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Casper

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Believe the Hyper, hyper!

Das Szene Open Air in Lustenau am Alten Rhein ist Klassentreffen, Festivalfeeling und musikalischer Hochgenuss in einem. Und, egal, ob brütende Hitze oder strömender Regen, ein Highlight im Festivalsommer.

Von Alica Ouschan

Ein wolkenloser Himmel und die brennende Mittagssonne empfängt die hardcore Szene-Fans, die am Donnerstag schon in der Schlange beim Eingang sitzen, um als erste den Campingplatz zu stürmen und sich den besten Spot zu sichern. Die Vorfreude ist groß, denn wer aus Vorarlberg kommt oder schon mindestens einmal am Szene Open Air in Lustenau am Alten Rhein war, weiß, dass es für viele das Highlight des Jahres ist.

Ein Zusammenkommen, ein Familientreffen, ein Pflichttermin. So beschreiben die Besucher*innen das Szene Open Air. „Wir kommen eigentlich immer, egal wer am Line-up oben steht, weil wir sowieso Spaß haben, vor der Bühne, aber auch am Campingplatz“, sagt eine Besucherin.

Das diesjährige Line-up ist jedenfalls vielfältig kuratiert und schmückt sich auch wieder mit großen Headlinern, die man auf so einem verhältnismäßig kleinen Festival nicht unbedingt erwarten würde. Am meisten, das wird bereits am ersten Tag klar, freuen sich die Leute auf Scooter: „Hyper, hyper!“ wird auf Pavillons gesprayt und der ikonische Ausruf steht sogar auf den Festivalbändchen oben.

Alle Zeiger stehen auf „Hyper, hyper!“

Gleichzeitig ist das Szene Open Air eben kein Festival, auf das die Leute vor allem wegen des Line-ups fahren. Viel mehr ist es häufig ein positiver Nebeneffekt, wenn übers Wochenende neue Bands entdeckt und gefeiert werden: „Ich höre eigentlich kaum österreichische Musik“, sagt eine Besucherin, „aber ich lerne gern neue Sachen kennen. Oft denk ich mir dann, oh, ja, das hab ich schon mal gehört, das ist super! Krass, das die aus Österreich sind“. Das sind an diesem Wochenende immerhin knapp die Hälfte der Acts.

Das Szene Open Air, das in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, und der Verein rund um Begründer Hannes Hagen, der das Festival Jahr für Jahr mit Leidenschaft zu dem macht, was es ist, haben heimischen Acts schon immer die Möglichkeit geboten, sich einem musikaffinen Publikum im Westen zu präsentieren.

Betterov

Rafael S. Roman

Betterov

Wiener Blond, Folkshilfe und Anger haben die homegrown Musikszene unter anderem am ersten Tag represented. Eröffnet hat übrigens der Indie-Rocker Betterov mit Band, vor einer beeindruckend großen Crowd, wenn man die gefühlten 40 Grad im Schatten bedenkt und dass das Rheinufer nach dem anstrengenden Zeltaufbau nur einen Steinwurf entfernt zum Abkühlen, Planschen und Entspannen einlud.

Folkshilfe

Eva Sutter

Folkshilfe

Ein Herz für Hip Hop

Musikalisch geht es dann aber wieder in eine ganz andere Richtung, denn das Szene hat den Anspruch, allen etwas zu bieten. An diesem ersten Tag sind es die jungen Hip Hop Fans, die bedient werden. Sie, die vermutlich zu jung sind, um den Einstieg in alles, was sich um Cloud und Trap auf Deutsch abspielt, mit Money Boy in seiner goldenen Swag-Ära, gemacht zu haben. Dadaistische Texte, die erfrischenderweise mittlerweile ohne frauenverachtende Zeilen und Gewaltverherrlichung auskommen, dafür umso mehr Alkohol- und Drogenkonsum glorifizieren und dabei irgendwie immer ein bisschen deep sind, ziehen heute aber noch genauso wie damals.

BHZ

Rafael S. Roman

BHZ

01099, eine Rapcrew aus Dresden hat in Vorarlberg überraschend viele Fans. Nicht verwunderlich, aber umso beeindruckender ist der Turnout bei der Überflieger-Trap-Gruppe BHZ aus Berlin. „BHZ WE <3 YOU“, steht auf einem selbstgebastelten Plakat. Die Crowd schreit die Texte mit, pogt und springt. Währenddessen oder, besser gesagt, dazwischen geht es aber auch auf der zweiten Bühne schon richtig rund. Dass die beiden Bühnen nicht gleichzeitig bespielt werden und so nahe beieinander liegen, dass man keinen seiner Lieblingsacts verpasst, ist ein weiterer Pluspunkt auf einer langen Liste.

Bounty & Cocoa

Eva Sutter

Bounty & Cocoa

Dort eröffnet das Duo Bounty & Cocoa aus Berlin. Feministischer Rap von zwei extrem coolen Frauen, die viel übers Kiffen und sexuelle Freiheit texten? Wem das irgendwie bekannt vorkommt, der sei unbesorgt. Zwar sollten Fans von SXTN unbedingt die Musik dieser beiden Newcomerinnen auschecken, Bounty & Cocoa schaffen es aber dann doch, einen moderneren und emanzipatorischen Turn hineinzubringen, sei es textlich wie musikalisch. Die beiden sind damit die erste positive Überraschung des Tages, der noch einige folgen werden.

Zwischen Hip Hop und Hip Hop gibt es eine kurze Verschnaufpause, es wird den Fans von Elektro- und Quetschn-Synthi-Pop Platz gemacht. Die einen tanzen zu Folkshilfe, die anderen starten entspannt in diesen ersten Abend. Die sommerlichen Klänge vom Südtiroler Duo Anger schmiegen sich perfekt an die lila werdenden Wolken und den vom Sonnenuntergang gefärbten Himmel - Baby, das trifft schon hart.

Anger

Eva Sutter

Und dann heißt es auch schon all eyes on Marteria, denn der ist mit seiner Vollkontakt-Tour der Headliner am Donnerstag. Marten, der alte Performance-Profi haut das Publikum mit seiner unerschöpflichen Energie, einer aufwändigen Bühnenshow inklusive animierter Livevideos, die über mehrere große Videowalls auf und neben die Bühne projiziert werden, und seinen tollen Bandkolleg*innen um. Bengalos werden gezündet, Menschen auf Schultern, alle Hände hoch.

Marteria

Eva Sutter

Wer danach noch Energie hat, kann unbesorgt sein, denn am Szene spielen die Headliner recht früh, danach kann man sich bei Late Night Acts und im Partyzelt austoben. Der erste Festivaltag wird so besiegelt, wie er begonnen hat - mit schönem Indie-Rock aus der deutschen Provinz.

Schnelle Brillen, DIY-Outfits und wehende Flaggen

An diesem Wochenende liegt übrigens nicht nur der Vollkontakt mit anderen Festivalbesucher*innen, Sonnencreme und Scooter im Trend, sondern auch schnelle Brille. Was macht eine schnelle Brille schnell? „Das ist nicht so einfach zu erklären“, meint ein Festivalbesucher, der mit seinen verspiegelten, schmalen Gläsern und neongelbem Gestell besonders schnell ausschaut. „Es ist einfach ein Vibe, der dich sagen lässt: Wow, schaust du schnell aus mit der Brille!“ Wer also in diesem Festivalsommer im puncto Fashion Standards setzen möchte, sollte sich möglichst schnell eine schnelle Brille zulegen, nanonaned.

Outfittechnisch macht dem Szene Open Air sowieso keiner was vor, es werden Shirts selbst besprayt, Glitzer und modische Hüte als Erkennungszeichen in der eigenen Gruppe verteilt. Am einen Ende des Zeltplatzes wird eine ukrainische Flagge gehisst, die vor dem wolkenlosen Himmel flattert.

Gas

Rafael S. Roman

Gas

Nicht ganz so wolkenlos, aber ebenso heiß beginnt der Freitag. Gleich zwei Formationen aus Vorarlberg dürfen den zweiten Festivaltag eröffnen. Die Rap-Formation Gas heizt dem in der Mittagssonne schwitzenden Publikum ein, auf der anderen Bühne gibt es bluesig-punkigen Rock von den Eagle Ally Strippers.

Die schönsten und faszinierendsten Performances kommen an diesem Nachmittag vom österreichischen Duo Aze und der Schweizerin Priya Ragu. Im Unterschied zu vielen anderen Festivals schafft es das Szene, ein diverses Line-up auf die Beine zu stellen, und das ist gut so, denn besonders diese Acts verzaubern und nehmen sicherlich einige neue Fans mit nach Hause.

Priya Ragu

Mathias Rhomberg

Priya Ragu

Es ist gerade einmal fünf Uhr nachmittags, da sind schon die ersten großen Highlights passiert. Weiter geht es mit Fiva, die im Herbst ein neues Album releasen wird. Als Schmyt, der als einer der hottesten Newcomer in der deutschen Musikszene gehandelt wird (obwohl er eigentlich gar keiner ist), auf die Bühne kommt, schlägt das Wetter passend zur Musik um. Und zwar um 180 Grad: „Wenn man aufs Szene fährt, braucht man Sonnencreme und Gummistiefel! Es ist immer heiß, aber am zweiten Tag regnet es alles komplett zamm!“, hat mir eine Besucher*in am ersten Tag gesagt.

Die Welt endet, aber nie die Musik

Sie soll recht behalten. Zwar reißt der Himmel für Turbobier noch einmal kurz auf, die sogenannte Ruhe vor dem Sturm darf hier aber durchaus wörtlich genommen werden. Die Unterstützungserklärungen für Bundespräsidentschaftskandidatenanwärter Marco Pogo werden jetzt noch stolz in die Kamera gehalten, später werden sie wohl vom Regen aufgeweicht zerfallen.

Kurz bevor der Headliner Casper spielen soll, muss der Bereich vor der Bühne aus Sicherheitsgründen gesperrt werden. Wassermassen prasseln herab, der Wind beutelt die Lautsprecherkonstruktionen bei der Bühne hin und her. „Casper wird spielen, ihr braucht nur ein bisschen Geduld“, heißt es schließlich vom Veranstalter, was mit lautem Jubel quittiert wird. Mit einer Stunde Verspätung und im strömenden Regen tritt Casper dann endlich vor das triefnasse, aber glückliche Publikum.

Casper

Samantha Isted

Er packt die ganze Palette an Emotionen aus und holt die Fans genau da ab, wo sie gerade stehen. Er findet die richtigen Worte und wenn er „Ascheregen“ singt, ist es eigentlich fast egal, ob Ascheregen oder Regenregen. Zwar fällt zwischendurch nochmal der Strom aus, Casper kämpft sich aber gemeinsam mit dem wohlwollenden und nicht unterzukriegenden Publikum tapfer durch. Die Welt mag ja enden, aber nie die Musik.

Casper

Matthias Rhomberg

Und sogar an diesem Weltuntergangsabend soll es noch weitergehen. Zum Beispiel in der Fohrenburg mit dem Wiener Rapper Bibiza. Er lockt so viele Leute an, dass das Zelt gesteckt voll ist, und bringt selbst die Leute, die ihn nicht kennen und wohl eher zufällig reingestolpert sind, bereits nach einem Song dazu, laut mitzusingen. Erschöpft, vom Wetter gezeichnet, aber überglücklich pilgern die Menschen zurück auf den Campingplatz. Ein bisschen Energie müssen sie sich ja noch für Scooter aufsparen - believe the Hyper, Hyper!

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