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Publikum am 2. Popfest Tag 2022 bei EsraP

Patrick Wally

Pop kommt von Community: Der zweite Tag beim Popfest 2022

Die Highlights der bisherigen zwei Tage am Popfest: Conny Frischauf, Liz Metta, salute.

Von Katharina Seidler

„POP ist zuallererst das Geräusch beim Öffnen einer Flasche, vorausgesetzt sie enthält reichlich Kohlensäure."
Gero Günther - ‚Countdown to TXTC (Voulez-Vous-Version)‘

Segen und Fluch von Outdoorfestivals: Sie sind outdoor, daher bekommt man eventuell kein Omikron 5 und kann sich freier durch die Menschenmenge bewegen. Allerdings steht man auch im Regen, wenn es regnet, so wie an diesem Freitagnachmittag. Infolgedessen muss einerseits der Opener Act der Seebühne Xing vor wenigen Leuten gegen Wassermassen von oben ankommen und weiters wird die tägliche Ambient-Dosis von Popfest-Veteran Wolfgang Möstl aka Lehmann mit seinem Community-Projekt Voyage Futur von draußen nach drinnen in den Club U verlegt, auf irgendwann später. Es war angeblich sehr gut, aber da ist man vielleicht gerade am Weg von der Main Stage (Crack Iganz) zur Geheimbühne (Factory) und verpasst wieder alles. Hartes Festival Life.

Folgen Sie also nicht den Pfeilen zum Hintereingang des Künstlerhauses, denn es gibt keine, zur Glastür an der Hinterseite des ehemaligen Brut, und sehen Sie die Ausstellung der sogenannten Vinylpostkarten sowie die Zaubermaschine namens Vinylograph in Action. Jeden Tag hosten hier verschiedene Artists (Donnerstag: STSK, Freitag: Farce, Samstag: Katharina Ernst) die Vinylograph Sessions, wo befreundete Artists entweder gleichzeitig und gemeinsam oder aber hintereinander Musik machen, aufführen, improvisieren oder überhaupt erst schreiben, vor Publikum, im Ausstellungsraum, und diese Musik wird dann live in exklusive Singles-Schallplatten gekratzt. Es ist geradezu magisch. (Im normalen Leben außerhalb des Popfests kann man den Vorgänger dieses Vinylographen im wunderbaren Art Space SSTR6 in der Schönbrunnerstraße 6 in Wien besuchen).

Am Popfest-Freitag erarbeiten Farce und ihr Gast Sakura (Anthea hat abgesagt) in der Künstlerhaus Factory zwischen den Ausstellungsobjekten - abspielbaren Tonbild-Postkarten - gerade einen gemeinsamen Track, was abwechselnd spannend oder auch ein wenig langwierig anzusehen ist, aber umso besser die Mechanismen, Hintergründe und vor allem: die kleinteilige Arbeit zeigt, die hinter all dem steckt, was beim Popfest in geballter Form an vier Tagen und Nächten passiert.

"Pop ist ein System aus Zucker"
Philipp L’Heritier

Die drei Buchstaben P, O, P werden beim Popfest, wie man weiß, genremäßig in vielerlei Hinsicht und jedes Jahr durch die Kurator*innenteams höchst unterschiedlich ausgelegt. Der Begriff geht aber natürlich über die Musik hinaus. Pop ist harte Arbeit und oft auch: Prekariat. Ein Glücksspiel, ein Bekenntnis zur Selbstausbeutung, ein Hoffen auf Kontakte, den richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, vor allem aber ist Pop keine Einzelunternehmung, sondern ein kleinteiliger Mechanismus aus vielen, vielen Handgriffen, ausgeführt von vielen verschiedenen Menschen, bis irgendwann 2 Minuten 30 in ihrer kompakten, endgültigen Form aus dem Lautsprecher kommen, und die muss sich dann ja auch jemand anhören. This song could be your life.

Pop ist also vor allem Community, und dies merkt man am zweiten Popfest-Tag 2022 ganz besonders, wenn etwa auf der Seebühne der Wiener HipHop-Veteran Kamp seine sympathischen Außenseiter-Hymnen mit den treuen Fans von damals teilt (in Popzeitrechnung eine kleine Ewigkeit seit seinem umjubelten Album "Versager ohne Zukunft“ von vor 13 Jahren). Tapfer ignoriert Kamp die während seines Sets tatsächlich ohne Unterlass läutenden Glocken der Karlskirche, die man im Publikum nur ganz direkt vor der Bühne akustisch ausblenden kann, während man an jeder anderen Stelle des Karlsplatzes langsam Richtung Wahnsinn geklingelt wird. Turns out, die Glocken sind kaputt, und die Feuerwehr muss nach circs 35 Minuten, also fast dem gesamten Set von Kamp, der Kirche den Strom abdrehen oder so. Kamp trägt es mit Fassung, „call it a Kamp-Back“ (© Stefan Trischler).

