FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Peaches

Johanna Lamprecht

The Teaches of Peaches

„It’s not just a concert, it’s a Coming-of-Age-Moment“, sagt Peaches über ihre Anniversary Tour und bringt am Elevate-Festival mit einer unglaublich beeindruckenden Show alle Generationen zusammen.

Von Melissa Erhardt

Wo beginnt man, über ein Peaches-Konzert zu schreiben? Beginnt man bei ihren bizarren Outfits? Mäntel, zusammengeflickt aus Unterwäsche von vorherigen Shows, mit Fake-Plastic-Boobies bestickte BHs oder – mein Favorit – dem „Thank God for Abortion“ Bodysuit? Oder beginnt man bei ihrer ekstatischen Performance? Dem Herumkraxeln in einem aufgeblasenen Riesenplastikpenis, das synchrone Unterhosen-Ausziehen ihrer Performer oder das fast schon sakrale Crowdsurfing und Crowdsquatting, nur um dann wieder rückwärts zur Stage zurückzurollen? Eins steht fest: Peaches-Konzerte sind ein einziges großes Happening, tausende kleine Performances in einer Performance, die Verwirklichung eines utopischen Gedankenspiels, in der wir frei sind von Zwängen, Ängsten und allem anderen, das uns sonst so blockiert.

Peaches Show

Johanna Lamprecht

„It’s not just a concert“, wird Peaches am darauffolgenden Tag im Gespräch mit Natalie Brunner antworten, als diese die Show im Grazer Orpheum als Befreiungsschlag und Glücksmoment für viele bezeichnet. „And I don’t want to sound narcissistic. But People are reflecting on the last two years, they are reflecting on the last 20 years, they are reflecting on themselves. It’s more like a Coming-of-Age Moment: It doesn’t matter if you’re a teenager or whatever, it’s just this feeling of ‘I can be whoever I need to be’”.

Peaches Albumcover

Peaches / Kitty-Yo, XL

„The Teaches of Peaches“ war Peaches’ zweites Studioalbum. Eigentlich schon im Jahr 2000 released, gab es 2002 einen Re-Release mit Bonus-Tracks. Seit Mai ist sie damit auf ausgedehnter Anniversary-Tour.

Die Utopie, die wahr wird

Zwanzig Jahre ist es her, als die kanadische Musikerin „The Teaches of Peaches“ herausgebracht hat, zu dessen Jubiläum sie es nach etlichen Tourstopps nun eben auch als Headlinerin des Elevate-Festivals nach Graz geschafft hat. Die Autorin dieses Textes war bei Erscheinen des Albums gerade einmal sechs Jahre alt. Das macht aber nichts, Alter und Jahreszahlen werden nämlich hinfällig, wenn es um das Werk und die Message dieser Künstlerin geht: Eine queere Frau, die Raum nicht nur beansprucht, sondern sich ihn einfach nimmt und für ihren eigenen (sexuellen) Willen einsteht, frei von hegemonialen Machtverhältnissen, Gewalt und Zwang. Das ist heute vielleicht nichts Bahnbrechendes mehr, aber davon, dass es gesellschaftliche Norm sein könnte, sind wir weit entfernt. Das wird an diesem Samstagabend ganz unvermittelt klar, und zwar wenn das Winken mit einer „Abortion“-Fahne bei schwitzenden Körpern in einer stickigen Location noch immer für Gänsehaut sorgen muss.

Das ist dann vielleicht aber auch schon wieder der einzige Moment in dem zweistündigen Set, in dem die überschwängliche Feierlaune einen leicht-bitteren Beigeschmack bekommt. Einerseits ist das natürlich Peaches selbst geschuldet, die das Publikum mit gleichermaßen einnehmenden und dynamischen Bühnenpräsenz in ihren Bann zieht. Etwa wenn sie sich mit blauen Rüschen-Bodysuit und ihrem legendären blonden Vokuhila zu „Diddle my Skittle“ über das Publikum tragen lässt, die Gitarre auf „Sucker“ mit ihrem vibrierenden Körper zum Nachhallen bringt oder nach „Vaginoplasty“ zu einem synchronen, saalerfüllenden „Nasty“-Chor anstimmt. „You came to see a Rockstar“ ruft sie einmal, „Nothing to be afraid of! It’s a Celebration”, ein andermal.

Peaches Show

Johanna Lamprecht

Diese endlose Energie ist aber vor allem auch ihren unglaublichen Live-Performer*innen geschuldet. Da gibt es kurze zeitgenössische Tanzeinlagen, in denen die Tänzer*innen wie utopische Fabelwesen über die Bühne schweben und Pirouetten drehen, Black-Metal angehauchte Shredding-Einlagen einer massiv beeindruckenden Gitarristin, gekleidet in schwarze Lederboots und einem Hauch von Nichts, Körper, die wie besessen zu einem grungigen Outro von „Shake Yer Dix“ zucken, sich beugen, umfallen und wieder aufstehen und zu „Teaches of Peaches“ ihre Beine spreizen. Das Besondere: Nichts daran wirkt obszön, nichts pervers oder vulgär. Hinter jeder Bewegung steckt etwas Bedachtes, etwas Ästhetisches, der freie Wille. „Conceptionally I come from theatre“, erzählt sie am Sonntag über ihre Bühnenshow, „I was laughed at back then because I wanted to do cool musicals. So that’s what I want to do: Surprises, archs, dips and highs“.

Peaches Show

Johanna Lamprecht

In der Anniversary Show, mit der sie in Kürze auch auf ausgedehnte Nordamerika-Tour geht, vereint sie Zukunft und Vergangenheit, Kostüme der letzten 20 Jahre werden wieder ausgegraben, andere, wie der Unterwäschen-Mantel, neu angefertigt. Ihre Roland MC-505 Groovebox, mit der sie das Kultalbum inmitten einer kleinen Lebenskrise mit Anfang 30 geschaffen hat, steht prominent auf der sonst minimalistischen Stage, die erst durch die Performer*innen und die wechselnden Requisiten (Stichwort: Riesenplastikpenis) zum Leben erweckt wird.

Peaches Show

Johanna Lamprecht

Kurz vor Mitternacht, bevor das Festivalpublikum zu einem ausgedehnten Nachtprogramm in die Höhlen des Grazer Schlossbergs weiterpilgern wird und nachdem Peaches bereits jeden einzelnen Song ihres Kultalbums und andere Goldstücke zum Besten gegeben hat, kommt das Grande Finale - und damit das große Lachen: Peaches performt Celine Dions „It’s All Coming Back to Me Now“ – und das mit großem Pathos und einem wirklich außerordentlichen Timbre. Es wäre aber natürlich nicht Peaches, wenn sie daraus nicht ihr eigenes Ding machen würde: Sie tauscht ein paar Verben, aus „touch“ wird „fuck“ wird „grind“ wird „suck“, springt dabei von Stufen, baut dramatische Pausen ein und begeistert damit das schnappatmende Orpheum. „Why the fuck are we singing a Celine Dion Song? Well, why the fuck not??“

Und was war sonst so los am Elevate?

Auch abseits von Peaches hatte das Elevate einiges zu bieten. Am Freitagabend beförderte die Deutsch-Britin Anika den Innenhof des zweitgrößten Museums Österreichs, dem Joanneum, mit ihrer neu zusammengetrommelten Band und ihrem sanften Art-Pop in einen melancholischen Traumzustand. Dass es dabei immer wieder zu tröpfeln begann und der sonst so klare Himmel von großen grauen Wolken überzogen wurde, tat dabei sein Übriges. „Melancholisch, traurig, trancig“ beschrieb eine Besucherin Anikas Set sehr passend – und trotzdem war da dieser optimistische Unterton, dieses kleine Stück Hoffnung, das die Schwere leichter zu ertragen machte. „Ich wollte was über Hoffnung schreiben, weil was gibt es sonst?“, erzählt sie Freitagnachmittag zwischen Soundcheck und Auftritt über ihr Album, „Ich weiß es nicht, man muss hoffen, dass es besser wird und wir was dafür tun können, sonst fühlt man sich so machtlos“.

Anika

Clara Wildberger

Im Lesliehof ging es dann mit psychedelischen Gitarren und rasselnden Synthies in den Abend, als die Krautrock-Pioniere Faust die Bühne übernahmen. „Des is unsre Generation!!“, klopften sich zwei Männer hinter mir lachend auf die Schulter. Tatsächlich war der Altersschnitt höher, das Publikum männlicher als sonst am Elevate - was sich kurz darauf in der Postgarage schlagartig änderte, wo bei Alyona Alyona und Co. wieder die junge Elevate-Crowd übernahm.

Crowd bei Alyona Alyona

Johanna Lamprecht

Auf der Bühne erzählte Alyona Alyona zwischen heftigen Rap-Flows und „Slawa Ukrajini“-Rufen aus dem Publikum davon, wie sie sich am Nachmittag in das Goldene Buch der Stadt Graz eintrugen durfte: „Before me it was King and Queen of the Netherlands, you know, and today it was me. It’s a big honor to be part of something big and write something for all the Ukrainian people”. Ihre bassintensive Show wummerte noch lange in der Magengrube nach – zumindest bis Cid Rim die Stage übernahm und die Crowd mit seinen Live-Schlagzeugkünsten in andere Dimensionen hämmerte. Danach legte die gebürtige Argentinierin Catnapp mit ihrem unterkühlten Cyborg-Rave noch eine beklemmende Performance - im sehr guten Sinn - hin, bis diverse DJs die drei Floors übernehmen.

Catnapp

Philipp Bohar

Am Sonntag wurde gewissermaßen das fortgesetzt, was am Freitag mit Anika und Faust schon begonnen hatte: Warme, psychedelische Sounds vom siebenköpfigen Brian Jonestown Massacre mit dem wohl coolsten Tamburinspieler überhaupt. Danke, Elevate, und bis nächstes Jahr!

Aktuell: