Qualität, weil er Annahmen über das, was Herkunft und Heimat sind und was die Wirkungsweise von Geschichte ist, in ihren Grundlagen infrage stellt, analysiert Juror Klaus Kastberger. „Die sprachliche Gestaltung ist an sich schon die Erzählung“, hält die Literaturkritikerin und Moderatorin Insa Wilke fest. Sie hat Alexandru Bulucz zum diesjährigen Wettlesen eingeladen: „Ich war so froh, dass ich einen Text vor mir liegen habe von einem Autor, der sich der Grammatik bewusst ist und der nicht nur Parataxen produziert, sondern tatsächlich komplexere syntaktische Gefüge formulieren kann und nicht einfach so, um komplexere syntaktische Gefüge zu formulieren, sondern wo die Gestaltung der Sprache bereits die Aussage, die semantische Ebene ist.“

Split-Screen und Banana Split

Die räumliche Trennung von Lesungen und den anschließenden Diskussionen der Jury wird in der TV-Übertragung mit Split-Screen aufgelöst. Verändert hat sie den Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis zentral, mussten Autor*innen sich doch (mit Ausnahme der vergangenen zwei Fern-Editionen) direkt der Jury stellen. Vielleicht kommt die Jury ja auch mal auf eine Open-Air-Bühne in der Zukunft. Der Bachmannbewerb erweist sich bei aller Wertschätzung und Berufung auf seine Tradition als flexibel. Kurzfristig wurde die Punktevergabe verändert, die Punktezahl reduziert.

Lesung von Elias Hirschl beim Bachmannbewerb 2022.

ORF/Johannes Puch

Entspanntes Zuhören vor der Lesebühne.

Die freundliche Atmosphäre um die Bühne im Garten kommt jener bei Literaturfestivals gleich. Zuhörer*innen können einfach hinkommen und Platz nehmen in einem der Liegestühle mit aufgedruckten Zitaten Ingeborg Bachmanns, oder in der Freundesrunde Bierbänke an Biertischen besetzen. Der Zuspruch ist groß und schnell waren noch mehr Sitzgelegenheiten bereitgestellt. Der Kamerakran schwebt über die Köpfe im Bereich vor der Bühne.

„Alle wieder da“, schreibt der Literaturkritiker David Hugendick in der Zeit. Und abends im Lendhafen tummelten sich wieder Verlagsleute, Autor*innen, Jury und Publikum. Ein Hund bellte während Behzad Karim Khanis Lesung, die Feuerwehr sirente in Barbara Zemans Vortrag, doch die wenigen Sekunden konnten die Aufmerksamkeit des Publikums nicht brechen. Danach auf einen Banana Split und an den Wörthersee. Sich die Zeit zum Zuhören und Lesen zu nehmen, ist als Zuschauer*in ein absolut notwendiger Luxus.

Aktuell: