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Rasmus Engler und Jan Müller

Hans Scherhaufer

„In Hamburg sagt man Tschüss“

Der erste Roman von Tocotronic-Bassist Jan Müller und Rasmus Engler heißt „Vorglühen“ und ist eine unterhaltsame Zeitkapsel für das Hamburg der frühen 90er Jahre.

Von Christian Pausch

Nachdem in den letzten Jahren nicht nur das Prosadebüt „Aus dem Dachsbau“ von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow erschienen ist, sondern auch der Comicband „Sie wollen uns erzählen“ mit einem Comic von Schlagzeuger Arne Zank höchstpersönlich, legt nun auch das dritte Gründungsmitglied der Band nach.

Jan Müller, der Bassist der Band, stellt nun zusammen mit seinem Co-Autor Rasmus Engler sein Romandebüt „Vorglühen“ vor. Auch Rasmus Engler kennt man von der Musik, zusammen mit Jan Müller spielt er in der Band Bierbeben, und die beiden bilden das Duo Dirty Dishes. Es sollte also keine Überraschung sein, dass Musik und vor allem Musikgeschmack auch in „Vorglühen“ keine kleine Rolle spielen.

„Lass uns ins Purple gehen, da kann man in Ruhe stehn.“ In Ruhe stehn, interessanter Ansatz, dachte Albert.

Albert hat gerade erst sein Abitur im bergischen Land absolviert und zieht nun fürs Studium in die Großstadt Hamburg. Eigentlich könnte er in einer großen und sauberen Wohnung von Freund*innen seiner Eltern unterkommen, doch schon in der ersten Woche trifft er in der U-Bahn zufällig Claus, der einen Button von Alberts Lieblingsband trägt. Mehr braucht es nicht, um eine enthusiastische Freundschaft zu entfachen. Nach einer gemeinsam durchzechten Nacht wacht Albert nicht nur mit einem pochenden Schädel auf, sondern auch mit einer neuen WG mitten in St. Pauli und er ist - zu seiner Überraschung - der neue Gitarrist von Claus’ Band.

Albert fand es eine angenehme Vorstellung, nicht mehr Opfer der Umstände zu sein, sondern der Welt, in die man hineingestoßen worden war, etwas entgegenzusetzen.

Buchcover

Ullstein Verlag

Seine drei Mitbewohner*innen, die Aussicht auf eine Beziehung mit der coolen Comicbuchverkäuferin und die vielen Hamburger Originale, die Albert während der unzähligen Konzerte und WG-Partys kennenlernt, bringen das Leben des einst so unschuldigen Studenten ordentlich durcheinander. Die Eltern zuhause ruft er wochenlang nicht mehr an, seine Wohnung wird für das aufregende, aber unhygienische (Kakerlaken!) WG-Leben links liegen gelassen und auch die Freund*innen in der alten Heimat scheinen nicht mehr so cool zu sein, wie Albert einst dachte.

Coming of Age auf der Reeperbahn

Die Uni wird sowieso nur noch zum Nebenschauplatz und gegen den Proberaum eingetauscht, wo die Band mit ständig wechselndem Namen eifrig ihre Gitarrenmusik übt. Die Autoren Müller und Engler zeichnen ein mehr als unterhaltsames Bild einer Stadt und einer Zeit, aus denen nicht nur Bands wie Tocotronic, sondern das ganze Genre „Hamburger Schule“ hervorgingen. Alles verpackt in die Geschichte von Albert, der sich zwischen tagelangen Katerzuständen, Verliebtsein und der Euphorie des Musikmachens auch manchmal selbst nicht wieder erkennt.

Albert stellte fest, dass sein Verhältnis zur Wahrheit in Hamburg merklich litt.

Wenn man Hamburg nicht kennt, will man es nach der Lektüre von „Vorglühen“ unbedingt kennenlernen, auch wenn man schon merkt: Das Hamburg von damals gibt es wohl so gar nicht mehr. Der Roman ist eine kurzweilige und sympathische Coming-of-Age-Geschichte aus Deutschland, die sich gut neben „Superbusen“ von Paula Irmschler ins Regal stellen lässt.

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