Das Backup der eigenen Gang haben auch der Salzburger Cloud-Rap-Pionier Crack Ignaz in einer seiner ersten Shows seit fünf Jahren - apart und heute irgendwie sanft distanziert; die neuen Songs über Dolche und Blut sind noch nicht so wirklich angekommen - sowie das Popfest-erprobte Geschwisterduo EsRAP, die den Slot der leider erkrankten Ebow übernommen haben. „Wo sind meine Tschuschen“, fragt Rapperin und Gerade-eben-erst-Kuratorin Esra immer wieder, und die Antwort erfolgt lautstark aus vielen Mündern.

EsRAP präsentieren sich beatlastiger und tighter denn je. Wie schon vergangenes Jahr ist die Gasmac-Gilmore-Kollabo „Freunde dabei“ ein Höhepunkt des Abends und steht inhaltlich auch genau für das Gemeinschaftsgefühl, das Festivals wie dieses vermitteln: „Du hast Privileg, ich hab Freunde dabei. Du hast Ibiza, ich hab das Video dabei, ich hab Tschuschen dabei, ich hab Wien dabei, ich hab OTK dabei, ich hab euch dabei.“ Genau darum geht es. „Du hast alles, aber nichts dabei.“

Das Booking des Manchester-via-Wien-erprobten Clubmusik-Überfliegers salute als Closing Act auf der Seebühne erweist sich als kuratorischer Geniestreich, denn Felix Nyajo verwandelt den Platz vor dem Teich, vielleicht zum ersten Mal in dieser Form beim Popfest, in einen richtigen, großen, euphorischen Dancefloor. Eigene Hits wie „Jennifer“ mixt salute mit Krachern wie, ja wirklich, „Music sounds better with you“ (Stardust, remember?). Das längere Zeit zögerliche Freitagspublikum taut endlich auf, außerdem ist es am Karlsplatz jetzt warm und trocken.

Drinnen im Prechtlsaal ist die Bühne in diesem seltsam hellen, halligen Schlauch von einem Raum in die Mitte gewandert, sehr gute Idee. Die Synthesizer-Spezialistin Conny Frischauf bespielt sie mit dem erfrischendsten, luftigsten, elastischsten Krautpop, den man sich nur vorstellen kann. Ihren strikt analog aus Zauberkästen gefilterten Songperlen fehlt aber jede konzeptuelle Schwere; Conny Frischauf verwandelt sogar die Klimakrise in wolkige Ideen ohne falsche Versprechungen: „Wir verglühen wie ein Blatt Papier.“ Ihr Set ist vermutlich das bisherige Highlight des Popfests.

In weiterer Folge wird die Nacht ein wenig knifflig. Der Hof der sich im Umbau befindlichen TU ist derzeit zu einem kleinen Durchgang aus Dixieklos und Bar geschrumpft, die freundlichen Popfest-Securities müssen geduldig wieder und wieder den Weg zur neuen Location Ella-Briggs-Saal erklären und gleichzeitig Menschenmassen sicher durch ein Nadelöhr aus Absperrungen und Durchgängen leiten. Man steht also sehr lang in einer Schlange, um dann vom Set von Earl Mobley leider nur die allerletzten drei Töne zu hören. Großer Jubel von den früher Angekommenen.

Abu Gabi

Patrick Wally

Abu Gabi

Also zurück zum Prechtlsaal, dort herrscht allerdings gerade Stille. Die Noise-Musikerin Abu Gabi hätte für ihr Set eigentlich ihre poppigsten, beatlastigsten Stücke ausgewählt, aber nach nur 20 Minuten ist auf der Bühne offenbar Stromausfall; der weitere Verlauf der Show ist nicht ganz klar. Die Arme. Wer nun wieder in Richtung Ella Briggs zieht, sollte vorher unbedingt noch einen Abstecher in die blauen Plastikkästen machen, denn hinten gibt es anscheinend keine WCs, was bei manchen Besucher*innen nach langem Anstellen zu Recht ein wenig Frust auslöst.

Heilung und Trost verschafft Liz Metta. Ihren herrlich federleichten, traumverlorenen Psychedelik-Pop trägt die österreichisch-amerikanische Musikerin so unvermittelt vor, als erdächte sie ihn eben erst in diesem Moment. Hinten im Saal wird, wie so oft beim Popfest, laut geredet, irgendwann kommt außerdem jemand am Lichtschalter an und taucht uns in weißes Neonlicht. Dass dennoch alles in pastellfarbenen Nebel gehüllt ist, und der Raum wie eine Safe-space-Kapsel durch die Nacht schwebt, verdanken wir der unaufgeregten Grazie von Liz Metta; für viele (neben Ernst Lima vom Vorabend) DIE bisherige Entdeckung aus dem behutsam kuratierten Popfest-Programm von Andreas Spechtl und Dalia Ahmed. It feels just right. Die Auftritte von Radian, Jung an Tagen, Zinn müssen schweren Herzens dem Schlaf geopfert werden. Heute hört der Regen später angeblich auf.

Spechtl und Ahmed

Patrick Wally

Andreas Spechtl & Dalia Ahmed

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