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APA/GEORG HOCHMUTH

„Die EM war wichtig für den Stellenwert von Österreich im Frauenfußball“

Eine Europameisterschaft der Rekorde ist gestern Abend zu Ende gegangen. Die Engländerinnen haben dem Druck standgehalten und ihren Titel beim Heimturnier geholt. Philipp Eitzinger vom Taktik-Blog Ballverliebt schaut mit uns jetzt noch einmal auf das Turnier zurück.

Radio FM4: Am Ende waren es 90.000 Fans im Londoner Wembley-Stadion und ein Final-Thriller gegen Deutschland, der erst in der Verlängerung entschieden worden ist. Zu Beginn der Titelreise waren es 70.000 Fans im Old-Trafford-Stadion in Manchester und ein 1:0 der Engländerinnen gegen Österreich. Die Engländerinnen sind verdiente Europameisterinnen mit einer holländischen Geheimwaffe auf der Trainerinnenbank. Würdest du das auch so auf einen kurzen Nenner bringen?

Philipp Eitzinger: Ja. Über das Turnier gesehen, waren tatsächlich die Engländerinnen die wahrscheinlich beste Mannschaft, womöglich sogar mit einigem Abstand. Deutschland war die clevere Mannschaft. Die haben es immer irgendwie geschafft, dass sie noch eine Lösung finden. Aber rein, was die rohe Stärke der Mannschaft angeht, und wahrscheinlich auch ein bisschen in der Breite hat England schon leicht die Nase vorne, auch wenn der Sieg im Finale selbst eher auf der glücklichen Seite war.

Radio FM4: In Deutschland ist die Aufregung recht groß nach dem Finale. Ein verweigerter Hand-Elfmeter ist dafür der Grund. Auch in anderen Spielen gab es immer wieder Verwunderung über falsch beurteilte Szenen, die vom Videoassistenten nicht korrigiert worden sind. Zum Beispiel in den Spielen Deutschland gegen Spanien, eine rote Karte, oder auch bei England gegen Spanien, das Ausgleichstor der Engländerinnen. Ist dir das auch aufgefallen oder ist es einfach die übliche Aufregung der Betroffenen?

Philipp Eitzinger: Es ist eine Mischung aus beidem, würde ich sagen. Zum Handspiel im Finale würde ich schon sagen, dass England sich nicht beschweren hätte dürfen, wenn es Elfmeter gegeben hätte. Ich halte die Entscheidung nicht für skandalös falsch, aber auf jeden Fall für diskutabel. Die anderen Szenen, das englische Ausgleichstor gegen Spanien, das war robuster Körpereinsatz. Auch hier hätte man schon abhelfen können, aber es war nicht dramatisch falsch. Das liegt in der Natur der Sache beim Video Referee, wenn etwas nicht ganz so entschieden wird, wie es die meisten Menschen sehen würden, dann steht das viel mehr im Blickpunkt, als es ein quasi banaler Schiedsrichterfehler oder eine falsche Wahrnehmung vom Schiedsrichter in den Tagen vor dem Video Referee gewesen wären.

Radio FM4: Die Aufmerksamkeit und Begeisterung, mit der Fans und Medien diese Euro der Frauen mitverfolgt haben, war noch nie so groß. Das zeigt sich auch an den verkauften Tickets und TV-Einschaltquoten. Viele haben den Sieg der Engländerinnen in der Heimat insgeheim auch herbeigesehnt. Man erwartet sich dadurch international auch den Sprung auf ein neues Level für den Frauenfußball insgesamt. Teilst du diese Erwartung auch?

Philipp Eitzinger

Mirko Kappes

Philipp Eitzinger: Man muss immer vorsichtig sein mit so großen Statements, dass ein EM-Titel für England gut für den ganzen Frauenfußball wäre. Aber man muss schon sagen: Für internationale Aufmerksamkeit sorgt dieser Titel und auch die Art und Weise, wie und vor allem wo er zustande gekommen ist, wahrscheinlich mehr als ein neunter Titel für das deutsche Team, das eh immer schon da war.

