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Sophia Blenda

FM4 / Gerlinde Egger

fm4 soundpark act des monats

Musik ist eine Superkraft

Gerade eben ist sie am Popfest in der Wiener Karlskirche aufgetreten, am 19. August veröffentlicht Sophia Blenda mit „Die Neue Heiterkeit“ ein Album des Jahres. Unser FM4 Soundpark Act im August.

Von Lisa Schneider

Das Popfest ist ein Zusammenkommen, eine österreichische Musikrundschau und ein Sprungbrett. Gerade auch vom letzten Festivalabend in der Wiener Karlskirche darf man sich immer fleißig Notizen machen zum Popstar von morgen - heuer war es ganz genauso. Sie heißt Sophie Löw, ist 26 Jahre alt und steht mit ihrer hervorragenden Band als Sophia Blenda auf der Bühne. Das ist Popmusik, in diesem Fall darf man sehr gern den schummrig-schönen Zusatz „Kammer-“ davorhängen.

„Einen guten Popsong macht für mich aus, dass der Song einen offenen Raum hat für das Persönliche, das man dort hineininterpretieren kann. Man muss ihn die ganze Zeit hören, um dieses Ding, das man eben hineininterpretieren möchte, aufzuarbeiten, oder einfach: sich ins Leben zu holen.“

Sophia Blenda Karlskirche Popfest 2022

Christian Stipkovits

Schon für ihre Band CULK hat Sophie Löw hervorragende Texte geschrieben; wer aber wissen will, wie Dringlichkeit in zeitgenössischer Kammerpopmusik klingt, hört sich die ihres Soloprojekts an. Das ist die Art von Musik, bei der man sich wünscht, dass in der Youtube-Videoversion den kleinen, schwarzen Pünktchen und dem Wort „mehr“ die Lyrics folgen, auf dass man sie mitlesen kann. „Bohrende Hoffnung / Auf meiner von dir bedrohten Haut / bedeckender Hochmut / deiner Augen, deren Sicht mir die Heimat in meinem Körper raubt“, singt Sophia Blenda im Lied „BH“. Das ist Politik und eingedickte Wirklichkeit, das ist, was gute Lyrik kann: sich ohne Floskeln vorgraben zum Kern der Sache.

Wie oft wird darüber gescherzt, wie zach und schroff die deutsche Sprache sein kann; jedenfalls ist sie nicht die einfachste, um in ihr über Liebe, Leiden, Leben zu sprechen und zu schreiben. Das kippt nicht selten ins Platte. Unabhängig davon wird den wenigsten deutschsprachigen Newcomer-Acts der internationale Durchbruch gelingen. Sophia Blenda hat mittlerweile bei der deutschen Niederlassung von PIAS Recordings unterzeichnet, dort sind auf internationaler Ebene Acts wie Agnes Obel, Editors, Roisin Murphy oder Soap&Skin vertreten. Keine Sorgen also dahingehend.

Ein händeringendes Suchen nach Vergleichen, das aber nicht so ganz klappt. Das ist natürlich ein großes Kompliment. Zu den musikalischen Held*innen von Sophia Blenda gehört die oben genannte Soap&Skin, aber auch Aldous Harding. Also Menschen, die sich mit ihrer Musik sehr elegant am Grat zwischen Pop und Experiment entlangwagen. So wie auch Sophia Blenda, die Musik schreibt, die immer ein bisschen Mysterium bleibt.

„Die neue Heiterkeit“ wird also Mitte August bei PIAS Germany erscheinen. Bezeichnungen wie „Album des Jahres“ werden in Kreisen jetzt schon - je nach Charakter - gemurmelt oder hinausgeschrien, auf beide Arten ist es wahr. Das ist große Musik.

Die Höhepunkte von Sophia Blendas Liveauftritten ebenso wie die ihres Albums kommen einer totalen emotionalen Überforderung nahe. „Do gspiast di“, würde ein lieber Freund an dieser Stelle sagen. Beim Aufwachen nach einer durchzechten Nacht, beim so richtig arg Verliebtsein, dann, wenn das Herz bricht, und eben beim Zuhören bei Sophia Blenda.

„Manchmal verkennt sie die Sprachlichkeit
Vergangenheit überholt die neue Offenheit
Offen bleibt, wer in die Zukunft greift Vermessen bleibt Appell an die vermeintlich große Sicherheit“

So heißt es im Titelsong des Albums „Die neue Heiterkeit“. Sophia Blenda kann in der Karlskirche spielen, Sophia Blenda könnte aber auch im Lesegarten beim Bachmannpreis sitzen. Das ist die intellektuelle Pop-Spitzenklasse, die ihr euch verdient habt (die platte deutsche Sprache, remember?). Dabei liest Sophie Löw selbst so gut wie keine Lyrik. "Diese Sprache hab’ ich für mich gefunden, als wir die CULK-Single „Begierde/Scham" geschrieben haben. Es ist aus mir herausgesprudelt“, sagt sie. Dann eben Prosa: Wäre dieses neunteilige Album ein Roman, was wäre die Rahmenhandlung, welche Menschen begleiten wir da?

Albumcover Sophia Blenda "Die Neue Heiterkeit"

PIAS Germany

„Die Neue Heiterkeit“ von Sophia Blenda erscheint bei PIAS Germany.

„Wir folgen einer jungen Frau, die durchs Leben geht, die wir im Alltag begleiten. Wir lernen ihre Familie kennen, ihre Freund*innen und eben auch ihre Struggles. Man wird da viele Ungerechtigkeiten mitbekommen, auch die Abgründe der Menschen. Aber das, was am Ende übrig bleibt, ist der Zusammenhalt der Personen, denen Ungerechtigkeit widerfährt. Und der ist viel stärker als alles andere.“

„Heiterkeit ist Regsamkeit, Bewegung, Leben“, hat die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach geschrieben, oder aber, noch einmal Ingeborg Bachmann: „Nichts Schöneres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein.“ Sophia Blenda führt es weiter: „Die Heiterkeit hole ich mir selbst.“ Da ist kein Zynismus; das ist die Zukunft, in die wir greifen sollen.

„Ich habe den Titel tatsächlich wirklich so gemeint“, sagt Sophie, auch, wenn viele Freund*innen ihn zuallererst sarkastisch gedacht haben. „Es geht am Album viel um Ängste, und da hatte ich die Erkenntnis - obwohl es eh logisch ist - dass Ängste immer konstruiert und somit immer eine Entscheidung sind. Und gleichzeitig gibt’s dann ja aber auch diese Heiterkeit, oder eben eine Art von Glück als Entscheidung, die man treffen kann. Das bedeutet der Albumtitel für mich, dass es manchmal nicht die hundertprozentige Heiterkeit ist, aber eine neue, adaptierte Form davon.“ Das lächerliche, schöne Leben.

Plakativität ist eine der vielen wichtigen Spielarten im Pop. Weil sie laut ist und unangenehm sein kann, weil sie hilft, selbst dann, wenn sie nicht immer der musikalischen Sache dient. Weil sie ein Über-den-Rand-Schauen sein kann, ein Raus-aus-der-Bubble. Wenn man es aber so gut macht wie Sophia Blenda, braucht es keine Aufdringlichkeit. Sie schreibt nicht nur über Selbstermächtigung und Schwesternschaft, sondern auch über Ängste und aufgezwungene Resignation. Und dabei schreibt sie nicht nur für (politisch) Gleichgesinnte und auch nicht nur für ihre Generation. Viele, die jetzt nicht mehr jung sind, profitieren immer noch nicht von den großen Wörtern Feminismus und Emanzipation. Mit besagter Angst, die da nie zwischen, sondern immer wirklich in den Zeilen steht, sagt Sophie Löw: Wir sind noch lang nicht da, wo wir hin müssen.

„Ich hab’ neben all dem Negativen, das in den Texten passiert, versucht, Hoffnungsschimmer einzustreuen. Für mich widerspiegelt das oft den Zugang, den Menschen haben, dass man eben vielleicht etwas genauer hinschauen muss, um auch irgendetwas Schönes im Traurigen zu sehen.“

Mit stillsten Reserven in dunkelsten Räumen
„Take me to a party“ flüstert sie leise
Alte Gedanken sollen sich beim Tanzen vor ihr aufbäumen

Ein Kernstück dieses Albums heißt „Fun“, vielleicht ist es das allerbeste. Da steckt viel davon drin, was die Lieder von Sophia Blenda ausmacht. Es herrscht Freude, aber eine fragende Freude, „I think I’m having fun tonight“, singt sie, eher Andeutung als Tatsache. Das Lied ist einer Freundin gewidmet, die durch eine schwere Phase gegangen ist, es ist ein Händereichen und Gemeinsam-durch-die-Nacht-Laufen. „In den anderen Liedern geht es meistens um schwere Themen, da wollte ich auch eines machen, das zeigt: Manchmal ist es auch nicht notwendig, immer mehr in die Abwärtsspirale zu gehen, manchmal darf man auch für eine Sekunde alles vergessen.“ Und man sieht sie vor sich, diese Freund*innen, sie lachen laut, sie halten sich im Arm, sie leuchten von innen.

„Musik hat so eine Superkraft; wenn man sich zum Beispiel alleine oder traurig fühlt, kann sie eine*n auffangen“, sagt Sophie Löw am Ende unseres Interviews. Sie freut sich sehr auf ihren ersten großen Solo-Release. Und auch „Die Neue Heiterkeit“ ist voller Vorfreude, kleinen Rätseln und Hoffnungen, voller Musik für Mutige und Einsame und alle, voller Musik, der größten Erträglichmacherin von allen. Kein Zynismus, und wenn, dann nur ein bissi: We’re all in this together.

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