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Freizeit

CC0/Pixabay

Buch

„Freizeit“ - Das Lebensgefühl eines verlorenen Millennials

Obwohl es kein Generationen-Porträt werden sollte, ist es genau das geworden. Carla Kaspari schreibt in ihrem erstem Roman aus der Perspektive von Franziska, die auf der Suche nach dem ist, was ihr fehlt, von dem sie aber selbst nicht weiß, was es eigentlich ist.

Von Alica Ouschan

Mit der Freizeit ist es so eine Sache. Hat man zu wenig davon, fühlt man sich unausgeglichen. Hat man zu viel, holen einen oft Probleme ein, über die man sonst mangels Zeit wahrscheinlich nie nachgegrübelt hätte. Genau um dieses Lebensgefühl geht es im Romandebüt der deutschen Autorin Carla Kaspari.

„Freizeit“ handelt von Franziska, einer Autorin Ende Zwanzig, die sich in einer Art Quater-Life-Crisis befindet. Um nicht direkt über sich selbst reflektieren zu müssen, nimmt Franziska die Menschen in ihrem Umfeld genau in den Blick und schreibt über ihre Beobachtungen in ihrem ersten Buch mit dem Titel „Freizeit“.

Franziska denkt, dass jede Form des Schreibens auf einem sicheren Fundament aus Überauswahl, Unsicherheit und Selbstzweifel passiert und dass man das akzeptieren musste, anstatt sich dauernd selbst zu bemitleiden. Dann tippt sie: „Wer Mina Lervantes-Müller für eine Person hält, die mit veganer Ernährung, Tauchakrobatik, CBD-Joints und sporadischer Auseinandersetzung mit dem Mond ihr Inneres mit dem Außen der Welt in Einklag zu bringen versucht, der liegt genau richtig.“

Auf der Suche nach etwas, das es nicht mehr gibt

Franziska hat ihren Master in Paris gemacht und ist nun zurück in Deutschland. Sie hat ein sicheres Einkommen und einen gefestigten Freundeskreis, ist aber nicht wirklich zufrieden. Sie will ihr altes Leben zurück, das gibt es aber nicht mehr. Während sie die letzten Jahre Revue passieren lässt, kristallisiert sich heraus, dass ihre Freundschaften sich verändert haben. Statt Party geht es plötzlich ums Sesshaftwerden und um gesunde Ernährung.

„Dieser mit Rote Bete ist so geil“, sagt Mina und beißt in eine dicke Scheibe körniges Brot, die mit einem pinkfarbenen pflanzlichen Aufstrich bestrichen ist. Auf der Masse balancieren Tomate und Basilikum. Franziska beißt ebenfalls in ihr Brot und schaut zu, wie Minas Kiefermuskulatur Wellen schlägt. Obwohl sie seit gestern hier ist, hat sie nicht das Gefühl, wirklich mit Mina gesprochen zu haben.

Buchcover "Freizeit"

Kiepenheuer & Witsch

Freizeit hat 308 Seiten und ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Die Erzählform des Buches wird mittels drei unterschiedlicher Stile gebrochen. Das Hier und Jetzt wird durch Franziskas analytischen und eigensinnigen Blick beschrieben und kommentiert. Dann gibt es die Passagen, wo Franziska an ihrem Textentwurf schreibt. Reale Erlebnisse und die Charaktere, die eins zu eins auf ihren Freund*innen basieren, werden darin mit Details ausgeschmückt, fantasievoll und überspitzt, aber treffsicher in Worte gefasst.

Dann springt sie in den Kapiteln aber auch zurück in die Vergangenheit, in einem verzweifelten Versuch, herauszufinden, wann und warum ihr Leben sich verändert hat. Sie probiert festzumachen, wann Franziska ihr Leben entglitten ist und ob sie es schafft, wieder auf Spur zu kommen. Dabei denkt sie viel über ihre Freund*innen nach.

Da ist ihre beste Freundin Mina, die sie im ersten Semester an der Uni kennengelernt hat und die sich seit etwa einem Jahr immer mehr von Franziska distanziert. Mehmet, mit dem Franziska als Kind Fußball gespielt hat und sein Freund Benedikt, mit dem sie in all den Jahren nie richtig warm geworden ist. Auch die komplizierte Beziehung zu ihrem Ex-Freund Cyril und seinem besten Freund Malo, mit denen Franziska in den zwei Jahren Paris viel Zeit verbracht hat, nimmt Platz in den Rückblicken ein.

Immer wieder läuft Franziska vor ihrem Leben davon, flüchtet sich nach Paris oder in die autobiografische Scheinrealität ihres Textentwurfs. Während die Erzählung selbst nur an der Oberfläche zu kratzen scheint, verbirgt sich so Einiges zwischen den Zeilen, vor allem über die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander.

Eine ungewöhnliche Erzählstimme

Die Tonalität von Carla Kasparis Figur Franziska strotzt vor Selbstironie, scharfen Beobachtungen und komischer Tragik. Sie erschafft damit eine Person, die sowohl unsympathisch als auch nahbar und real wirkt. Die auf der Suche nach dem ist, was ihr fehlt, aber selbst nicht weiß, was das eigentlich ist.

„Freizeit“ ist ein sprachmächtiges, gleichzeitiges zurückhaltendes Buch, das ein Lebensgefühl der Überforderung, Sinnleere und Beklommenheit einfängt und trotzdem große Lust beim Lesen schafft. Obwohl die Sprache, wie die Handlung schlicht gehalten ist, hat „Freizeit“ das Potential, einen emotional und nachdenklich zurückzulassen. Carla Kasparis Debüt ist ein Coming-Of-Age Roman aus der Perspektive eines verloren Millenials - mit unscheinbarer Handlung und viel Tiefgang.

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