FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Killers-Frontman Brandon Flowers

Rob Loud

The Killers lieferten ein Hitfeuerwerk

Die Killers waren in Wien. Mit dabei: Viel Pathos, große Gesten, Freude und viel Konfetti. Sicher eines der besten Konzerte des Sommers zwischen Attnang-Puchheim und Nevada.

Von Alexandra Augustin

Was für ein großes Theater war das vor rund einem Monat: Die Killers stehen auf der Bühne in Manchester. Plötzlich surft ein älterer Mann von geschätzten 70 Lenzen und mit weißem Haupthaar über die Menge hinweg. Crowdsurfing, das ultimative Freiheitsgefühl, ist klassischerweise eine Disziplin des Jungvolkes bei Festivals und großen Shows. Die Knochen müssen weich und biegsam sein, denn nicht selten geht so ein geplanter Kontrollverlust über die Köpfe der Menge hinweg mit einem festen Schlag auf den harten Asphalt einher. Autsch, der Rücken am Boden! Auweh, ein Schädelknochen, der unsanft anknackst. Auch den besagten älteren Fan hat es dumm erwischt: Er knallt voll auf die Breitseite – und bleibt zum Glück unverletzt. Ein Mr. Brightside der etwas anderen Art. Ein Video davon geht in den sozialen Medien rum: Killers-Frontman Brandon Flowers springt von der Bühne, begibt sich in die Menge und umarmt den – verletzten, aber glücklichen - Fan namens Doug. Props to Doug! Man wünsche jeder Band einen Doug. Sei wie Doug! Pfeif auf alle Konventionen, nimm deine Bandscheiben zusammen und feiere so, als ob es kein Morgen gäbe. Was für ein Bild! Was für ein Moment! Wir sind zurück aus dem ewigen Dämmerschlaf. Livin’ la vida loca!

So jung kommen wir nicht mehr zusammen

„Hallo Wien! Wir sind am Leben!“, schreit Brandon Flowers zu Beginn auf Deutsch in die Menge. Rund 10.000 Fans sind heute in die Wiener Stadthalle gekommen. Es wird zu Beginn der Show erstmals die schwere Pandemiezeit kollektiv aufgearbeitet, die nun ein Ende hat. War was? Ach ja.

„This is a super-spreader event! We are spreading peace, love and Rock ‘n’ Roll!”, schreit Flowers. Humor hat er. Eine blau-rote Lichtshow, inklusive Donnerwetter-Visuals, erinnert an eine Parallel-Welt à la Stranger Things. Der trübe Nebel lichtet sich, Konfettibomben platzen und Prediger Brandon Flowers holt uns zurück ins Hier und Jetzt: Wir sind geheilt! Wir können wieder feiern. Zumindest möchte man das für einen kurzen Moment glauben. Die Killers, die anno 2004 mit dem Superhit „Mr. Brightside“ wie aus dem Nichts heraus die Welt erobert haben, bespielen mittlerweile die größten Stadien und Konzerthallen der Welt. Über 28 Millionen Platten hat die Band bisher verkauft. Heute sind sie gekommen, um etwas nachzuliefern, von dem man nicht mehr gedachte hätte, dass es noch einmal passieren wird: Eine Portion Eskapismus in Form von Musik.

Knapp zwei Jahre musste man dank Seuche auf das Konzert in Wien warten. Die Feierlichkeiten zum 20-jährigen Band-Jubiläum mussten die Killers schuldig bleiben. Immerhin: Während andere Bananenbrot gebacken haben, haben die Killers zwei neue, sehr respektable Platten gemacht. Die Tour möchte jetzt die Uhr zurückdrehen und nahtlos da weitermachen, wo man vor über zwei Jahren stoppen musste: „Imploding The Mirage“ nennt sich die Tour, benannt nach dem 2020 erschienen sechsten Album. Das Mirage ist bekanntlich eines der größten Hotels in Las Vegas. Die Katzenflüsterer Siegfried & Roy haben dort einst an die 6000 Shows absolviert - das Epizentrum des US-amerikanischen Showbusiness. Von dieser Platte wird man heute Abend aber weniger hören.

Ein bisschen Friede, ein bisschen Freude

Ein Hit nach dem nächsten wird geliefert, ohne den Zwang einer Chronologie. Mit Nebensächlichkeiten muss man sich nicht aufhalten. Hits, Hits, Hits! Noch mehr Konfetti, etwas Feuer, noch mehr Laser. Die Killers liefern ein Best-of aus ihren 20 Jahren Musikgeschichte.

Die Setlist vom Killers-Konzert:
www.setlist.fm

When You Were Young, Jenny Was a Friend of Mine, Smile Like You Mean It, Somebody Told Me, Read My Mind, Mr. Brightside, Human, All These Things That I’ve Done, Runaways, und natürlich das großartige Cover der Joy Division-Nummer Shadowplay. The Killers könnten auch nur diese Lieder in einer Endlosschleife spielen und die Menge wäre zufrieden. Neues Material wird nur spärlich präsentiert. Zwei, drei Nummern von den jeweils letzten Platten müssen reichen. Dann wird lautstark das Mantra „How Beautiful Life Can Be“ zelebriert, eigentlich aus einem Lied der heutigen Vorgruppe „The Lathums“, deren Frontman kurzerhand von Brandon Flowers auf die Bühne gebeten wird, um diesen Song im Duett mit der Countrygitarre zu spielen. Man feiert das Leben. Das alles hat in kurzen Momenten den Charme der Sonntagsnachmittagsgruppe in der Kirche. Zynismus hat hier aber heute kein Leiberl.

Die Killers sind eine Hitmaschine, der die alten Fans treu geblieben sind – und das ist natürlich würdig und recht. Popkultur - per se noch in den Kinderschuhen in Anbetracht des Alters des gesamten Popkulturuniversums - erlebt gerade die ersten zwei Generationen, die mit ihren Heldinnen und Helden „gemeinsam alt werden“. Egal ob Bands wie Muse, Placebo oder die dieser Tage ebenso in Wien aufspielenden deutschen Helden von Element of Crime oder Skunk Anansie: Es hat sich ein neues Verständnis für Popidentitäten und Musikkonsum entwickelt. Fans wollen die Held*innen der eigenen Jugendtage weiterhin abfeiern – und das zu den Songs, die einst in der eigenen Jugend identitätsstiftend gewesen sind. Noch nie waren älter werdende Menschen so jung. Das kann dem latenten Jugendwahn in den Kreativkulturen und in der Gesamtgesellschaft auch nur gut tun, wenn Bands weiterhin auf die Bühnen gehen, anstatt in ihrem Alterswohnsitz die Goldenen Schallplatten im Regal abzustauben. Ageism darf sich auf Nimmerwiedersehen vertschüssen.

The Killers zählen natürlich noch lange nicht zu einer älteren Generation an Musikstars à la Stones, aber sie befinden sich an einer spannenden Schwelle: Auf der zum Klassiker. Haben sie einst zu Beginn ihrer Karriere – mit der perfekten Debütplatte Hot Fuss - den Zeitgeist getroffen, geht es jetzt darum, sich im zeitlosen Musikkanon einzuordnen. Die Generation, die vor kurzem noch als zeitgenössischer Pop gehandelt worden ist, darf nun in eine neue Zeitrechnung übertreten – die Anwärter*innen sind aktuell sämtliche (Indie-) Rock- und Popkünstler*innen der späten 1990er und frühen 2000er Jahre.

Killers-Frontman Brandon Flowers

Rob Loud

Am Highway des Lebens

Einziger Wermutstropfen beim Konzert: Man wünscht sich mehr von den aktuellen, neuen Platten. Auf „Imploding The Mirage“ als auch auf „Pressure Machine“ verneigt sich die Band vor Bruce Springsteen, Classic Rock und Americana. Die Liebe zum Detail spiegelt sich auch in den Visuals beim Konzert: Man sieht endlose Highways, Sternenlandschaften und die steinerne Mojave-Wüste von Kalifornien und Nevada im Endlosloop. Dazu die bunten Lichter von Las Vegas. In dieser Gegend haben The Killers sich bekanntlich gefunden. Im benachbarten Bundesstaat Utah hat Brandon Flowers einen Teil seiner Kindheit verbracht – genau dort ist das letzte Album „Pressure Machine“ entstanden: So wie viele andere hat sich auch Brandon Flowers während der Pandemie in ländlichere Gefilde geflüchtet. Er hat den Ort seiner Kindheit besucht, das von Mormonen gegründete Dorf Nephi, in dem nicht mehr als ein paar tausend Menschen leben. Melancholische Songs sind in diesem Corona-Urlaub entstanden: über erste Jugendlieben in der Pampa, das Erwachsenwerden in der Einöde, das Rumfahren mit dem Auto im Nirgendwo. Brandon Flowers erzählt Geschichten über Männer, die wegen Drogenhandels in den Knast müssen. Über schwule Teenager mit Selbstmordgedanken. Über einen Polizisten, der sich in ein Opfer von häuslicher Gewalt verliebt und den Täter umbringt. Zwischen den Liedern hört man gesprochene Einspieler von echten Menschen aus Nephi, die ihre eigenen Lebensgeschichten erzählen.

Die Polizisten-Nummer „Desperate Things“ ist überhaupt ein wirklich unterschätztes Juwel - Bruce Springsteen winkt mit dem Zaunpfahl! Dazu trifft man Menschen, die von all den großen Dingen des Lebens träumen. Schade, dass es diese Nummern nicht in die Setlist geschafft haben. Aber vielleicht muss man dem letzten Album ebenso eine eigene Tour widmen (hoffentlich nicht erst in weiteren zwei Jahren).

Heimkommen

Bei genauer Betrachtung ist das Erfolgsrezept der Killers so einfach wie hochwirksam: Das Sehnsuchtsland Amerika. Unendliche, emotionale Weiten. Freud & Leid. The desert on a horse with no name. Der (gescheiterte) amerikanische Traum mit all seinen weltlichen Bürden. Die Texte von Brandon Flowers wissen um das Spiel mit Nostalgie, Emotionen und Storytelling. Dieses Rezept funktioniert im Pop genauso wie im Rock oder auch im Schlager. Die Geschichten in den Liedern könnten irgendwo in Nevada genauso spielen wie in Attnang-Puchheim, von wo aus Michi und Carina sich heute aufgemacht haben, um in die glitzernde Großstadt zu einem Killers-Konzert zu fahren. Man hat jetzt einen Babysitter.

So bringen die Killers heute vor allem etwas lang Vermisstes zurück: das Gefühl der endlosen Freiheit, unabhängig von Alters-, Genre- und geografischen Grenzen. Es ist egal, woher du kommst und auch wie alt du bist: Wirf dich in die Menge, so wie Doug! Übrigens, diese Woche spielen auch noch Guns n‘ Roses und die Rolling Stones in Österreich. Forever Young.

mehr Musik:

Aktuell: