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interview

Mit Klarnamenpflicht gegen Hass im Netz?

Immer wieder fordern Teile der Politik eine Klarnamenpflicht für das Netz, um Hassnachrichten einzudämmen, in Österreich etwa die ÖVP-FPÖ-Regierung 2019. Aktuell werden wieder Rufe dafür laut. Datenschützer*innen hingegen glauben, dass es bessere Mittel gegen Hass im Netz gibt.

Von Ali Cem Deniz

Der Suizid von Lisa-Maria Kellermayr hat auch eine Debatte über Hass im Netz ausgelöst. Die oberösterreichische Ärztin hatte bis zu ihrem Tod monatelang Drohnachrichten erhalten, inklusive Drohbesuche in der Praxis.

Seither haben auch andere prominente Namen wie die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl ihre Twitter-Accounts deaktiviert, die von Hassnachrichten regelrecht geflutet werden. Die Verfasser*innen der Hassnachrichten bleiben häufig anonym und die Behörden verfügen nicht immer über die Mittel oder auch den Willen, diese auszuforschen.

Seit Jahren fordern Teile der Politik eine Klarnamenpflicht. Dann könnte jede Nachricht und jeder Account einem echten Namen zugeordnet werden und die Behörden könnten ohne großen Aufwand die Identitäten hinter den Pseudonymen ausforschen. Auch im Fall von Lisa-Maria Kellermayr hatte die Polizei argumentiert, dass es nicht möglich sei, die Absender zu identifizieren.

Thomas Lohninger von epicenter works

Cajetan Perwein

Thomas Lohninger

Datenschutzexperte Thomas Lohninger von epicenter.works glaubt hingegen, dass das nicht an der Anonymität scheitert, sondern an fehlender Polizeiarbeit und fordert ein Update für Behörden.

Ali Cem Deniz: Abgesehen von den Bedenken, die es gibt, wenn es um Datenschutz, Privatsphäre und so weiter geht, würde die Klarnamenpflicht helfen, Hassnachrichten im Netz einzudämmen?

Thomas Lohninger: Es gibt keinerlei Indizien, dass eine Klarnamenpflicht wirklich bei der Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten im Netz helfen würde. Es ist einfach so, dass diese Straftaten ja begangen werden, ganz oft mit Klarnamen. Und wenn es wirklich eine kriminelle Energie gibt, dann findet man immer Wege um solche Identifizierungen-Pflichten herum. Und nicht zuletzt ist die Hausdurchsuchung im traurigen Fall der Landärztin Dr. Kellermayr doch gerade ein Beispiel dafür, dass die bestehenden Kompetenzen ausreichen. Und hätte die Polizei ihre Aufgabe erfüllt, wäre sie den Indizien nachgegangen, die ja der STANDARD und eine deutsche Hackerin innerhalb weniger Stunden zusammengetragen hatten. Dann hätte man wahrscheinlich die Täter auch schon viel früher ausfindig machen können. Das ist einfach ein Behördenversagen in Oberösterreich, was dringend aufgearbeitet gehört.

Die Polizei sagt ja , dass das technisch gar nicht so leicht ist, das herauszufinden. Wenn jetzt jeder Account einem echten Namen zugeordnet werden könnte und jede Polizeibehörde schnell herausfinden kann, wer welche Nachrichten geschickt hat, das würde jede Polizeibehörde schaffen, auch die oberösterreichische, oder nicht?

Nein, leider nicht. Wenn ich wirklich kriminelle Energie habe, dann werde ich einen Weg finden, dass ich diese Nachrichten anonym weiterhin schicken kann. Das Internet ist einfach nicht so gebaut, dass man da überall eine staatliche Kontrolle nachrüsten könnte. Und leider ist es so, dass Menschen immer dazu in der Lage sein werden, einander Blödsinn zu sagen, online wie offline. Also hier gibt es kein sauberes Internet. Das Internet ist immer ein Spiegel unserer Gesellschaft.

Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass man mit guter Polizeiarbeit auch sehr viele Erfolge im Internet haben kann. Es ist eher das Versagen der Polizei, dass wenn man sich als Opfer dorthin wendet, wenn man Belege mitbringt, die die Polizei teilweise überhaupt nur widerwillig aufnimmt, geschweige denn ermittelt.

Mehr Kompetenzen, vor allem mehr Grundrechtseingriffe und mehr Überwachung helfen da überhaupt nicht. Das ist ein soziales Problem und kein technisches.

Gibt es da andere Möglichkeiten, die nicht so stark in die Privatsphäre eingreifen? Oder müssen wir sagen, dass wir eben auch Hassnachrichten in Kauf nehmen müssen, wenn wir weiterhin eine bestimmte Meinungs- und Diskursfreiheit, Anonymität und Privatsphäre haben wollen?

Das Internet ist ein Spiegel der Gesellschaft und es erlaubt allen Menschen, einander Nachrichten zu schicken und auch direkt adressierbar zu sein, sofern man auf sozialen Netzwerken unterwegs ist. Und das ist natürlich auch nicht immer schön, was wir da so sehen. Aber ich glaube schon, dass wir hier vor allem bei den Behörden ein massives Problem haben. Weil wenn ich heute als Opfer eines Raubes zur Polizei gehe, dann wissen die genau, was sie tun müssen und die nehmen die Sache ernst. Wenn ich heute als Opfer von Hass im Netz zur Polizei gehe, dann kann ich froh sein, wenn die mir überhaupt Aufmerksamkeit geben. Und das ist das grundsätzliche Problem, woraus auch das fehlende Unrechtsbewusstsein entsteht. Also wir müssen als Gesellschaft auch irgendwie lernen, dass es nicht okay ist, einander im Internet die grauslichsten Sachen an den Kopf zu werfen. Da muss es Grenzen geben. Und die Grenzen des Strafrechts sind die, wo wir anfangen sollten, sie wenigstens mal konsequent einzufordern.

Da hat es von dieser Regierung 2020 schon gesetzliche Verschärfungen gegeben, die sind noch nicht mal richtig umgesetzt oder evaluiert. Jetzt schon wieder zu verschärfen hätte in dem konkreten Fall von Dr. Kellermayr ja nicht geholfen und ist glaube ich auch nicht in ihrem Sinne. Das wäre nicht der Weg, wie man solche Probleme in Zukunft löst, weil wie gesagt, man hätte dieser Ärztin viel früher helfen können, wenn man die bestehenden rechtlichen Kompetenzen in Oberösterreich ernst genommen hätte und nicht dann noch der Ärztin über die Medien ausrichtet, dass sie sich hier nur aufspielt.

Kann man vielleicht sagen, dass die Behörden noch nicht ausreichend im digitalen Zeitalter angekommen sind?

Also die österreichischen Behörden brauchen auf jeden Fall ein Update, um mit Internet-Gefahren adäquat umgehen zu können. Die sind einfach heillos überfordert. Das sind keine Leute, die im Internet aufgewachsen sind, die dort sitzen und ihnen fehlen ganz oft die Schulungen, die Kompetenzen, aber auch die richtigen Werkzeuge, um mit diesen Dingen ernsthaft umzugehen. Und ganz oft ist es auch so, dass man sich denkt ‚Okay, das ist im Internet passiert, was geht mich das an?‘ Aber hier gibt es natürlich auch einen Tatort, hier gibt es auch eine Straftat. Wenn das eine gefährliche Drohung ist, müssen die Behörden tätig werden, vor allem, wenn es Morddrohungen sind. Das sind Dinge, die sind kein Spaß. Und da braucht es auch Konsequenzen für die Täter, damit dieses Unrechtsbewusstsein geschärft wird.

Und das alles kann man ja auch ohne Klarnamenpflicht jetzt schon machen.

Genau. Eine Klarnamenpflicht wird auf jeden Fall dazu führen, dass wir weniger Meinungsfreiheit im Internet haben.

Und wenn wir Dr. Kellermayr für eine Sache dankbar sein sollten, ist es für ihren Mut, nicht nur sich an vorderster Front in der Pandemie, wo man nur fast nichts wusste, um die kranken Menschen zu kümmern, sondern was dann vielleicht noch viel mehr Mut gebraucht hat: sich auch öffentlich zu äußern mit dem, was sie an wissenschaftlicher Evidenz selber erlebt hat und damit natürlich auch vielen anderen Menschen zu helfen, gesund zu bleiben.

Und genau diese Art von mutiger Meinungsfreiheit, die würde eine Klarnamenpflicht einschränken. Weil heutzutage ist es leider so, dass viele Frauen, vor allem die öfter Opfer von Hass im Netz sind, sich eben auch Pseudonymen bedienen, damit sie Teil in der Debatte sein können. Also da noch mal diesen letzten Rückzugsraum zu nehmen, halte ich einfach für exakt das falsche Signal nach diesem traurigen Fall.

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