Radio FM4: Wie könnten konkrete Auswirkungen ausschauen?

Philipp Eitzinger: Es ist schwierig zu beurteilen, weil man unterscheiden muss zwischen Nationalteamfußball und Klubfußball. Auf Nationalteamebene ist in einem Jahr die nächste Weltmeisterschaft, in Australien und Neuseeland. Die wird das Aufmerksamkeitslevel sicher noch einmal in ähnliche Sphären treiben, wie das jetzt bei der Europameisterschaft der Fall war. Tatsächlich bin ich ein bisschen skeptisch, was die greifbaren Auswirkungen von dem EM-Hype auf den Alltag, auf den Klubfußball betrifft. Wir haben ja vor fünf Jahren in Österreich auch gesehen, dass die Aufmerksamkeit für den täglichen Betrieb im Frauenfußball nicht dramatisch gestiegen ist. Die Spiele sind zwar vermehrt im Fernsehen zu sehen, aber die Aufmerksamkeit bei den Medien und bei den Zusehern ist dadurch nicht dramatisch gestiegen.

Radio FM4: Und vielleicht auch nicht bei den Sponsoren.

Philipp Eitzinger: Es gibt zumindest seit 2018 einen Sponsor für die österreichische Frauenbundesliga. Und es wäre wünschenswert, wenn es vielleicht St. Pölten schaffen würde, der Meister, sich für die Gruppenphase der Champions League zu qualifizieren. Die Chancen sind absolut da. Da können wir vielleicht ein bisschen etwas auch bei uns von dieser Aufmerksamkeit in den Herbst hinein retten. Natürlich wäre es auch hilfreich, wenn sich die österreichische Mannschaft für die WM in einem Jahr qualifizieren würde. Im Großen hat die letzte Saison schon gezeigt, dass einzelne Highlight-Spiele absolut gut besucht sind. Damit meine ich 90.000 Leute in Barcelona gegen Real Madrid und gegen Wolfsburg im Europacup. Aber der Lackmustest wird es sein, wie sich in England, wo die Liga boomt, aber auch in Deutschland und in Italien, wo die Europameisterschaft fürchterlich in die Hose gegangen ist, jetzt die die Aufmerksamkeit auf den Ligabetrieb, auf den täglichen Fußball, in den kommenden Wochen und Monaten gestalten wird.

Radio FM4: Wie beurteilst du denn die Leistung der österreichischen Spielerinnen bei diesem Turnier? Selbst im Viertelfinale gegen Deutschland war das Team ja nicht unbedingt chancenlos.

Philipp Eitzinger: Ich glaube, man kann es auf diesen Punkt bringen: Die EM 2017 war extrem wichtig für den Stellenwert des Frauenfußballs in Österreich. Die EM 2022 ist ganz wichtig gewesen für den Stellenwert von Österreich im Frauenfußball. Österreich hat jetzt bestätigt, dass das vor fünf Jahren kein reiner Zufall war, dass man sich wirklich, ernsthaft unter den Top 10 in Europa etablieren hat können. Der Einzug ins Viertelfinale war alles andere als Zufall. Man hat gegen England im Eröffnungsspiel dieses 0:1 erreicht. Im ganzen restlichen Turnier hat niemand weniger Gegentore gegen England kassiert als Österreich. Man hat den Pflichtsieg gegen Nordirland eingefahren und ist dann, und das war so ein bisschen wirklich die Krönung, das letzte Gruppenspiel gegen Norwegen, ins Viertelfinale gekommen, nicht irgendwie, sondern wirklich von der ersten Minute an aktiv, aggressiv, die eigenen Chancen suchend. Das ist fast ein bisschen unösterreichisch. Genauso im Viertelfinale gegen Deutschland, wo sie tatsächlich 60 Minuten voll dabei waren, und dann erst das Spiel gekippt ist, weil Deutschland einfach ein bisschen mehr Qualität von der Bank bringen hat können.

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